Wachsende Sorge vor einem Kollaps der Versicherungen

Stehen nach den Banken demnächst die Versicherungen auf der Kippe? In Finanzkreisen heißt es, die Versicherer drohten in einen Teufelskreis zu geraten. Sie bräuchten dringen Hilfe. Die Altersvorsorge vieler Menschen stehe auf dem Spiel. Die Finanzaufsicht BaFin wiegelt ab.

In der Finanzbranche wächst die Sorge um die Versicherungen. Experten warnen vor einer finanziellen Schieflage besonders der kleinen Institute. Kaum jemand mag offen darüber reden. Einzig der renommierte Volkswirtschaftler Wilhelm Hankel bezieht klar Stellung: „Es stellt sich die Frage: Wie kann unser Versicherungswesen die nächsten Monate überleben, wenn es auszahlen muss, aber keine Einnahmen mehr erzielt?“, sagt er. Sein Fazit: „Möglicherweise verhungert gerade einer der wichtigsten Sektoren der Volkswirtschaft.“

Hankel warnt vor einem Kollaps der Versicherungen, weil es für sie immer schwieriger werde, die nötigen Überschüsse zu erzielen. Seiner Ansicht nach, lebt die Branche von der Substanz. „Die Frage ist, wie lange das noch möglich ist“, sagt er im Gespräch mit „GEOLITICO“.

Das Thema ist heikel, betrifft es doch die Altersvorsoge von Millionen Menschen. Was wird aus ihren Lebensversicherungen, denen die Institute einst eine Verzinsung von vier Prozent garantierten? Bekommen sie am Ende nur einen Teil ausgezahlt oder womöglich gar nichts mehr, weil die Versicherungen, wie Hankel befürchtet, die Krise nicht überleben?

Aus den Versicherungen selbst kommen keinerlei Alarmsignale. Die jüngsten Quartalszahlen der großen Versicherer waren solide. Allerdings führten unter anderem anhaltend niedrige Zinsen im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu einem Gewinneinbruch beim Schweizer Versicherer Zurich um 19 Prozent auf 1,075 Milliarden Dollar, berichtete das „Handelsblatt“. Zurich, wo Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann an der Spitze des Verwaltungsrates sitzt, dürfte nicht das einzige Unternehmen gewesen sein, dass unter dieser Situation leidet.

„Die Versicherer können schlicht die vier Prozent, die sie ihren Kunden garantierten, nicht mehr erwirtschaften, wenn sie nur 1,3 Prozent auf ihre Anleihen bekommen“, sagen denn auch Unternehmensberater. Im vergangenen Jahrzehnt legten Versicherer einen Großteil ihres Geldes in Staatsanleihen an, weil die als sicher galten und hohe Renditen versprachen. Inzwischen mussten sie in großem Stil ihre Engagements in Griechenland und Portugal abschreiben. Für die verbliebenen Anlagemöglichkeiten in finanziell sicheren Staaten gibt es jedoch kaum Zinsen.

Auf die Frage von GEOLITICO, ob die deutschen Versicherer ihre Auszahlungen noch aus den Zinseinnahmen leisten können, antwortete die BaFin wörtlich:

 „Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags überwacht die BaFin den gesamten Geschäftsbetrieb der Versicherungsunternehmen und achtet darauf, dass die Versicherungsunternehmen ihre Verpflichtungen aus den Versicherungen dauerhaft erfüllen können. Die Verpflichtungen der Versicherer schlagen sich in der Bildung angemessener Rückstellungen nieder, die wiederum durch entsprechende Kapitalanlagen bedeckt sein müssen. Hierdurch ist gewährleistet, dass Auszahlungen jederzeit geleistet werden können.

Hiervon zu trennen sind die Zinsverpflichtungen aufgrund abgegebener Garantien, zum Beispiel bei der klassischen kapitalbildenden Lebensversicherung, die eine große Rolle in der privaten Altersvorsorge spielt. Die Versicherer garantieren dem Versicherungsnehmer den Zinssatz auf den sog. „Sparanteil“ für die gesamte Vertragslaufzeit. Dieser Zinssatz ist zunächst aus den Kapitalanlagen zu erwirtschaften. Derzeit liegt die durchschnittliche Rendite der Kapitalanlagen deutlich über der durchschnittlichen „Zinsgarantie“ im Versicherungsbestand. Neben den  Zinserträgen erwirtschaften die Versicherer noch Gewinne aus anderen Ergebnisquellen, zum Beispiel Risikogewinne und Kostengewinne. Die Versicherer können somit ihre Garantieverpflichtungen erfüllen.“

Ist Hankels Sorge vor einem Kollaps, die von Unternehmensberatern geteilt wird, also unbegründet? „Ich halte einen Kollaps der Versicherungen für gefährlicher als einen Bankenkollaps“, sagt der Volkswirt. „Für die Banken gibt es immerhin noch einen Einlagensicherungsfonds.“

Finanzexperten verweisen auf einen weiteren Aspekt, der ihrer Meinung nach die Lage der Versicherungen zusätzlich verschärft. Die EU legt den Versicherern mit „Solvency II“ einheitliche Anforderungen an Eigenkapital und Aufsicht auf. Das heißt, sie müssen ihre Investments ab 2013 mit deutlich mehr Eigenkapital als bisher hinterlegen. „So geraten sie in einen Teufelskreis“, heißt es Finanzkreisen. Sie müssen mehr Eigenkapital vorhalten während gleichzeitig die Anlagemöglichkeiten wegbrechen.

Die BaFin als Aufsichtsbehörde behauptet das Gegenteil.

Aber: Wie wackelig einige deutsche Versicherer aufgestellt sind, zeigte sich bereits bei einem Stresstest der Finanzaufsicht BaFin im Jahr 2010, als die wirtschaftliche Lage längst noch nicht so angespannt war. Damals fielen dreizehn Lebensversicherer durch. Ist also doch was dran an Hankels Warnung vor dem Kollaps?

Unser Newsletter – Ihr Beitrag zur politischen Kultur!

Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

×