Ulf Kvenslers Krimi „Die Insel – einer kennt die ganze Wahrheit“ ist ein erstklassiger literarischer Thriller.
Die Insel“ ist der zweite Psychothriller des schwedischen Autors Ulf Kvensler, der bereits mit „Der Ausflug“ ein erfolgreiches Debüt ablieferte. Sein zweites Werk erkundet erneut die feinen Risse zwischen psychologischer Spannung und familiären Traumata.
Darum geht’s: Der junge Altenpfleger Isak, der nach dem Tod von Mutter und Schwester bei seinem Großvater aufgewachsen ist, erhält nach vielen Jahren unvermittelten Kontakt zu seinem entfremdeten Vater Fredrik, einem exzentrischen Künstler. Dieser bittet ihn und seine Freundin Madde zu einem letzten Besuch auf der Insel Gotland. Aus Neugier stimmen sie zu und stornieren ihren Türkei‑Urlaub. Sie ahnen nicht, dass dieser Besuch zu einer Psychospiel‑Falle wird.
Psychologisches Ringen der Figuren
Inhaltsverzeichnis
Isak ist 26 Jahre alt. Er wurde von seinem Großvater erzogen, weil seine Mutter und seine Schwester bei einem Hausbrand starben. Dieses Kindheitstraume belastet ihn sehr. Zu seinem Vater Fredrik hat er kaum Kontakt.
Fredrik ist ein für monumentale Feuer-Gemälde bekannter Künstler. Er schreibt symbolverhangene Werke, zelebriert Masken, Götterfiguren und archaische Rituale. Frederik ist egozentrisch und manipulativ.
Isaks Freundin Madde kommt aus einer wohlhabenden Familie. Sie ist es, die Isak drängt, die Einladung anzunehmen. Ihre Motivation bleibt jedoch lange undurchsichtig.
Kvensler inszeniert seine Geschichte vor der Kulisse Gotlands. Dort besitzt Frederik ein luxuriöses Anwesen. Doch schon die sterile Eleganz erzeugt unwillkürlich Unbehagen. Hier entwickelt sich die durch das psychologische Ringen der Figuren aufgeladene Stimmung des Buches. Welche der handelnden Personen sind vertrauenswürdig? Fredrik blendet mit Charisma und Macht und spielt mithilfe von Drogen und Provokationen mit der Psyche der anderen.
Leise Spannung
Schließlich kippt die Atmosphäre. Streit bricht zwischen Madde und Isak aus. Der eigentlich streng abstinente Isak betrinkt sich und steigt betrunken ins Auto. Die traumatische Erinnerung an das Feuer damals erwacht wieder. Die alte Haushälterin Barbro scheint mehr zu beobachten als zu dienen. Und plötzlich sitzt Isak in Haft sitzt. Nur warum? Das bleibt lange im Dunkeln.
Erst im Schlusskapitel enthüllt sich die schlimme Wahrheit. Frederik wurde ermordet, und Isak ist das naive und rückgratlose Opfer der Täterin Madde. Sie betrügt ihren Freund und bringt den von allen Seiten manipulierten Isak ihn in Haft.
Kvensler erzählt seine Geschichte bewusst zurückhaltend, aber atmosphärisch dicht. Nur selten greift er zu drastischen Schockmomenten, sondern lässt die Spannung leise atmen. So schuf er einen Psychothriller, der unter die Haut kriecht.
Fazit
„Die Insel – einer kennt die ganze Wahrheit“ ist kein konventioneller Thriller mit vielen Wendungen, sondern ein psychologisches Kammerspiel in idyllischem Setting. Ulf Kvensler legt das Augenmerk auf Manipulation, Trauma und Selbstzweifel. In der ruhigen Erzählung entsteht langsame, aber dichte Spannung. Wer literarische Thriller schätzt, weniger auf äußere Kabbeleien, sondern auf innere Verderbtheit und fein gereizte Atmosphäre setzt, findet hier seinen Stoff. Wer klare Ich-Erzählungen ohne große Überraschung liebt, könnte enttäuscht sein. Trotzdem: Für Freunde nordischer Literatur mit subtiler Raffinesse, die Hintergründe länger nachklingen, ist „Die Insel“ eine lohnende Lektüre.
Der Roman erschien am 11. Juni 2025 im Penguin Verlag.