Brecht oder Fallersleben? Mitten im Sommerloch tritt Bodo Ramelow eine skurrile Debatte über deutsche Nationalsymbole los.
Manchmal fragt man sich, ob deutsche Politiker eine geheime Wettbewerbsdisziplin pflegen: Wer wirft das abwegigste Symbolthema in die Runde? Während Mieten explodieren und die Wirtschaft taumelt, meldet sich Bodo Ramelow – bekannt als Thüringer Ex-Ministerpräsident, bekennender Linker und nun frischgebackener Flaggenflüsterer – zu Wort: Deutschland braucht eine neue Hymne. Und wenn wir schon dabei sind: auch gleich eine neue Flagge. Bravo, Herr Ramelow, Sie haben den Preis für die originellste Ablenkung im Sommerloch gewonnen.
Tritratralala
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Die Begründung ist schlicht: Viele Ostdeutsche singen „Einigkeit und Recht und Freiheit“ nicht mit. Verständlich, könnte man sagen, immerhin haben die letzten Jahrzehnte im Osten nicht gerade ein Übermaß an Freiheitsjubel ausgelöst. Aber statt sich über Politik zu unterhalten, die tatsächlich Freiheit schafft, schlägt Ramelow die „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht vor. Ein poetisches Liedchen, nett getextet, voller Blümchen und guter Absichten. Damit man endlich ohne schlechtes Gewissen mitsummen kann, während die Stromrechnung explodiert. Man stelle sich den nächsten Staatsakt vor: Bundespräsident Steinmeier eröffnet mit der Brecht-Hymne. Ein Chor von Erstklässlern singt: „Und weil wir dies Land verbessern…“ Währenddessen denkt halb Deutschland: „Ja, bitte – fangt mit dem Bahnfahrplan an.“
Und dann die Flagge. Schwarz-Rot-Gold sei nicht mehr zeitgemäß. Ein Volksentscheid soll’s richten. Warum nicht gleich ein offenes Design-Casting im ZDF, moderiert von Florian Silbereisen? Motto: „Deutschland sucht die Superflagge.“ Abstimmen per SMS, dazu Sponsoring von einem großen Automobilkonzern. Siegerentwurf vielleicht: Regenbogen mit Bienenmotiv, wahlweise austauschbar, je nach Koalition.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Über 90 Prozent der Befragten sind gegen Ramelows Einfall. Kein Wunder. Die meisten Deutschen haben gerade Besseres zu tun, als ihre Nationalhymne und Flagge zu schreddern. Aber vielleicht ist es ja genau das, was Ramelow wollte: ein Thema, bei dem sich endlich wieder alle einig sind – nämlich dass sie es nicht wollen. Ein seltenes Geschenk an die gespaltene Nation.
Hymnen-Angst
Dabei gäbe es durchaus Alternativen. Man könnte gleich einen musikalischen Jahrmarkt einführen: Jedes Bundesland bekommt seine eigene Strophe. Bayern mit Blasmusik, Berlin mit Technobeat, Sachsen mit Hymne auf die Eierschecke. Das würde wenigstens ehrlich zu unserer Föderalismus-Folklore passen. Am Ende ein bundesweiter Remix, produziert vom umstrittenen Rapper Muhabbet, mit dem Frank-Walter Steinmeier bereits im Tonstudio vor sich hin trällerte.
Satire hin oder her – natürlich hat Ramelow einen Punkt. Symbole sollen verbinden. Aber in einem Land, in dem sich Menschen schon über Tempolimits, Gendersternchen und Heizungen in den Haaren liegen, wirkt die Hymnenfrage wie eine politische Glosse, die sich selbst schreibt. Wenn der Bundestags-Vizepräsident ernsthaft glaubt, die Deutschen sängen sich mit Brecht plötzlich in kollektive Eintracht, dann ist das ungefähr so realistisch wie die Vorstellung, dass die Merzsche Bundesregierung die Probleme des Landes löst.
Das Schönste an der Debatte ist allerdings ihr Timing. Inmitten von Inflation, Kriegen und Energiekrise wünscht man sich Politiker, die Probleme lösen. Stattdessen bekommt man Symbolpolitik im Geschenkpapier: „Wir haben die Flagge erneuert, Bürger! Seht ihr, wir tun was!“ Es ist wie bei Donald Trump, der rote Teppiche für Putin ausrollt, aber am Ende wie ein begossener Pudel dasteht.
Ramelow und Heino
Begossen dürfte sich bei dem Sturm der Kritik Ramelow nun fühlen. Es steckt eine gewisse Tragikomik in seinem Vorschlag. Kaum einer will eine Änderung, aber alle reden darüber. Vielleicht sollte man den Spieß umdrehen: Anstatt Hymne und Flagge auszutauschen, tauschen wir einfach Politiker aus, die solche Ideen haben. Das würde die Einigkeit im Land vermutlich schneller herstellen als jede Brecht-Strophe.
Am Ende bleibt Deutschland, wie es ist: pragmatisch motzend. Die Hymne wird weiter mehr gemurmelt als gesungen, und die Flagge bleibt im Schrank bis zur Fußball-WM. Und Bodo Ramelow darf sich damit trösten, dass er für ein paar Tage die Schlagzeilen bestimmte – was im politischen Alltag schon fast so viel wert ist wie eine neue Nationalhymne. Vielleicht sollte er sich mit Schlagerlegende Heino unterhalten, der mit seiner Deutschland-Schokolade aneckt. Keine der großen Lebensmittelketten will sie ins Sortiment aufnehmen, bis auf die taumelnde Galeria Karstadt-Gruppe. Heino vermutet dahinter eine Deutschland-Phobie, die er überhaupt nicht verstehen könne. Made in Germany, das ist doch was! Sprechen Sie mit Bodo Ramelow, der erklärt Ihnen das.

Stattdessen bekommt man Symbolpolitik im Geschenkpapier
Da gibts doch die siemlich zutreffende Weisheit: Jedes Volk hat die Regierung die es verdient….