Liberale mit sozialem Gewissen
Bloß keine „hemmungslose Wirtschaft“ und „spätrömische Dekadenz“: Die neue liberale Partei tritt für eine freie und soziale Gesellschaft ein. Hier sind ihre Grundsätze.
Es wird konkret. Die von ehemaligen Hamburger FDP-Politikern geplante neue liberale Partei nimmt Gestalt an. Erste Grundsätze sind gefasst, der Entwurf für eine Bundessatzung ist geschrieben. Und am Sonntagabend wird es nach Informationen der „Welt“ in Hamburg eine Art Vorgründung geben, mit der die Voraussetzungen für einen Gründungsparteitag Ende des Monats geschaffen werden.
Die neue Partei will an die sozial-liberale Ära der 1970er Jahre anknüpfen und geht auf größtmögliche Distanz zur heutigen FDP. „Wir sehen unser Verständnis von Liberalismus in der Partei nicht vertreten“, sagt Najib Karim, einer der Initiatoren der neuen Partei. Zu seinen Mitstreitern zählen die bisherige Hamburger FDP-Landesvorsitzende Sylvia Canel, der frühere Zweite Hamburger Bürgermeister Dieter Biallas und mit dem langjährigen stellvertretenden Chefredakteur der „Zeit“, Haug von Kuenheim, ein enger Weggefährte der verstorbenen „Zeit“-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff.
Ihr Ziel sei eine „freie Gesellschaft, in der jeder Mensch in seiner Individualität geachtet wird und sich entfalten kann“, heißt es in den Grundsätzen der Partei, die der „Welt“ vorliegen. Und weiter: „Deshalb stellen wir den Menschen und seine Chancen mit besonderem Blick auf die Rechte der künftigen Generationen in das Zentrum unseres politischen Handelns.“
Keine hemmungslose Wirtschaft
In ihrer Programmatik formulieren die Parteigründer im weitesten Sinne politische Grundsätze einer liberalen und solidarischen Gesellschaft, einer auf Bürgerrechten fußenden Sicherheitspolitik, einer transparenten Demokratie einer menschlichen Bedürfnissen gerecht werdenden Wirtschaft. Sie bilden das Fundament für das später zu erarbeitende und von einem Parteitag zu beschließenden Parteiprogramm.
In allen Punkten gehen die neuen Liberalen augenfällig auf Distanz zur FDP, die sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem als Wirtschaftspartei sah. „Wir wollen eine starke, aber keine hemmungslose Wirtschaft“, schreiben sie. „Wirtschaft ist für uns kein Selbstzweck. Jeder hat als Voraussetzung zur materiellen Freiheit ein Recht auf Arbeit unter menschenwürdigen Bedingungen und zu fairen Löhnen.“ Leistung müsse sich „immer lohnen“. Dies gelte auch für Künstler, Unternehmer, Selbständige und Freiberufler.
Zu ihrer Idee einer freien Gesellschaft gehören unabdingbar auch Chancengleichheit und Solidarität. „Kreativität, Schaffenskraft, Teilhabe und Solidarität der Menschen bedingen einander und haben die Freiheit als nötiges gemeinsames Fundament“, heißt es in den Grundsätzen. Die neue Partei werde sich für „Freiheit, Toleranz und Verantwortung“ einsetzen, damit Fortschritt und Solidarität erreicht werden können. Nur so lasse sich die Zukunft „sicher und positiv gestalten, zum Wohle der Menschen und der Natur“.
Gegen soziale Ungerechtigkeit
Gesellschaftlicher Fortschritt bedeute für die neue liberale Partei, „dass jeder unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Herkunft, seiner religiösen Überzeugung oder sexuellen Orientierung sein Leben frei gestalten, sich frei entfalten und in die Gesellschaft gleichberechtigt einbringen kann“. Wörtlich schreiben die Initiatoren: „Bedingung ist hierfür aber auch die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten und der Beistand für Menschen in sozialer Not und Förderung von deren Fähigkeiten und Talenten. Wir wollen soziale Not nicht verwalten, sondern bekämpfen und vertrauen dabei dem Leistungsvermögen jedes Einzelnen.“
Für die Fähigkeit zur Selbstbestimmung bedürfe es besserer Bildungschancen für viele Teile der Gesellschaft. „Benachteiligung aus Herkunft und sozialem Hintergrund müssen ausgeglichen werden“, schreiben sei.
Vergleichbares hatte die FDP zuletzt im Jahr 1971 in ihren „Freiburger Thesen“ formuliert, die Ausdruck der sozial-liberalen Politik mit der SPD in der Ära Willy Brandt waren. Darin sprach sich die FPD unter anderem für eine Demokratisierung der Gesellschaft aus und wollte den Kapitalismus in die Schranken weisen. Zehn Jahre später allerdings forderte Otto Graf Lambdsdorff genau das Gegenteil und schuf mit einem Thesenpapier, das auf den Vorstellungen der Monetaristen der Chicagoer Schule beruhte, nicht nur die Voraussetzung für den Bruch der sozial-liberalen Koalition, sondern auch für den Siegeszug des Neoliberalismus in Deutschland. Dieser Geist umweht die FDP bis heute.
Westerwelle und Hartz IV
„Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein“, schrieb der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle etwa im Februar 2010 in der „Welt“. Anlass war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze anmahnte. „Die Regelleistungen sowohl des Arbeitslosengeldes II für Erwachsene als auch des Sozialgeldes für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres genügen dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht“, sagte der damalige Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier in seiner Urteilsverkündung.
Inzwischen bedauert Westerwelle seine Formulierung. Aber hat sich das Denken der Parteispitze geändert, wenn der amtierende Vorsitzende Christian Lindner der nordrhein-westfälischen Landesregierung empfiehlt, sie solle das Geld, mit dem sie Sozialtickets subventioniere, lieber in den Straßenbau stecken. „Das Solidarprinzip ist durch das Leistungsprinzip erfüllt“, sagt Lindner. Zwischen solchen Aussagen und der Formulierung „Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten und der Beistand für Menschen in sozialer Not“ aus den Grundsätzen der neuen liberalen Partei gibt es keine Schnittmengen.
Anders ist dies etwa beim Thema Umwelt. Da schreibt die neue Partei: „Nachhaltigkeit bedeutet für uns daher einen schonenden und verantwortungsvollen Umgang mit den finanziellen und den natürlichen Ressourcen. Wir wollen den Energieverbrauch senken und die Umweltbelastung bremsen.“ Das könnte wohl auch der FDP-Vorstand unterschreiben.
„Aktive Friedenspolitik“
Beim Thema Rechtsstaat und Sicherheit setzen die neuen Liberalen auf eine „aktive Friedenspolitik“, die „an den gesellschaftlichen Ursachen von Konflikten ansetzen und nicht ausschließlich deren gewalttätige Symptome bekämpfen“ müsse. Mit Blick etwa auf die im Kontext der Terrorbekämpfung erlassenen Gesetze oder auf geplante Eingriffe in die neuen Medien schreiben sie: „Sicherheitspolitik darf nicht mehr auf Kosten der Freiheit gehen. Dies betrifft auch die Einschränkung der Bürgerrechte bei Nutzung moderner Medien.“
Und ihre Sätze zur angestrebten Parteikultur erinnern unweigerlich an die Ausgrenzungsdiskussion um Euro-Kritiker wie Frank Schäffler in der FDP. „Auch innerparteilich wollen wir breite Diskussionen zulassen, bei denen auch Meinungen von Minderheiten respektiert werden“, schreiben die Initiatoren der neuen Partei. „Nur meinungsoffene und strukturierte Diskussionen ohne Denk- und Sprachverbote bereichern uns als Partei und bringen uns inhaltlich voran.“
Aus dem Satzungsentwurf geht klar hervor, dass eine Gründung als Bundespartei geplant ist. Dem Gründungsvorstand sollen bis zu 20 Mitglieder angehören. Sitz der Partei soll erst einmal Hamburg sein. In einem zweiten Schritt sollen dann „Landes- und Basisgruppen“ gebildet werden.
Völlig neue ist die Absicht, einen Parteitag zeitgleich an mehreren Orten abzuhalten. Im Satzungsentwurf heißt es dazu: „Der Bundesvorstand kann in Zusammenarbeit mit Basis- oder Landesgruppen bundesweit zeitgleich zum Bundesparteitag Satelliten-Parteitage organisieren, bei denen live der Bundesparteitag übertragen wird und wo anwesende Parteimitglieder ihre Stimmen einer Zählkommission abgeben können.“ Dabei würden die Ergebnisse der lokalen Auszählungen „sofort per Fax und fernmündlich“ an die Zählkommission des Bundesparteitages übermittelt und müssten beim Gesamtergebnis einberechnet werden.