Tiefpunkt der politischen Kultur

Zeitungsverleger-Chef Heinen setzt Pegida-Anhänger, die wütend „Lügenpresse“ skandieren, mit islamistischen Massenmördern gleich. Das ist infam und unerträglich.

Dieser Tage erschien ein Kommentar von FAZ-Herausgeber Berthold Kohler, in der er die wütende Kritik der Pegida-Demonstranten an der aktuellen Berichterstattung über ihre Demonstrationszüge, die in der Pauschalverunglimpfung der Journalisten als „Lügenpresse“ gipfelte, in einem Atemzug nannte mit dem Massenmord islamistischer Gewalttäter in Paris. In beiden Fällen würde ja die Pressefreiheit angegriffen werden:[1]

„Im Vorwurf „Lügenpresse“ steckt auch der Versuch, im Namen der Meinungsfreiheit die Meinungsfreiheit eines pluralistischen Pressewesens zu beschneiden, das, obwohl auch seine Angehörigen nicht unfehlbar sind, in der Welt keinen Vergleich zu scheuen braucht. Hinter der Tat von Paris steht keine andere Absicht, nur ihre Mittel waren extremer. Aber auch von einem solchen Blutbad dürfen sich die freie Welt und ihre Presse nicht einschüchtern lassen.“

„Ignoranz und unklare Ängste“

Am 09.01. 2015 wurde dieser Vergleich in einem Aufruf des Bundesverbands der deutschen Zeitungsverleger wiederholt, als Autor zeichnete ihr Präsident Helmut Heinen:

„Die Medien und gerade auch die Zeitungen tragen durch Kommentare und Hintergrundberichte zur Reflexion über unsere zivilen Standards bei.

Sie sind, mit allen Fehlern und Schwächen, mit ihren Stärken und Vorzügen, eine Errungenschaft unserer Demokratie, die wir stets aufs Neue verteidigen müssen. Das zeigt nicht nur der Anschlag auf ,Charlie Hebdo’. Das zeigen auch Nazi-Schmierereien an den Wänden deutscher Verlagshäuser oder das dumpfe Verunglimpfen der ,Lügenpresse’ durch die Pegida-Anhänger.

,Lügenpresse’ – das ist ein Kampfbegriff aus Deutschlands dunkelster Vergangenheit. Perfide Propaganda der Pegida-Anführer, Ignoranz und unklare Ängste drohen hier eine üble Allianz einzugehen. Sie versprechen einfache Antworten auf komplexe Fragen. In unserer globalisierten Welt gibt es diese einfachen Antworten nicht.“[2]

Im Aufruf mitgeliefert wurde eine satirische Zeichnung, in der im Hintergrund eine Menschenmeute mit der Aufschrift „Pegida“, die „Lügenpresse“ ruft, gezeigt wurde, während im Vordergrund Terroristen mit ihren Maschinengewehren um sich schießen. Damit klar ist, worauf sie schießen, ist der Name des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ mit abgedruckt. Der Zeichner lässt die Terroristen sagen: „Die reden nur! Wir tun was!!“. Soweit einmal der Sachverhalt.

Selbstverständlich muss man die Kritik der Pegida-Demonstranten an der Presse bzw. an den Medien insgesamt kritisieren dürfen. Selbstverständlich ist die klare Stellungnahme erforderlich, dass der Begriff „Lügenpresse“ aus dem Nazi-Jargon entstammt und eben deshalb eine beleidigende verbale Entgleisung ist. Ebenso gehört aber zum Meinungsstreit in einer Demokratie, dass man versucht nachzuvollziehen und darzustellen, warum Menschen in Dresden und anderswo solche Ausdrücke benutzen.

Spielt vielleicht eine Rolle, dass sich Journalisten unters Volk gemischt haben, um besonders aggressive rassistische Parolen von Einzelnen als typisch für alle Demonstranten zu präsentieren? Spielt vielleicht eine Rolle, dass man einen Journalisten dabei erwischt hat, wie er als Demonstrant verkleidet rassistische Parolen in laufende Kameras gerufen hat? Ist also an den Vorwürfen etwas dran, dass sich die Menschen in Zeitungen, Funk und Fernsehen falsch dargestellt und zitiert fühlen? Wo bleibt die Selbstkritik der Medienleute?

Tiefpunkt politischer Kultur

Die Gleichsetzung der Pegida-Anhänger, die wütend „Lügenpresse“ skandieren, mit islamistischen Massenmördern ist absurd und unerträglich. Zur Pressefreiheit gehört unabdingbar, dass im Rahmen der Meinungsfreiheit die Berichterstattung der Presse kritisiert werden darf. Sollte die Form der Kritik zu verbalen Entgleisungen führen wie die pauschale Behauptung einer nur noch „lügenden“ Presse, ist das ärgerlich, aber sie in einen Zusammenhang mit einem Massenmord an Journalisten zu stellen, ist infam.

Dass der Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger und nicht nur ein einzelner Journalist, der vielleicht einmal einen schlechten Tag hatte, einen solchen Vergleich zieht, ist ein neuer Tiefpunkt in der politischen Kultur der Bundesrepublik. Wenn hier nicht die Journalisten selbst offensiv dagegen halten, wird man diesen Vorgang später als die Zäsur bezeichnen, in der das Recht zur freien Meinungsäußerung in Deutschland essentiell beschädigt wurde. Die Journalistin Bettina Röhl hat im Blog von Roland Tichy schnell reagiert und in einem empörten Artikel das Wesentliche zu diesem Vorgang gesagt.[3]

Hier soll im Zusammenhang mit diesem Unsinnsvergleich auf etwas anderes aufmerksam gemacht werden. Bis jetzt ist auch dem Verfasser dieses Beitrags nicht aufgefallen, dass die FAZ bei den Leserkommentaren, so z. B. auch im Kommentarteil von Heinens Aufruf, eine Neuerung eingeführt hat, in der augenfällig wird, wie sich die FAZ eine faire Debattenkultur in Zukunft vorstellt. In den Kommentaren der Leser werden zwei Rubriken aufgeführt, eine Rubrik „Alle Meinungen“, in der die gesamten Leserbeiträge abgebildet sind, und eine Rubrik „Top-Argumente“ in der hervorgehobene Kommentare der Leser gesondert noch einmal aufgeführt werden. Solche Kommentare haben den „grünen Punkt“ bekommen. Die FAZ dazu:

„Was bedeuten die grünen Punkte neben den Kommentaren?

Damit zeichnen wir Top-Argumente aus. Sie sollen exemplarisch verschiedene Standpunkte einer Debatte aufzeigen, die uns in der Fülle der Kommentare als besonders konstruktiv und prägnant aufgefallen sind.

Was bedeutet der grüne Stern neben dem Namen eines Kommentators?

Wir möchten Leser, die durch regelmäßige Kommentare von hervorragender inhaltlicher Qualität aufgefallen sind, durch die Auszeichnung mit einem grünen Stern positiv hervorheben.

Was bedeutet die grüne Zahl neben dem Namen eines Kommentators?

Damit zählen wir die veröffentlichten Top-Argumente eines Kommentators.“

Konstruktive, prägnante und inhaltlich qualitätsvolle Kommentare sollen hier also ausgewählt werden. Bei über 500 eingetragenen Lesermeinungen allein zum Aufruf von Herrn Heinen z. B. sind auch viele Kommentare dabei mit Wiederholungen und großen Zitatanteilen. Viele Kommentare sind sehr kurz oder sehr emotional ausgefallen. Manche sind auch eigenartig oder skurril. Es ist eigentlich eine gute Idee, einige in der Formulierung sehr prägnante und geglückte Beiträge, die das Thema gut erfasst haben und eine klare Stellung bezogen haben, in einer eigenen Rubrik zusammenzufassen. Doch diese Rubrik sollte natürlich immer als eine Weiterführung der Debatte verstanden werden, die in der Rubrik „Alle Meinungen“ gerade tobt. Natürlich muss man nicht sklavisch genau die Anteile an Pro und Kontra widergeben, denn das würde im Falle des hier behandelten Artikels dazu führen, dass ca. 90 Prozent der Kommentare auch in der Rubrik „Top-Argumente“ contra Heinen sein müssten. Man würde verstehen, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht zahlenmäßig abgebildet werden muss.

Ein Armutszeugnis

Wie behandelt das die FAZ-Redaktion? Am 10.01.2015 konnte man 10 Einträge in „Top-Argumente“ finden, die hier wiedergegeben werden:

„Christoph Panitz/09.01.2015 20:08

Herr Bach, da können Sie sich winden, soviel Sie wollen. Die Zeitungsverleger haben Recht. Die Demonstranten von Pegida und auch einige Foristen hier verwenden einen Kampfbegriff der Nazis. Und von einer Masse von Bürgern, die auf Ihrer Seite stünden, kann gar keine Rede sein.

Jens Reinhardt/09.01.2015 20.19

@Bach: Jedes Ihrer Worte bestätigt die Aussage des Artikels. Sie bezichtigen die Presse verleumderisch der Falschmeldungen, sobald es nicht ihrem Weltbild entspricht und hetzen mit dem Wort „Lügenpresse“ gegen die Medien und deren Mitarbeiter in einer Weise, wie es das letzte Mal zu Vorkriegszeiten der Fall war. Es ist nur so, dass mit solchen Begriffen wieder vermehrt schamlos um sich geschmissen wird. Vermutlich ohne auch nur das geringste über journalistische Arbeit und den Aufklärungsanspruch des hiesigen Pressewesen zu wissen. Ihr unüberlegter Populismus ist in keiner Weise ungefährlicher als der von der anderen Seite. Denken Sie vielleicht mal drüber nach.

Bruno Walter/09.01.2015 20.40

Volltreffer. Der Kommentar und der Cartoon bringen es wirklich auf den Punkt. Vielen Dank dafür. Diese selbsternannte ,Bürgerbewegung’ ist nun wirklich nicht DAS Volk, sondern eine Minderheit unter vielen. Inhaltlich wirr wird die verständliche Sorge vor dem gewalttätigen Islamismus in der Welt mit völlig abstrusen Thesen über den Islam und billigen Vorurteilen über Einwanderer gemixt. Und wenn man nachfragt, wo unsere Presse lügt, werden so tolle Quellen wie Russia Today oder irgendwelche obskuren Blogs angeführt. Einfach gruselig. Und wer Nazijargon wie Lügenpresse und Volksverräter verwendet, braucht sich über deftige Cartoons nun wirklich nicht zu wundern.

Jens Reinhardt/09.01.2015 20.56

Parolen wie „Lügenpresse, halt die Fresse!“ sind alles andere als friedlich. Dass Sie das nicht verstehen, zeigt, das der Artikel mit jedem Wort recht hat. Sie gießen Öl in dasselbe Feuer, das auch die Fundamentalisten anfachen, nur von der anderen Seite. Ein Feuer, das sich hetzerisch gegen die Presse- und Meinungsfreiheit, gegen demokratische Institutionen wendet, sobald sie den eigenen Vorstellungen zuwider laufen. Sobald als behauptet wird, die Migration sei nicht das Hauptproblem, ist von Lügenpresse die Rede, anstatt sich differenziert mit den Problematiken auseinanderzusetzen. Wäre ja auch zu anstrengend.

Florian Moritz/09.01.2015 21.52

Die Verantwortung der Presse ist es Extremismus zu verhindern… Ich hoffe dieser Kommentar geht nicht in proPegida Kommentaren unter und wird auch nicht als ein solcher verstanden. Ich möchte die Arbeit der Presse kritisieren, aber dies soll in keinster Weise als Unterstützung von Pegida verstanden werden. …dazu gehört aber, die Pressefreiheit zum Vorteil derer zu nutzen, denen es in unserer Gesellschaft am schlechtesten geht, ungeachtet des Geschlechts, der Sexualität, Religion oder Ethnie. Prekäre Arbeitsverhältnisse, unzureichende Bildung und Zukunftsängste führen unweigerlich in die rechte Ecke. Auch islamistischer Terror blüht vor allem in Bürgerkriegsregionen (oder Drohnentestgeländen) und sozialen Brennpunkten in Vorstädten großer europäischer Städte. Die Presse verantwortet die Aufklärung und nicht die Ablenkung, auch wenn diese vielleicht gegen unbequeme Gegner wie die USA, die EU und die Wirtschaft durchgesetzt werden muss.

Marc Pfaff/09.01.2015 21:58

Danke, Herr Heinen. Die freien Medien – und in Deutschland haben wir nun wirklich eine tolle, seriöse und ausgewogene Presse- und Medienlandschaft – und jeder, der das anders sieht, soll doch bitte mal aufzeigen, in welchen Ländern bessere oder ähnliche Verhältnisse herrschen – verdienen es im besonderen Maße, verteidigt zu werden. Auch und gerade gegen die schlichten Wutbürger und Biedermänner von PEGIDA, AfD etc. Auch, wenn diese natürlich & Gottseidank andere Mittel anwenden, so geht es auch ihnen schlicht darum, der Welt ihre schlichte Sicht der Dinge aufzuzwingen.

Joe Völker/09.01.2015 23:26

Pegida wählt Worte… und zwar Nazisprech. Das ist kein Zufall.

Fabian Reinecke/09.01.2015 23:38

Pegida wählt Worte wie Knüppel. Es ist vielen Menschen nicht entgangen, dass hier gern das Vokabular aus 1000 Jahren benutzt wird. Wer keine Lust auf auf Islam-Faschisten und Nazisprech hat, bringt das sehr leicht zusammen. Dass Pegida-Anhänger Morddrohungen gegen Journalisten aussprechen oder auf ihren Versammlungen Schläge androhen, ist auch nicht souverän. Und gegen die Unterstützer von der Hogesa und den freien Kameradschaften scheint auch keiner was einzuwenden zu haben. Ungeschickt, sich so zu entblößen.

Sebastian Kreibig/10.01.2015 09:31

Biedermänner und Brandstifter, sehr gut getroffen ! Worte können töten, bzw. das Töten vorbereiten, das sollte man nicht vergessen. Wer Worte wie „Lügenpresse“ benutzt, um die gesamte Bandbreite hiesiger Medien in toto zu verunglimpfen, nur weil der Inhalt der Berichterstattung nicht zum selbstgezimmerten Weltbild passt, macht sich in der Tat gemein mit jenen, denen eine Karikatur nicht passt. Pegida und den Attentätern von Paris ist eine engstirnige, intolerante Denke gemein, dazu ein simples Weltbild, das von gröbster Überzeichnung der Realität lebt. Ausgegrenzt wird jeder, der anders ist oder eine andere Meinung hat. Und täuschen wir uns nicht. Der nazistische Terror des NSU hier bei uns hatte eine Vorgeschichte, die zunächst nur mit Worten Gewalt ausübte.

Hans Lutz Oppermann/10.01.2015 11:50

Wehrt den Anfängen. Mutig und couragiert. Endlich erheben jetzt die Zeitungsverleger ihre Stimme. Die Karikatur trifft den Nagel auf den Kopf. Neu ist, dass sich hinter dieser Zeichnung keine Einzelmeinung des Karikaturisten Klaus Stuttmann, oder einer Redaktion verbirgt, sondern der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger. Das ist eine neue Qualität, beispiellos und ein Appell, der seines gleicheins sucht. Die Satire ist eine Lüge, die die Wahrheit hervorbringt! Dank an den BDZV & an die FAZ Herausgeber.“

So stellt sich also die FAZ-Redaktion eine ausgewogene Darstellung der Top-Argumente in der Debatte über Herr Heinens Beitrag vor. Das ist leider ein Armutszeugnis und kennzeichnet eine politisch-kulturelle Katastrophe. Allerdings: Ein Vergleich z. B. mit der gleichgeschalteten Presse in der SED-Diktatur, wie sie manche Leser gerne ziehen, ist nicht unbedingt angebracht. Man sollte vorsichtig sein mit vorschnellen Vergleichen, die Herren Kohler und Heinen zeigen das ja beispielhaft auf. In der DDR wären erstens gar keine Gegenkommentare erschienen, und zweitens wären bei den Absendern solcher Kommentare sehr schnell unauffällig gekleidete Herren der Stasi in der Wohnung aufgetaucht.

Unterschlagene Argumente

Doch der Eindruck der Kommentarlenkung in der FAZ ist verheerend genug. Von zehn Lesermeinungen sind neun reine Pro-Kommentare, keine Kritik, nur Zustimmung und Lob, und einen Kommentar kann man als im Ansatz als etwas kritisch ansehen. Eine solche Auswahl bei einer überwältigenden Mehrzahl an kritischen Kommentaren ist armselig. Bei Durchsicht der Beiträge fällt außerdem auf, dass ein Leser zweimal auftaucht, ohne dass zwingend ersichtlich wird, warum sein zweiter Beitrag noch irgendwie neue „prägnante“ Gesichtspunkte liefert. Am auffälligsten ist aber, dass ein Teil der Beiträge Antworten auf Kontra-Kommentare anderer Leser sind, die in den Top-Argumenten aber unterschlagen werden. Es wird zweimal ein „Herr Bach“ angesprochen, dessen Kommentar als Top-Argument aufzuführen, was für eine faire Gegenüberstellung der Argumente zwingend wäre, aber unterbleibt. Dabei wären seine Beiträge beispielhaft für die Argumente der Gegenseite, ob man sie nun für richtig befindet oder nicht:

„Jan Bach/09.01.2015 18:13

Das ist mittlerweile eine Farce…. was haben denn die Rufe LÜGENPRESSE mit den Attentaten zu tun. Welch ein Unsinn. Die Lügenpresse bezieht sich auf Falschmeldungen, die mittlerweile den Medien von vielen Wissenschaftlern vorgeworfen wurden. Schon allein, dass bei PEGIDA immer von Nazis, Rechtspopulisten, Schweinen und Schande geredet wird zeigt doch, welch Unsinn verbreitet wird. Auch durch diese Parole lässt sich das Problem nicht kitten. Die Bürger haben in großem Masse erkannt, dass die Meinungsmacht der Medien nicht mehr akzeptiert werden kann. Dies kommt in den Vorwürfen LÜGENPRESSE zu tragen…Warum berichtet niemand darüber, dass in Gegendemos massenhaft „Deutschland ist Sche…..! gerufen wird…..

Jan Bach/10.01.2015 14:24

Es ist sicher keine Frage, wie hier geantwortet, ob eine Masse auf die Strasse geht, nein, das Entscheidende in dieser Situation ist eben, dass die Bürger, nicht nur in Dresden – laut Umfrage YouGov im Auftrage der Zeit 30% „voll und ganz“, 19% „eher ja“ und immerhin 26% „teils, teils“ – die Ppegida Ansichten teilen.. Kurz, dreiviertel der Deutschen können die Ansichten der Pegida zumindest teilweise nachvollziehen. Dafür werden Sie von den Meinungsmachern dieses Landes wahlweise als Schwererziehbare, als Minderbemittelte oder kleine Kinder behandelt. Viele der Menschen haben erkannt, dass die Presse teilweise Enten in die Welt setzt, um für ihre Zwecke Meinung zu schaffen. So berichtete der Spiegel-Online, es gebe nur 0,1 % Muslime in Sachsen, also 4.000!!! Alle Medien schrieben diese Zahlen lustig ab und es wurde eines DER Argumente. Aber, eine kurze Recherche hätte erläutert, dass allein in Leipzig 9.000 Muslime gemeldet sind. So wird Öl ins Feuer gegossen, um seine, falsche, Meinung zu untermauern. Die Masse der Bevölkerung hat gelernt, ziemlich schnell sogar.“

Wenn man schon die Antworten auf seinen Kommentar bringt, wäre zumindest sein erster Kommentar ebenfalls aufzuführen gewesen.

Auch andere Kontra-Kommentatoren hätte man in die Top-Argumente-Rubrik aufnehmen können, es gab viele unter den über fünfhundert Beiträgen, die im Sinne der oben genannten Maximen durchaus zitierbar sind. Drei Beispiele:

„Clara Schwarze/09.01.2015 21:31

Bitte?! Sie können doch nicht eine bei aller Kritik Bewegung wie PEGIDA, die friedlich innerhalb der deutschen Gesetze agiert, auch wenn man sie nicht mögen muss, mit den Attentätern von Paris gleichsetzen, weil beide so irgendwie die Presse kritisieren. Ehrlich gesagt verstehe ich das eher als Hinweis für ein zwischen völlig verqueres Selbstbild der Presse. Sie haben keine sakrosankte Prediger-Position, die nie kritisiert werden darf, sondern Sie müssen – genauso wie alle anderen demokratischen in einer Gesellschaft – Kritik aushalten. „Lügenpresse“ ist vielleicht beleidigend und hat einen bedenklichen Hintergrund – aber man kann es nicht in einen Topf mit einem perfiden Mordanschlag werfen. Abgesehen davon, wird der Presse etwas völlig unterschiedliches vorgeworfen. PEGIDA behauptet – unabhängig davon, ob das nun immer stimmt – dass die Presse ihre demokratische Rolle vernachlässigen würde. Die Attentäter von Paris wollen gerade das demokratische Grundrecht „nichts ist heilig“ ausschalten.

Nestor Knarr/10.01.2015 12.25

Der Leser hat das Vertrauen des Redakteurs verscherzt. Wäre es da nicht einfacher, der Redakteur wählte sich einen anderen Leser? Der Artikel und die Zeichnung sind ein schönes Beispiel für die Art von dialektischem Zwiedenken, die einen Teil der Leserschaft zum Schluss bringt, dass sie den Medien nicht mehr vertrauen kann. Friedliche Demonstranten werden textlich und bildlich in einen Topf mit islamistischen Terroristen geworfen, nur weil sie nicht einer Meinung über Ursache und Wirkung mit Herrn Heinen sind. Herr Heinen schadet seinem Berufstand damit genau so wie der RTL Journalist, der als agent provocateur versuchte Pegida in die rechte Ecke zu stellen.

Suvrajit Saha/11.01.2015 13:12

@ FAZ und Zeitungsverleger: Eine Entschuldigung ist fällig

Ich kann mich hier mit Prosa beschäftigen, möchte es aber auf den Punkt bringen. Sie haben Ihre Macht als „Journalisten“ bewußt und mutwillig missbraucht. Sie haben diese zutiefst schockierende Gelegenheit genutzt den eigenen egoistischen Zweck zu erfüllen, nämlich eine Hetzkampagne gegen Pediga hochzutreiben. Sie trauern nicht um die Ermordeten in Paris, sondern offenbaren sich als eine Truppe schamloser, machtgeiziger Personen ohne Moral und Gewissen. Sie möchten sich jetzt öffentlich entschuldigen. Das ist keine Bitte. Es ist eine Aufforderung.“

Aber solche Kommentare wurden nicht als würdig angesehen, einen „grünen Punkt“ zu bekommen. Einen Tag später hatte sich die Rubrik Top-Argumente verändert. Die Proteste in den Leserkommentaren über diese eigenartige Interpretation von Fairness waren aber auch unübersehbar geworden. Hier nur ein Beispiel:

„Wolfgang Walter/10.01.2015 17:07

Debatte findet hier nicht statt …. peinlich für „Qualitätsjournalismus“

Liebe Redaktion, bisher bin ich zufriedener Leser Ihres Blattes. Umso mehr enttäuscht mich Ihr Umgang mit der hier vorgetragenen differenzierten Kritik an den Äußerungen von Herrn Heinen zutiefst. Welche Debatte stellen Sie sich vor, wenn die von Ihnen ausgewählten TOP 10-Argumente vollständig Herrn Heinens wirklich fragwürdige Argumentation unterstützen? Wie viele andere hier finde ich Herr Heinens Versuch, irgendeine Wesensverwandtschaft zwischen den Pegida-Demonstranten und den Mördern von Paris herzustellen, maßlos überzogen, scheinheilig und kontraproduktiv. Ja, Presse- und Meinungsfreiheit gehören untrennbar zusammen. Man kann nicht die Meinungspluralität in unserem Lande einschränken, indem man Kritik an schlechtem Journalismus und fragwürdiger, tendenzieller Berichterstattung mit dem Argument des Angriffs auf die Pressefreiheit versucht, mundtot zu machen. Um zu Recht Souveränität gegenüber grobschlächtiger Kritik einzufordern zu können, müssen Sie diese auch vorleben.“

Bösartige Beschimpfung

Die Rubrik „Top-Argumente hatte ab 11.01.2015 jedenfalls nur noch drei Einträge. Die Kommentare der Herren Moritz und Pfaff durften bleiben, alle anderen sind ohne weitere Erklärung verschwunden. Neu hinzu kam aber ein Pro-Kommentar, den man ohne Umstände als bösartige Beschimpfung der Leser auffassen kann, die Kontra-Kommentare abgegeben haben:

„Christoph Panitz/11.01.2015 08:30

Herr Raack, Sie können sicher sein, dass die überwiegende Mehrheit die These von der Unfähigkeit, andere Ansichten zu tolerieren, gar nicht verstanden hat, mangelt es ihr schlicht an Lesekompetenz und Bildung. Das können Sie doch tagtäglich hier im Forum beobachten. Es gibt allerdings auch einen gewissen Prozentsatz von durchaus Intellektuellen, die ihre Fähigkeit nutzen, die einfach gestrickten Gemüter mit Halbwahrheiten und Verzerrungen von Fakten zu befeuern und manipulieren. Sie stellen die eigentliche Gefahr in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen dar. Ihnen muss man paroli bieten. Das ist der einzige Grund, warum ich hier überhaupt kommentiere, und nicht wegen der vielen Trolls.“

Diese Kritik ist weder differenziert noch konstruktiv, im Gegenteil, sie behauptet dünkelhaft, dass der überwiegenden Mehrheit der Kontra-Kommentatoren schlicht die Bildung fehle, um die Richtigkeit der Aussagen in Heinens Beitrag zu erkennen. Die wenigen Intellektuellen, die hier Kontra-Kommentare abgäben, seien dagegen Anti-Demokraten, die die einfach gestrickten Gemüter mit Halbwahrheiten manipulieren würden. Und weil sie die anderen verführen, seien sie die eigentliche Gefahr „in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen“. Diese geradezu verschwörungstheoretische und äußerst schlicht gestrickte Ansicht ist nach Meinung der FAZ-Redaktion ein Top-Argument. Auffällig ist, dass bei über 500 Kommentaren wieder nur der schon einmal zitierte Herr Panitz zum Zuge kam, der auch schon beim ersten Anlauf grün-punkt-würdig befunden wurde. Auch wieder seltsam ist, dass der Beitrag wieder nur eine Antwort auf einen anderen Kommentar ist, der hier nicht aufgeführt wird, somit kann der Leser, der nur die Rubrik „Top-Argumente“ durchsieht, den Kontext der Aussage gar nicht nachvollziehen. Müßig zu sagen, dass diese revidierte Auswahl in der Rubrik „Top-Argumente“ somit ebenso wenig die Diskussion widerspiegelt wie die Auswahl vor dem 11.01.2015.

Mit der Auswahl der Beiträge in der Rubrik „Top-Argumente“ der Kommentarfunktion hat die FAZ erkennbar Schwierigkeiten, die Meinungen ihrer kommentierenden Leser auf faire Weise wiederzugeben. Solche und ähnliche Manipulationen, so täppisch sie auch ausgeführt werden, verstärken in letzter Zeit die Angst, dass in dieser Republik die Grenzen, was als zulässige Meinungsäußerung zu gelten hat, bewusst immer enger gesetzt werden. Und ausgerechnet die Branche, für die die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung existentiell ist, geht freudig voran?

 

Anmerkungen

[1] Berthold Kohler, „Blut auf die Mühlen“, FAZ.net: http://www.faz.net/aktuell/politik/kommentar-zum-anschlag-auf-satiremagazin-charlie-hebdo-13358326.html

[2] Helmut Heinen, „Wehren wir uns“, FAZ.net: http://www.faz.net/aktuell/politik/aufruf-der-zeitungsverleger-wehren-wir-uns-13361546.html

[3] Bettina Röhl, „Charlie Hebdo und die schlimme Brunnenvergiftung von Bertold Kohler und Helmut Heinen“, http://www.rolandtichy.de/kolumnen/bettina-roehl-direkt/charlie-hebdo-und-berthold-kohlers-schlimme-brunnenvergiftung/

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