Millionenklage stellt Frage nach dem Einfluss Katars bei VW
Hat VW seinen Vertragshändler in Katar rausgeworfen, um das Geschäft an Verwandte der Herrscherfamilie zu übergeben? So lautet der Vorwurf des geschassten Händlers. Für VW wird es nun unbequem.
Die Klage, die VW-Chef Martin Winterkorn Ende Februar auf den Tisch bekam, birgt einigen Zündstoff. 150 Millionen Dollar Schadensersatz verlangen die Anwälte der internationalen Kanzlei Orrick von VW. Kläger ist Saad Buzwair, der frühere VW- und Audi-Vertragshändler im Emirat Katar. Ihm hatte VW Mitte 2012 gekündigt. Als neuen Händler habe VW eine Verwandte der Herrscherfamilie des Emirats eingesetzt, heißt es in der Klageschrift. Katar ist seit 2009 der drittgrößte VW-Aktionär und verfügt über zwei Sitze im Aufsichtsrat.
Die Klage selbst wird Winterkorn kaum überrascht haben. Denn schon im April 2012, als sich das endgültige Aus für den Händler abzeichnete, bekam er Post der Orrick-Anwälte. In dem fünfseitigen Schreiben, das der Klage beiliegt, hatten sie nicht nur deutlich gemacht, dass sie die Kündigung für rechtswidrig hielten und notfalls Schadensersatz erheben würden.
Zudem erhoben sie gewichtige Vorwürfe gegen die Art und Weise des Umgangs mit ihrem Mandanten. So klang zwischen den Zeilen an, der Rauswurf sei von der Absicht der verantwortlichen VW-Manager motiviert, sich bei hochrangigen Kreisen in Katar und des Katarischen Staatsfonds beliebt zu machen. Es stelle sich die Frage, so formulierten die Anwälte in vornehmer Zurückhaltung, ob nicht „Sondervorteile für einzelne Aktionäre gewährt“ würden. Das werde „gegebenenfalls auch die Hauptversammlung zu beschäftigen haben“.
Dieser Brief dürfte die VW-Führung aufs Höchste alarmiert haben. Schließlich sind „Sondervorteile für einzelne Aktionäre“ kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verstoß gegen das Aktienrecht und die Treupflichten des Managements. Die Frage der Anwälte ist vor allem vor dem Hintergrund der der Eigentumsverhältnisse bei VW pikant.
Der Al-Thani-Clan stieg im August 2009 mit seiner Qatar Holding in einer für VW kritischen Phase in den Konzern ein und sicherte damit die Porsche-Übernahme. Bereits im Dezember desselben Jahres stockte das Emirat seinen Anteil an Europas größtem Autobauer von 7 auf 17 Prozent auf. Als drittgrößter VW-Aktionär nach den Familien Porsche und Piëch und dem Land Niedersachsen hat das monarchisch regierte Katar erheblichen Einfluss auf die Konzernpolitik. Außerdem verfügt es über zwei Sitze im Aufsichtsrat.
Damit allein wäre die Angelegenheit, mit der sich Winterkorn sich auf dem Zenit seines Erfolges beschäftigen muss, schon unangenehm genug. Doch auch die Vorgeschichte hat es in sich. In der Klageschrift heißt es, VW habe bereits zu einem früheren Zeitpunkt versucht, ihren Vertragshändler in Katar durch ein Mitglied der Herrscherfamilie zu ersetzen. Die Klage verweist dabei auf allerhöchste Kreise des Emirats. So sollen VW-Manager schon 2006 massiven Druck auf Buzwair ausgeübt haben, sein Geschäft an Sheikh Jassim bin Hamad Al Thani, den Sohn des heutigen Premierministers Hamad bin Jassim Al Thani zu übertragen. Erst nachdem sich Sheikh Jassim als unfähig erwiesen habe, sei VW zu Buzwair zurückgehrt. Sollte das stimmen, dürfte sich die Frage stellen, wie VW es mit der Compliance mit den eigenen Unternehmensgrundsätzen hält.
Konkret geht es um den Vertrieb von VW- und Audi-Fahrzeugen in Katar. Im Juli 2007 schloss VW hierzu den jetzt strittigen Vertrag mit Buzwair, einem erfolgreichen qatarischen Geschäftsmann. Sein Unternehmen „Saad Buzwair Automotive Company“ (SBA) mit Sitz in Doha baute den Vertrieb in Katar auf. Trotz mancher Anlaufschwierigkeiten verzeichnete Buzwair der Klage zufolge bei den Verkäufen rasch zweistellige Steigerungsraten und Bestnoten bei der Kundenzufriedenheit. Das habe ihm auch VW-intern höchste Anerkennung eingebracht. Dennoch ist er jetzt nach nur fünf Jahren aus dem Rennen, denn VW suchte sich einen neuen Vertriebspartner. Der will für seine entgangenen Umsätze jetzt 150 Millionen Dollar Schadenersatz.
Mit Buzwair habe es einen Vertrag gegeben. Das bestätigte VW nach Vorlage eines Fragenkatalogs, in dem mögliche Verbindungen ins Königshaus ebenso thematisiert werden wie die VW-Unternehmensgrundätze und die Höhe der Schadenersatzforderung. „Es bestand eine vertragliche Vereinbarung zwischen der Audi Volkswagen Middle East (AVME) und der Saad Buzwair Automotive Company (SBA) für den Vertrieb der Marken Volkswagen und Audi in Qatar“, sagte VW-Sprecher Enrico Beltz. Dieser Vertrag sei „gemäß zeitlicher Vereinbarung“ für die Marke Volkswagen ausgelaufen. Für die Marke Audi sei er fristgerecht gekündigt worden. Seit dem 1. Juli 2012 bestehe eine Vertriebsvereinbarung für die Marken Volkswagen und Audi mit einem neuen Partner. „Die Vertragsbeendigung mit der SBA unterliegt aktuell einem Schiedsverfahren nach den Regeln der ICC, Paris. Aufgrund der Vertraulichkeit von Schiedsverfahren können wir darüber hinaus keine Angaben machen“, sagte Beltz.
Die Orrick-Anwälte lehnten eine Stellungnahme auf Anfrage ab. In der Klageschrift halten sie dagegen, die Kündigung sei rechts- und treuwidrig. Vor allem aber – so hatten sie Winterkorn im Vorfeld geschrieben – beruhe sie „offensichtlich auf sachfremden, möglicherweise extern beeinflussten Motiven, die den Grundsätzen einer lauteren Unternehmensführung und den Compliance-Regeln“ von VW zuwiderlaufen dürften. Ein Streit über die Kündigung und deren Hintergründe hätte daher „potentiell unabsehbare Folgen für alle Beteiligten und könnte die Marken Volkswagen und Audi in Qatar massiv beschädigen.“
Der Klage zufolge kam es folgendermaßen zum Vertragsende mit SBA: Im März 2011 habe Volkswagens Nahost-Vertretung, die Audi Volkswagen Middle East FZE aus Dubai, SBA „überraschend“ und ohne Angabe von Gründen angekündigt, die bestehenden Vertriebsverträge für Volkswagen und Audi in Qatar zum 30. Juni 2012 beenden und neu vergeben zu wollen. Dem habe SBA ausdrücklich widersprochen. Dennoch habe VW ein Auswahlverfahren zur Neuvergabe eingeleitet und dazu am 27. November 2011 auch SBA eingeladen. Um Kooperationsbereitschaft zu signalisieren, habe SBA sich an dem Verfahren beteiligt. Zumal Audi-Manager Buzwair seinerzeit zu verstehen gegeben hätten, dass angesichts der Verkaufserfolge und seiner Verkaufs- und Werkstattinfrastruktur die Auswahl für SBA gleichsam ein Selbstläufer sein werde. Vor diesem Hintergrund, so die Anwälte, spreche alles dafür, dass die Bewerbung von SBA „am besten bewertet wurde und die Juroren dementsprechend eine Vergabe an unsere Mandantin empfohlen haben“. Gleichwohl sei der Vertrag nach dem Auswahlverfahren überraschend an ein anderes Unternehmen vergeben worden.
In der Klage argumentieren die Anwälte auch mit finanziellen Schäden durch die Neuvergabe des Vertriebs für den VW-Konzern. Den Zuschlag habe ein Unternehmen unter Leitung von Sheikha Hanadi Nasser bin Khaled Al Thani erhalten, ebenfalls eine Angehörige der qatarischen Herrscherfamilie, behaupten sie. Die Sheika verfüge weder über adäquate Verkaufs- und Werkstatteinrichtungen, noch über qualifiziertes Servicepersonal. Die Verkaufszahlen seien daraufhin massiv eingebrochen; einen funktionieren Werkstattservice für VW und Audi – wesentliches Verkaufsargument in außereuropäischen Ländern – gebe es seither nicht mehr. Das über Jahre aufgebaute Kundenvertrauen sei über Nacht zerstört worden.
Unternehmerisch erklären lasse sich das nicht, so Buzwairs Anwälte. Vielmehr dränge sich der Verdacht auf, dass „extern gesetzte Gründe, die mit den objektiven Vorzügen und Verdiensten der Interessenten nichts zu tun haben, auschlaggebend sind“. Der Austausch des Vertriebspartners, so schrieben sie an den VW-Chef, „dürfte vor diesem Hintergrund gegen die Verhaltensgrundsätze (Code of Conduct) Ihres Unternehmens verstoßen.“ Zu alldem wollte VW gegenüber der „Welt“ nicht Stellung nehmen.
Wirtschaftlich steht der Konzern heute glänzend da. Gerade erst meldete er 192 Milliarden Euro Umsatz und einen Gewinn nach Steuern von 22 Milliarden Euro. Das Geschäft in China boomt, weltweit beschäftigt VW eine halbe Million Arbeitnehmer. Und nun werfen die Vorwürfe aus Qatar und die 150 Millionen-Forderung einen lästigen Schatten auf das strahlende Image.
Das Nachsehen könnten nicht nur der VW-Konzern und seine Aktionäre haben, sondern auch die Kunden. Der Klage zufolge werden VW- und Audi-Besitzer in Qatar für Wartung und Reparaturen derzeit an eine Mitsubishi-Werkstatt verwiesen, die den Service bis heute nicht in den Griff bekommen habe.
Geschrieben für die „Die Welt„