Wenn der Staat Prof. Bolz den Mund verbietet

Meinungsfreiheit / Norbert Bolz / X /Demokratie / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder und Grafiken, open library: azmeyart-design: https://pixabay.com/de/vectors/schweigen-stille-mann-ruhig-7039555/
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Ein Tweet, der NS-Vorwurf, ein Fall für die Staatsanwaltschaft und überhitzte Gemüter: Der Fall Norbert Bolz als Warnsignal.

Der Autor dieser Zeilen hat Norbert Bolz vor langer Zeit in Vorlesungen an der TU Berlin in dessen Professur für Medienberatung erlebt. Als Dozent zeigte sich Bolz gerne schwarzhumorig, dabei immer klug mit Argumenten unterlegten Positionen, die bereits damals gegen den Zeitgeist löckten. Eine Mischung, die heutzutage in der Wissenschaftswelt schwierig geworden ist und sich nur noch (ökonomisch) unabhängige Geister leisten können.

Nun hat der Streit um die Grenzen öffentlicher Rede in Deutschland einen neuen Brennpunkt in Norbert Bolz gefunden. Die Hausdurchsuchung bei ihm wirft eine weit größere Frage auf als die nach der Angemessenheit einer einzelnen polizeilichen Maßnahme: Wie robust ist die Meinungsfreiheit in einem politischen Klima geworden, das zunehmend von moralischer Erregung und digitaler Empörung bestimmt wird?

Überhitzte Gemüter

Ausgangspunkt war eine ironisch überspitzte Äußerung des emeritierten Professors auf der Plattform X. Bolz nahm die Debatte um „Wokeness“ zum Anlass, den Begriff mit der historischen Parole „Deutschland erwache“ zu spiegeln – im klar erkennbaren Gestus der Kritik. Die Staatsanwaltschaft dagegen sah den Verdacht der Verwendung eines verfassungsfeindlichen Kennzeichens und ließ die private Wohnung des Publizisten durchsuchen. Bücher, Computer, Notizen wanderten in amtliche Hände. Das Bild: ein älterer Wissenschaftler, umgeben von Polizisten, wegen eines Satzes im Internet.

Man muss Bolz weder politisch noch intellektuell nahestehen, um dieses Vorgehen als problematisch zu empfinden. Die Kritik kam nicht nur von konservativer Seite. Selbst Stimmen aus FDP und Grünen warnten vor einem gefährlichen Präzedenzfall. Denn was hier sichtbar wird, ist weniger eine rechtliche Feinfrage als ein Symptom: Die Schwelle, bei der provokante, polemische oder ironische Rede als strafrechtlich relevant gilt, scheint zu sinken.

Sprachpolizei versus Meinungsfreiheit

Es gehört zum Wesen einer offenen Gesellschaft, dass Worte nicht nur sanft, höflich oder ausgleichend sein dürfen. Demokratie lebt vom Streit und vom Recht, Annahmen, Dogmen und moralische Gewissheiten infrage zu stellen. Wer Ironie, Zuspitzung und rhetorische Übertreibung aus dem öffentlichen Raum verdrängt, schwächt die politische Kultur.

Das Strafrecht ist kein Instrument zur Durchsetzung sprachlicher Hygiene. Gewiss: Die Bundesrepublik hat aus ihrer Geschichte die Pflicht, gegen tatsächliche nationalsozialistische Propaganda entschlossen vorzugehen. Doch im Fall Bolz ging es gerade nicht um eine Annäherung, sondern um den kritischen Spiegel historischer Sprache. Die Absicht war gesellschaftskritisch, nicht agitatorisch. Wer hier keinen Unterschied mehr erkennt, riskiert, Satire mit Propaganda zu verwechseln – und Kritik mit Zustimmung.

Besorgniserregend ist zudem die Signalwirkung. Wenn ein bekannter Professor von Ermittlungen betroffen ist, wer wird dann künftig noch öffentlich zugespitzt formulieren? Wer wagt noch, Unbequemes zu sagen, wenn schon die Möglichkeit einer staatlichen Maßnahme genügt, um jemanden beruflich, sozial oder öffentlich zu schädigen? Freiheit stirbt selten durch ein Verbot. Sie stirbt durch Selbstzensur. Durch die Angst, zu weit zu gehen.

Was kommt nach Bolz?

Im Kern steht daher die Frage, ob in Deutschland eine Verschiebung stattfindet: weg von einer Kultur der offenen Auseinandersetzung hin zu einer Moralverwaltung des Sagbaren. Wenn politische Haltungen statt argumentativ widerlegt, durch staatliche Maßnahmen delegitimiert werden, wird die Demokratie schwächer, nicht stärker. Der Fall Bolz ist deshalb kein Randthema. Er ist ein Testfall. Wer heute schweigt, weil er Bolz nicht mag, wird morgen vielleicht erleben, dass das gleiche Instrument gegen ihn selbst eingesetzt wird. Das Prinzip der Freiheit besteht darin, sie gerade denen zuzugestehen, deren Positionen man nicht teilt.

Es geht um mehr als einen Tweet. Es geht um die Frage, wie wir in diesem Land miteinander sprechen dürfen. Und ob wir bereit sind, das Risiko auszuhalten, das jede echte Demokratie mit sich bringt: dass Meinungen aufeinandertreffen – und sich manchmal schmerzhaft reiben. Freiheit ohne Risiko gibt es nicht. Aber eine Demokratie ohne Freiheit hat schon aufgehört, eine zu sein.

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