Die destruktive Kraft des neoliberalen Konsumrauschs

Ökonomie und  Staaten spielen eine verhängnisvolle Rolle als Treiber für einen ruinösen Konsum. Produzenten und Verbraucher tummeln sich in der Anarachie eines durch Werbung und Medien aufgeheizten Marktes, der keinerlei Verantwortlichkeit mehr kennt.

Den Verbrauchern – vorausgesetzt sie haben eine entsprechend gefüllte Brieftasche – geht es so gut wie niemals zuvor. Ein luxuriöses Konsumleben mit einer Fülle von Annehmlichkeiten ist möglich geworden. Verbraucher werden von den Konsumgüter- und Dienstleistungsindustrien hofiert, ja regelrecht verhätschelt und dabei natürlich auch ein Stück „ausgenommen“, denn die Unternehmen wollen ja  verdienen, was sonst? Auch die Politik verhätschelt die Verbraucher als mündig und selbstverantwortlich.

 

Überfluß und Convenience

Flugreisen sind heute eine Selbstverständlichkeit geworden, für zwei Tage von Berlin nach Wien zu fliegen: kein Problem und billiger als mit der Eisenbahn. Urlaub auf Mallorca, in Ägypten, der Türkei oder in den USA – nahezu eine Selbstverständlichkeit. Die EU fördert Fliegen, Auslandssemester und exzessiven Tourismus auch mit einem konsumentenfreundlichen Reiserecht und umfassenden innereuropäischen Dienstreise-Gelegenheiten und Anlässen. Fliegen als Blutkreislauf des Lebens, sozusagen.

Die Assistenzsysteme in den modernen Autos, mit denen uns die Autoindustrie verwöhnt, machen Nachdenken und Vorsicht nahezu überflüssig und vermitteln Sicherheit, Komfort und Omnipotenz für jedes Gelände und alle Gelegenheiten.

Telekommunikation ist preiswert wie nie zuvor, Millionen Mobiltelephone werden jährlich nahezu verschenkt, und Flatrates laden zur Dauerbenützung der mobilen Geräte ein; neuerdings auch gefahrlos im EU-Ausland.

Im Fernsehen kann man aus dreißig, sechzig und mehr Kanälen auswählen und sich alle Abgründe menschlicher Kultur ansehen.

Für nahezu alles gibt es Versicherungen und falls doch was passiert, stehen Rettungsdienste und Hubschrauber parat. Hunderte Wellnesshotels, unterschiedlichste Gastronomieangebote von Luxus über Ethno bis Fast Food. Schnell Zubereitetes gibt es auch für zu Hause, was nicht paßt kann man problemlos wegwerfen[1], eine Flut an Sportmöglichkeiten, Zerstreuungen, Unterhaltung bietet sich an, alles ist kaufbar geworden und in einer nie dagewesenen Fülle erhältlich. Selbst wenn am persönlichen Aussehen etwas nicht paßt, läßt sich das mittlerweile problemlos schönheitschirurgisch beheben. Mit Geld ist praktisch ALLES möglich.

 

Anspruchsniveaus

„Kann denn Luxus Sünde sein? Gerade in Zeiten wie diesen sollte man auch einmal genießen, ohne nachdenken zu müssen.“ Was hier die Chefredakteurin eines Zeitgeistmagazines[2] beruhigenderweise schreibt, ist ja zentrales Thema vieler Werbebotschaften und Marketingstrategien seit Jahrzehnten: ‚Genieße unbeschwert –  und mit XY kannst Du es.‘

Konsum ist nicht nur für die soziale Anerkennung ein wichtiges (Hilfs-)Mittel, sondern auch für die persönliche Identität, für das Selbstwertgefühl[3] eine entscheidende Angelegenheit geworden. Dazu kommt, daß den Verbrauchern auch von der Politik und der Wirtschaftswissenschaft heftig signalisiert wird, daß mehr Konsum gesellschaftlich sehr nützlich ist, eine ganz erwünschte, ja gewissermaßen für das Überleben die entscheidende Sache ist. Wir müssen den Binnenkonsum ankurbeln, heißt es immer wieder von politischen Akteuren.

Politik unterstützt so das von Werbung und Marketing befeuerte, steigende Anspruchsniveau der Verbraucher und natürlich den Verschleißcharakter von Innovationen und den der Güter selbst.

Das ist die eine Seite. Die andere ist, Verbraucher haben auf diese Umgarnungen mit Bequemlichkeit und hohen Ansprüchen reagiert. Sich für ein komplexes technisches Konsumgut die Bedienungsanleitung durchzulesen, ist längst zum Minderheitenprogramm geworden. Die schlechte Reparierbarkeit, etwa bei einem notwendigen Akkutausch, spielt bei Kaufentscheidungen kaum eine Rolle (typisch etwa für Apple-Produkte). Eine breite Auswahl in den Geschäften ist ganz wichtig, aber bei einem Kredit vertraut man seinem gewohnten Bankberater.

 

Die Re-Etablierung von „Luxuskonsum mit Understatement“

Demonstrativer Konsum hat mit gesuchter Anerkennung und daraus bezogenem Selbstwertgefühl zu tun. Für die traditionellen wohlhabenden Schichten, die sogenannte „bessere Gesellschaft“, hat das nicht in diesem Ausmaß gegolten, deren Habitus (Pierre Bourdieu) war eher von Understatement, von einer äußeren Zurückhaltung, von Bescheidenheit getragen. Man muß den Wohlstand nicht zeigen, das eigene Milieu weiß ohnedies, daß man dazugehört, da muß man nicht „neureich“ spielen und kann „kultiviert“ bleiben.

Die Werbeindustrie und die Luxushersteller versuchen in der letzten Zeit ein neues Feld eines Understatement-Luxus-Konsums, oder „Stealth Luxury“,[4] zu entwickeln. Sozusagen: Adidas und die kleinen Mercedesautos für die sich nach Anerkennung sehnende Unter- und untere Mittelschicht, ebenso die jährlich wechselnde mittelpreisige Lifestile-Armbanduhr, der Kreuzfahrt-Urlaub usw., – hingegen das mechanische Luxuschronometer um zehntausend oder dreißigtausend und mehr Euro für die wahren Kenner. Tatsächlich gibt es heute eine ungeahnte Vielfalt bei den besonders hochpreisigen Armbanduhren, das nur als Beispiel, diese Nische ist seit Ende der 90er Jahre richtiggehend aufgeblüht. Auch bei der hochpreisigen Mode, den exquisiten Einrichtungsgegenständen, der hochpreisigen Kunst und den Spitzenlagen bei Immobilien steigt die Nachfrage unverdrossen.

Diese verdoppelte Distinktion – Understatement und ein wenig kenntlicher, ein  undemonstrativer, genießerischer Luxuskonsum – dürfte trotz Krise und steigendem Elend ein ordentlicher Wachstumsmarkt sein. Sozusagen die Attitüde der „besseren Kreise“. Die Medien und ihre hohe Anfälligkeit für PR werden schon dafür sorgen,[5] damit ist dann auch die nächste Stufe der Konsumexpansion und ihrer Folgen sichergestellt.

Gerade im Verbund aus Werbung, vorgelebter und gesehener Stealth Luxury und der Medienberichterstattung, wird eine subtile Sogwirkung auf das Konsumverhalten insgesamt erzeugt. Understatement-Konsum wirkt ja besonders vornehm: „Glauben Sie mir, wir geben uns nur mit vornehmen Leuten ab, mit den anderen Menschen geben wir uns nicht ab!“[6]

Mit dieser nächsten Konsumstufe wird die Abhängigkeit von der Erwerbsarbeit noch ausgeprägter, in einem Zeitalter fragiler Erwerbsarbeitsverhältnisse werden folglich die Arbeitsplatzinhaber weiter willfähriger, die Unterordnung in das schönste aller Systeme, denkt man an die Warenwelt, wird noch ausgeprägter werden.

Autos als Statussymbol / Screeshot aus einem Video im Text

 

Der Staat als Konsum-Treiber

Die verhängnisvolle Rolle der Staaten bzw. der Politik als Treiber, als Motivatoren für mehr Konsum, wurde schon angesprochen. Weichenstellungen in Richtung eines nachhaltigen Konsums und einer nachhaltigen Wirtschaft gibt es nicht (die Energieeffizienzstrategien der EU sind eher ein PR-Deckmäntelchen). Und die sozialpolitische Aufgabe der Vermeidung von Fehlallokationen bei den unteren achtzig oder neunzig Prozent der Menschen nehmen Staat/Politik nicht wahr. Ebenso ist die Unwilligkeit des Staates (der Politik), bei den Märkten im Allgemeininteresse was zu tun, also etwas ordnend einzugreifen, groß. Geht ja schwer, nachdem so vieles nach Brüssel abgegeben wurde, heißt z. B. eine der Ausreden.

Die profitgenerierende Verhätschelung der Verbraucher durch die Industrie ist der völlig eindimensional gewordenen Politik willkommen:

  • Pseudoinnovationen können ohne jedes Problem die Märkte fluten;
  • die Werbung ist – abgesehen vom Konkurrenzschutzgedanken – weitgehend unreguliert (lügen darf sie nicht, aber schwindeln, schmeicheln und nach allen Kenntnissen der Psychologie manipulieren);
  • geplanter Verschleiß ist, hat es den Anschein, erwünscht, da damit die Wirtschaft quantitativ wächst;
  • der PKW-Verkehr ist weitgehend unreguliert;
  • Reisen und vor allem Fliegen wird gefördert (unter anderem mit exzessivem Flughafenbau);
  • die Finanzindustrie darf Anleger (abgesehen von einigen wirkungslosen Informationspflichten) ungestraft in den Ruin treiben;
  • Technologieentwicklung wird ohne Risikokontrolle hemmungslos gefördert (beispielsweise Nanotechnologie), eine Vorsorgepolitik findet nicht statt ;
  • Bildungspflichten für Medien stehen bestenfalls auf Papier, dafür blühen unkritische Ratgeber-Sendungen;
  • eine emanzipatorische Wirtschaftsbildung oder echte politische Bildung finden weder in der Schule noch sonstwo statt.

Man merkt die Staats-Untätigkeit auch auf einem anderen Feld. Sieht man sich die älteren Programme der Verbraucherorganisationen durch, fällt sofort auf: die meisten Forderungen sind unerfüllt geblieben.[7]

 

Spiegelbild des Ichs im Schaufenster / Screenshot aus einem Video im Text

 

Klar, Staatsversagen

Früher einmal gab es – auch bei neoklassischen Ökonomen – das Instrument einer Konsumsteuerung; die gute alte soziale Marktwirtschaft, hielt aber nicht nur Steuern zur Konsumlenkung bereit, sondern auch Marktordnung, Markteingriffe im sozialpolitischen Interesse. Die alten Steuer-Bestände gibt es zwar noch zur Staatsfinanzierung (Mineralölsteuer, Alkohol- und Tabaksteuern, Glücksspielbesteuerung), neue Ideen wurden jedoch praktisch nicht mehr entwickelt – und falls im Einzelfall doch, etwa bei den sogenannten Luxussteuern (höhere Umsatzsteuern für Luxuskonsumgüter), wurden sie rasch wieder abgeschafft.

Übrigens, blättert man heute bei den alten ordoliberalen Ökonomen, also den Ideengebern hinter den christlich-sozialen Parteien, wieder ein bißchen in deren Büchern nach, stellt der Leser unweigerlich und rasch fest: die sind ja links von den heutigen Sozialdemokraten. Offenbar gab es da einen ganz großen, langsamen unbemerkten Rutsch nach rechts…

 

Verbraucher: verhätschelt und allein gelassen

Die neoliberale Zielsetzung der Politik, von Brüssel kommend und heute in der ganzen EU, auch in Skandinavien zuhause, geht so: Verbraucher müssen, wenn sie wollen, sich selbst informieren, wir greifen doch nicht in dieses Wunderding „Markt“ ein. Soll ein jeder selber sehen, wo er bleibt oder was aus ihm wird; wir schreiben den Verbrauchern nichts vor, die sind doch ohnedies mündig (und bei den Unternehmen eingreifen geht schon gar nicht, wer soll denn sonst die Wirtschaft ankurbeln?).

Auch eine rhetorische Verhätschelung der Verbraucher – vorallem jedoch eine intensive Verhätschelung der Unternehmen, die dürfen nämlich ihr Wunderding Markt so machen, wie sie das wollen; soziale Marktwirtschaft, das war einmal. Vor einem halben Jahrhundert, oder so.

Karl Kollmann ist Titularprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien. Dieser Text ist ein ganz wesentliches Seitenthema seines Diskussionspapiers „ein ungelöstes Problem der Verbraucherpolitik„.

 

 

 


[1] 25 Prozent der eingekauften Lebensmittel landen mittlerweile im Müll. European Commission (DG ENV) Directorate C – Industry: Preparatory Study on Food Waste Across EU 27, 2010, http://ec.europa.eu/environment/eussd/pdf/bio_foodwaste_report.pdf ; mehr als nocheinmal soviel verdirbt bei Handel, Logistik und Produktion.

[2] Dessen sich übrigens die liberale österreichische Tageszeitung Der Standard angenommen hat;
Angelika Rosam, in: Juwel 7, 2012/2013, S 11.

[3] Vgl.  Karl Kollmann: Ohnmacht der Verbraucherinnen und Verbraucher, in: Haushalt und Bildung 3/2010, S 3-16.

[4] Vgl.  Zukunftsinstitut: Das neue Trend-Update: Stealth Luxury, 1. November 2012, http://www.zukunftsinstitut.de/rss/2012/11/01/das-neue-trend-update-stealth-luxury/ ;
Erfunden hat den Begriff Jahre zuvor das New Yorker Unternehmen scenarioDNA 2008, http://de.slideshare.net/scenariodna/redefining-luxury-from-excess-to-stealth .

[5] Als Beispiel: Adalbert Siniawski: Rundum sorglose Journalisten. Wie eine Pressereise nach Warschau funktioniert, Deutschlandradio  11. 11.2012. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sonntagsspaziergang/1917546/ .

[6] Mitgehörtes Telephongespräch in einem Nahverkehrszug, Wien, 15. 11. 2012.

[7] Etwa die grundvernünftige Forderung des DGB, daß alle angebotenen Güter eine Testbeurteilung von Verbraucherorganisationen tragen müssen, nach Schulnoten, damit es für den Verbraucher einfach bleibt, sozusagen auf einen Blick  das Angebot transparent wird.

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Über Karl Kollmann

Karl Kollmann, Titularprofesser der WU-Wien, Vorsitzender des österreichischen Verbraucherrates (ASI), viele Jahre in der Verbraucherpolitik tätig, früher auch Berater der Europäischen Union in Verbraucherfragen. Beschäftigt sich mit Konsum- und Haushaltsökonomie sowie Technikökonomie. Weitere Artikel

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