Die legale und die illegale Seite deutscher Waffengeschäfte
Über Jahre hinweg war der Schnellfeuerkarabiner vom Typ „HK 416“ in enger Absprache zwischen deutschen Technikern und der US-Spezialeinheit „Delta Force“ entwickelt worden. Rasch sprach sich die Qualität der Waffe auch unter den Verbündeten herum. Inzwischen schießen französische, niederländische und polnische Spezialeinheiten damit. Und seit den tödlichen Schüssen auf bin Laden wird dem Sturmgewehr „Made in Germany“ im Internet geradezu gehuldigt: „Es war die logische Wahl für den Einsatz gegen Bin Laden“, heißt es dort auf einschlägigen Seiten.
Weltweit steht die Rüstungsschmiede Deutschland hoch im Kurs. Beliebt sind nicht nur die Schusswaffen aus dem Hause Heckler & Koch, auch Kriegsschiffe aus dem Thyssen-Krupp-Konzern oder Panzer aus dem Hause Krauss-Maffei Wegmann stehen ganz oben auf den Einkaufslisten der Militärs. Allein in den Jahren von 2004 bis 2009 stiegen die deutschen Rüstungsexporte um 70 Prozent, ermittelte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. Fast verdoppelt hätten sich dabei die Ausfuhren an europäische Abnehmer. Insgesamt habe Deutschland im genannten Fünfjahreszeitraum für 11,5 Milliarden Dollar Rüstungsgüter verkauft.
Damit wuchs der deutsche Weltmarktanteil auf rund elf Prozent. Nur die Amerikaner und die Russen exportieren noch mehr. Der Weltmarktanteil der USA beträgt 30 Prozent, die Russen kommen auf 23 Prozent.
Hauptkunden der deutschen Waffenhersteller sind Griechenland, Südafrika, die Türkei, Südkorea oder auch Malaysia. In den vergangenen zehn Jahren war auch das Königreich Saudi-Arabien fast durchgängig unter den ersten 20 Bestimmungsländern für deutsche Rüstungsexporte. Nach einer kleinen Delle im Jahr 2002, als die Saudis für „nur“ 26,5 Millionen Euro einkauften, stiegen die Exporte bis 2008 kontinuierlich an. Damals erhielt der Ölstaat Waffen im Wert von 170,4 Millionen Euro, darunter Gewehre, Pistolen, Munition, leichte Panzerfahrzeuge, Raketenteile oder auch Tankflugzeuge.
Gern würden die Scheichs ihre Armee zudem mit dem deutschen Kampfpanzer „Leopard 2“ ausrüsten. Doch alle Anfragen nach dem Qualitätsprodukt des Münchner Waffenherstellers Krauss- Maffei Wegmann beschied die Bundesregierung in der Vergangenheit abschlägig. Israelische Sicherheitsinteressen standen dem Geschäft im Weg.
Nun aber soll Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Haltung aufgegeben haben. Unter ihrem Vorsitz habe der Bundessicherheitsrat, dem einige Minister angehören, erstmals eine Lieferung von 200 „Leopard“-Kampfpanzern an den Golfstaat genehmigt, heißt es. Angeblich soll es sich um einen Auftrag im Wert von 1,7 Milliarden Euro handeln, der mit einem gigantischen Waffengeschäft über 60 Milliarden Dollar zwischen den USA und dem saudischen Königshaus zusammenhänge, über das der US-Kongress demnächst abstimmen müsse.
Tagelang schwieg die Regierungschefin zu den Gerüchten. Nun aber gibt es erste Hinweise, die als vage Bestätigung gewertet werden könnten. In der Kabinettssitzung am Mittwoch habe Merkel ihre Minister angeraunzt, sie wundere sich doch sehr, dass aus solchen geheimen Gremien etwas nach außen dringe, schreibt „Spiegel online“. Öffentlich sagt Merkel: „Beratungen und Beschlüsse im Bundessicherheitsrat sind aus gutem Grund geheim.“
Damit aber will sich die Opposition nicht abfinden. Sie verlangt Aufklärung. Immerhin habe es in der Vergangenheit schon häufiger windige Geschäfte gegeben, sagt etwa der Grüne Hans-Christian Ströbele. Er erinnert an den Verkauf von 36 Fuchs-Spürpanzern an die Saudis im Jahr 1991. „Der Kaufpreis betrug 226 Millionen Mark. Gezahlt haben die Saudis am Ende 446 Millionen Mark“, sagte Ströbele der „Welt am Sonntag“. Von den überschüssigen 220 Millionen Mark seien, so Ströbele, unter anderem die Schmiergelder des im Gefängnis sitzenden Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber gezahlt worden.
Zu Beginn der 90er-Jahre gab es gleich eine Reihe von zweifelhaften Rüstungsgeschäften. Im März 1992 stürzte der damalige Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) über die Lieferung von 150 Kampfpanzern des Typs „Leopard 1“ an die Türkei. Sie waren unter strengster Geheimhaltung über den Emder Hafen verschifft worden, obwohl der Haushaltsauschuss des Bundestages den Verkauf gesperrt hatte. Die Lieferungen tauchten in keiner amtlichen Schiffsliste auf, Hafenmitarbeiter sprachen damals von „Geisterschiffen“.
Ein Jahr später wollten Werften des Thyssen-Krupp-Konzerns ein Ausfuhrverbot nach Taiwan umgehen, indem sie den Umweg über die USA suchten. Die größte deutsche Werftengruppe beschäftigt heute 5300 Mitarbeiter, macht 1,3 Milliarden Euro Umsatz im Jahr und ist Weltmarktführer beim Verkauf militärisch genutzter U-Boote. Taiwan hatte damals bis zu zehn U-Boote und bis zu 16 Korvetten im Gesamtwert von 20 Milliarden Mark angefragt. Doch der Plan, den beteiligten US-Konzern Rockwell als Hauptauftragnehmer auftreten zu lassen, zerschellte an der öffentlichen Kritik.
Es war keine gute Zeit für die Rüstungsindustrie. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schränkten etliche Nato- Staaten ihre Rüstungsausgaben ein. Auch die Bundeswehr wurde kleiner. Die sinkende Nachfrage verlangte den Unternehmen einen schmerzhaften Schrumpfungsprozess ab, der Zigtausende Arbeitsplätze kostete. Vor zwanzig Jahren beschäftigten die deutschen Rüstungsunternehmen noch 400 000 Arbeitnehmer, heute sind es rund 80 000.
In diesen Jahren wuchs die Abhängigkeit von Auslandsaufträgen. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Darum ist der Panzer-Deal mit den Saudis für die deutsche Wirtschaft so wichtig. Allein das Gerücht des Panzer-Geschäftes etwa trieb den Aktienkurs des Unternehmens Rheinmetall um zwölf Prozent in die Höhe. Der Konzern mit Sitz in Düsseldorf liefert das Waffensystem, die Verteidigungselektronik und die Munition für den „Leopard 2“. Mit 10 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund zwei Milliarden Euro ist er eine der großen deutschen Rüstungsschmieden.
Etwa ein Drittel seines Geschäfts macht Rheinmetall im Inland mit der Bundeswehr, zwei Drittel der Umsätze stammen aus dem Export. Große Hoffnungen setzt das Unternehmen auf seinen neuen Schützenpanzer „Puma“. Der wiegt gerade mal 34 Tonnen und ist damit fast halb so leicht wie das mittlerweile 40 Jahre alte Vorgängermodell „Marder“. Neben dem „Puma“ verkauft Rheinmetall Versorgungsfahrzeuge, Geschütze für Marine und Infanterie, Flugabwehrsysteme und Verteidigungselektronik. Fast alle Produkte entwickeln die Rheinmetall-Ingenieure selbst. Ausnahme ist das Transportfahrzeug „Boxer“, das in enger Zusammenarbeit mit Krauss-Maffei Wegmann entstand.
„Wir können nicht nur mit den Bestellungen aus Europa überleben“, sagt auch Stefan Zoller, Chef von Cassidian, einem auf Rüstungsgüter spezialisierten Tochterunternehmen des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS. Früher war Cassidian ein reiner Waffenhersteller, heute bietet das Unternehmen Sicherheitskonzepte und Lösungen im Kampf gegen Cyber-Kriminalität an. Vor zwei Jahren verkaufte es etwa den Saudis eine neue Technik zur Sicherung der Landesgrenze. Der Milliarden-Auftrag beinhaltet eine Überwachungstechnologie, die aus einem Netzwerk an Radarstationen, Sensoren und Kameras besteht und den Wüstenstaat von der Außenwelt abschirmen soll. Cassidian produziert zunehmend auch in den Ländern, in denen es seine Waren feilbietet. Das sind auch sogenannte Schwellenländer wie Brasilien oder Indien. „Von dort kommt das Wachstum“, sagt Zoller.
Musterbeispiel dafür ist aktuell das Ringen um einen Superauftrag für die indische Luftwaffe. Sollte Cassidian den Zuschlag für die Lieferung von 126 Eurofighter- Kampfjets im Wert von elf Milliarden Dollar plus einer Option auf weitere 200 Flieger erhalten, müsste das Unternehmen Fertigungsstätten in Indien aufbauen. Rund die Hälfte der Wertschöpfung soll dann in dem Subkontinent entstehen. Eine solche Vorgehensweise dürfte langfristig gravierende Nachteile für die Betriebe in Europa nach sich ziehen. „Die Inder werden eine eigene Flugzeugindustrie aufbauen“, sagt Zoller.
Kaum bekannt ist ein vergleichbares Geschäft der Firma Heckler & Koch mit Saudi-Arabien. Parallel zu mehreren Lieferungen des Sturmgewehrs „G 36“ an die saudische Armee überließ es dem Wüstenstaat 2008 eine Lizenz zur Herstellung des Gewehrs. Was folgte, war der Bau einer eigenen Produktionsstätte für das „G 36“ im Wüsten-Königreich.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren Heckler & Koch heftig für dieses Geschäft. „Die Herstellung des ‚G-36‘- Sturmgewehrs in Saudi-Arabien ist ein absoluter Skandal“, sagt Mathias John, Rüstungsexperte bei Amnesty International. Genauso denkt er über den in Rede stehenden Verkauf von „Leopard“-Panzern an den Wüstenstaat. Es sei unverantwortbar, Waffen in ein Land zu liefern, in dem tagtäglich die Menschrechte aufs Schwerste verletzt würden.
Noch im vergangenen Jahr sorgte sich auch die Bundesregierung um die Einhaltung der Menschenrechte in dem Königreich. Als Außenminister Guido Westerwelle (FDP) das Thema bei seinen saudischen Kollegen Prinz Saud al-Faisal vortrug, meinte dieser knapp, es gebe halt unterschiedliche Wertesysteme.
Wie groß der Unterschied ist, beschreibt das Auswärtige Amt in einer Länderinformation zu Saudi-Arabien so: „Todes- und Körperstrafen werden verhängt und vollstreckt. Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind stark eingeschränkt. Parteien sind verboten. Politische Aktivisten und Menschenrechtler werden drangsaliert, inhaftiert oder gehen ins Ausland.“
Nun rätseln Rüstungsexperten und Oppositionspolitiker darüber, auf welcher Grundlage der Bundessicherheitsrat entschieden haben könnte, sofern er das Panzer-Geschäft tatsächlich genehmigt hat. Schließlich unterliegt der Handel mit Waffen und anderen Rüstungsgütern strengen Auflagen. In den Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern heißt es unter Punkt eins „Allgemeine Prinzipien“: „Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen.“
Neben dem Panzer-Geschäft mit den Saudis weckt inzwischen ein weiterer Deal ernsthafte Zweifel, ob sich die Regierung an ihre Grundsätze hält. Die Konzerne Rheinmetall und MAN wollen den Transportpanzer „Fuchs“ künftig in Algerien bauen. Zu Algerien vermerkt das Auswärtige Amt: „Die Aufklärung des Schicksals in den Wirren des Terrorismus ,verschwundener%u2018 Personen bleibt eine schwere Hypothek.“ Auch sei dort die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Den Bedenken steht ein Geschäftsvolumen von zehn Milliarden Euro, verteilt auf zehn Jahre, gegenüber.
Günther Lachmann am 10. Juli 2011 für Welt am Sonntag