Gysi ab Sonntag nur noch Statist?
In der Linken deutet sich ein historischer Schnitt an: Die Partei plant die Zeit nach Gregor Gysi als Fraktionschef. Ist Gysi ab Sonntag nur noch Statist?
Bernd Riexinger sitzt in seinem Büro unterm Dach des denkmalgeschützten Karl-Libeknecht-Hauses in Berlin. Er freut sich auf den Parteitag in Bielefeld. Darüber, dass Gregor Gysi seit Wochen ein Geheimnis daraus, macht ob er im Herbst wieder als Fraktionschef kandidieren will oder nicht, macht sich Riexinger keine Sorgen. Die Partei sei auf alles vorbereitet, sagt er im Interview und weist Gysis Forderung, die Linke müsse sich für eine Koalition auf die SPD zubewegen kategorisch zurück:
Herr Riexinger, so wichtig Ihnen die sozialpolitischen Themen Ihres Parteitages an diesem Wochenende in Bielefeld sein mögen: Bestimmt wird er von den Spekulationen um die Zukunft von Gregor Gysi. Wird er weiterhin Fraktionschef der Linken bleiben?
Bernd Riexinger: Gregor Gysi wird am Sonntag in seiner Rede sagen, ob er im Herbst wieder als Fraktionsvorsitzender antritt oder nicht. Aber das ist ja letztlich nichts, worüber der Parteitag entscheiden muss.
Möchten Sie, dass er wieder antritt?
Riexinger: Ich würde mir wünschen, dass er wieder antritt. Der Vorstand hat ihn gebeten, weiterzumachen. Aber ich respektiere natürlich jede Entscheidung. Andererseits ist die Partei ist auf jede seiner Entscheidungen vorbereitet. Wir haben Nachfolge-Lösungen diskutiert und werden sie zeitnah präsentieren.
Es heißt, Sarah Wagenknecht, die erst im März absagte, könnte doch zur Verfügung stehen. Stimmt das?
Riexinger: Ihre Absage kam ein bisschen überraschend, schaun’ wir mal, wie’s dann wirklich wird. Wir könnten uns Sahra Wagenknecht sehr gut an der Fraktionsspitze vorstellen.
Gregor Gysi hat die Partei wiederholt aufgefordert, auf die SPD zuzugehen. Die Linke müsse regieren wollen, hat er gesagt.
Riexinger: Wir hätten ja jetzt schon zusammen mit SPD und Grünen eine Mehrheit im Bundestag. Und es lag nicht an uns, dass die nicht verwirklicht wurde. Wir sind ja sogar bereit gewesen, den größten Teil des SPD-Wahlprogramms zu verwirklichen. Trotzdem ist die SPD lieber mit der CDU ins Bett gegangen.
Das scheint Gysi nicht zu stören.
Riexinger: Wir stellen eine unverrückbare Bedingung für eine Regierungsbeteilung: Es muss einen grundsätzlichen Politikwechsel geben. Das heißt, weg von der bisher neoliberal ausgerichteten Politik der SPD. Dafür brauchen wir ein gemeinsames Reformprojekt mit SPD und Grünen. Bisher sehe ich dazu, ehrlich gesagt, bei der SPD und den Grünen keine Bereitschaft.
Sie sagen, die SPD muss sich auf die Linke zubewegen, Gysi sagt, die Linke müsse sich auf die SPD zubewegen. Er nennt auch konkrete Beispiele. Die Linke solle sich Auslandseinsätzen der Bundeswehr öffnen. Was sagen Sie dazu?
Riexinger: Die Partei wird definitiv ihre Haltelinien nicht aufweichen.
Gysi spricht von überflüssigen roten Linien für Rot-Rot-Grün…
Riexinger: …die Partei darf ihre Identität nicht aufgeben. Wir sind eine Partei der sozialen Gerechtigkeit und eine Friedenspartei. Unsere Haltelinien sind unverrückbar: kein Sozialabbau, keine Tarifflucht und keine Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland. Im Übrigen brauchen wir keine negative Abgrenzung, indem wir sagen, was wir alles nicht machen. Wir brauchen ein positives Programm.
Skizzieren Sie’s doch einmal.
Riexinger: Wir müssen prekäre Arbeitsverhältnisse verhindern, wir brauchen Investitionsprogramme in den öffentliche Infrastruktur, wir müssen die Arbeitslosigkeit weiter zurückdrängen und armutsfeste und den Lebensstandard sichernde Renten schaffen. Das ist die Basis für einen Politik- und Regierungswechsel, für den wir kämpfen würden.
Wo sehen Sie das größte Hindernis für Rot-Rot-Grün?
Riexinger: Der größte Konflikt zwischen Linken, SPD und Grünen dürfte die Verteilungsfrage sein. Wir werden nur dann Spielräume für eine andere Politik bekommen, wenn wir Vermögen und Reichtum umverteilen. Etwa über eine gerechtere Steuerpolitik. Die SPD hat ihre Forderung nach einer Vermögenssteuer leider zugunsten der großen Koalition fallengelassen.
Wo sehen Sie die SPD derzeit?
Riexinger: Sie geht die zentralen gesellschaftlichen Fragen nicht an. Aus diesem Grund steht sie in den Umfragen bei 25 Prozent. Wenn sie so weitermacht, droht ihr ein schleichender Niedergang. Sie müsste sich also schnellstens besinnen und ein linkes Lager bilden. Der sozialdemokratischen Rolle wird man aber nur gerecht, wenn man ein Alternativprogramm zum bürgerlichen Lager hat. Das wird die große Frage für 2017 sein.
Haben Sie darüber mal mit SPD-Chef Gabriel gesprochen?
Riexinger: Vor längerer Zeit. Wir mussten feststellen, dass ein gesellschaftliches Reformprojekt nicht die Vorstellung des SPD-Vorsitzenden ist.
Wie sieht ein solches Reformprojekt Ihrer Ansicht nach aus?
Riexinger: Sie brauchen die Unterstützung der Gewerkschaften, von zivilgesellschaftlichen Gruppen wie den Sozialverbänden und sozialen Initiativen. Eine solche Reformpolitik muss von breiten Teilen der Gesellschaft getragen werden.
Gibt es denn ein solches Bedürfnis in der Gesellschaft?
Riexinger: Unter der Oberfläche brodelt es. Das sieht man etwa an der aktuellen Streikbewegung. Da geht es ja um ganz elementare gesellschaftliche Fragen: Bei der Post ist es möglich, dass ein Großkonzern in eine Lohndumpingfirma ausgliedert. Bei Amazon geht es um prekäre Arbeit und permanente Unsicherheit der Beschäftigten. Bei den Erzieherinnen geht es um die Aufwertung von sozialer Arbeit – ein gewichtiges Problem in der Gesellschaft. Auch geht es um die Unterbezahlung von Frauenbranchen.
Aber werden die Fragen in der Bevölkerung auch als Grundsatzfragen empfunden?
Riexinger: Die Menschen spüren, dass etwas schiefläuft. So bilden sich immer wieder Proteste. Nehmen Sie Blockupy, die G-7-Proteste und den Widerstand gegen das US-Freihandelsabkommen TTIP. Ich sage voraus, das im Herbst 80.000 Menschen dagegen auf die Straße gehen. Übrigens: 40 Prozent für Merkel klammern aus, dass 60 Prozent anderer Meinung sind. Allerdings sind all diese Proteste und Bewegungen noch wenig miteinander verbunden. Darin sehe ich eine wichtige Aufgabe der Linken. Wir müssen die unterschiedlichen Ansätze in ein Gegenkonzept zum Weiterso von Angela Merkel gießen.
Wie ist denn das Verhältnis der Linken zu den gesellschaftlichen Gruppen?
Riexinger: Die Akzeptanz der Linke ist deutlich gestiegen, vor allem zur den Gewerkschaften normalisieren sich die Beziehungen. So wird am Wochenende erstmals der DGB-Vorsitzende auf einen Linken-Parteitag ein Grußwort sprechen. Wir werden als drittstärkste Kraft im Parteienspektrum anerkannt. Gerade erst hatten wir zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Veranstaltung zu neuen Streikformen, da waren 800 Gewerkschaftsaktive.
Wenn Sie an die Reaktionen auf den Lokführer-Streik denken: Gibt es in der deutschen Gesellschaft eine hohe Akzeptanz für Arbeitskämpfe?
Riexinger: Das ist sehr unterschiedlich: Der Streik der Erzieherinnen genießt große Sympathie. Das ist auch so, wenn Verkäuferinnen streiken. Bei den Lokführern ist der Streik in der öffentlichen Debatte sehr stark verwoben worden mit der Frage innergewerkschaftlicher Auseinandersetzungen bei der Bahn. Das mochten die Leute nicht. Wenn es um Löhne und Arbeitsbedingungen geht, ist die Sympathie sehr groß. die Leute merken aber auch, dass es ganz viele Probleme gibt, die die Gewerkschaften mit betrieblichen und gewerkschaftlichen Mitteln nicht mehr in den Griff bekommen können.
Welche meinen Sie?
Riexinger: Die Reichweite von Tarifverträgen. Durch die Prekarisierung, durch das Outsourcing, durch die ganze Deregulierung gelingt es ihnen in ganzen Branchen nicht mehr, flächendeckende Tarifverträge zu machen. Da bräuchten wir dringend gesetzliche Regelungen, die Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Wenn Konzerne Unternehmen ausgliedern, müssten ihre Tarifverträge dort weitergelten. Das wäre im Übrigen ein echtes Tarifeinheitsgesetz. Die sozialdemokratische Arbeitsministerin Nahles schränkt stattdessen das Streikrecht ein. Für die SPD zählt das Grundrecht, das Streikrecht, weniger als die Interessen der Unternehmen. In vielen Ländern Europas gilt das Recht auf politischen Streik – das muss es in Deutschland auch endlich geben. Wir wollen ein klares Recht auf Solidaritätsstreiks.
Immer weniger Menschen trauen der Politik die Lösung ihrer Probleme zu. In Bremen lag die Wahlbeteiligung erstmals unter 50 Prozent. Wie geht die Linke damit um?
Riexinger: Es stimmt etwas nicht in einer Demokratie, wenn 50 Prozent sagen: „Wir fühlen uns nicht mehr repräsentiert.“ Wie Sie wissen, entwickelt sich die Wahlbeteiligung entlang der sozialen Struktur. Es sind vornehmlich die sozial Schwachen, die nicht mehr wählen. Sie werden nicht nur sozial und kulturell, sondern auch politisch ausgegrenzt. Es ist unsere zentrale Aufgabe, für diese Menschen Politik zu machen. Wenn wir es nicht schaffen, diese Gruppen zu politisieren, wenden sie sich anderen zu.
In Griechenland und Spanien haben sie sich den linken Bewegungen Syriza und Podemos zugewandt. In Deutschland wenden sich nicht wenige dieser Wähler der AfD zu.
Riexinger: Das kann nach links oder nach rechts gehen. Da hat die Linke die große historische Aufgabe, das Abdriften nach rechts zu verhindern. Wir haben uns sehr genau angesehen, wie Syriza und Podemos der Aufstieg gelungen ist. Die Erkenntnis war: Es braucht eine neue Form von Partei, die der abgehobenen herrschenden Politik etwas entgegen setzt. Wir müssen eine Partei sein, die in der Lage ist, sich in den Gewerkschaften und Initiativen zu verankern. Wir müssen das Lebensgefühl dieser Bewegungen in den Parlamenten ausdrücken. Und da sind wir auf einen ganz guten Weg. Das zeigt die große Zahl neuer junger Mitglieder, die zu uns kommen.