Die SPD misstraut Klingbeil und sucht ihre Zukunft

Parteien / SPD / Quelle: Unsplash, lizenzfreie Bilder, open library: Marek Studzinski; https://unsplash.com/de/fotos/ein-haufen-verschiedenfarbiger-knopfe-auf-einem-tisch-eIsfwcAy6kk Parteien / SPD / Quelle: Unsplash, lizenzfreie Bilder, open library: Marek Studzinski; https://unsplash.com/de/fotos/ein-haufen-verschiedenfarbiger-knopfe-auf-einem-tisch-eIsfwcAy6kk

Ein SPD-Parteitag, auf dem Wunden geleckt werden. Ein Vorsitzender ohne Strahlkraft und eine Neue, die sich noch beweisen muss. Wohin steuert der Juniorpartner der Union?

Bärbel Bas, die Arbeits- und Sozialministerin im Kabinett Merz , holt mit 95 Prozent Zustimmung ein Traumergebnis und löst Saskia Esken an der SPD-Spitze ab. Für Finanzminister Lars Klingbeil kommt es knüppeldick. Sein Ergebnis als Co-Vorsitzender ist ein Alptraum: 65 Prozent Zustimmung oder eher Misstrauen.

Alles auf Rot

Beim Parteitag in der Berliner City Cube leuchtet alles in kräftigem Rot, von den Stuhlreihen bis zur Bühne samt Rednerpult. So, als ob die bei der Bundestagswahl mit 16 Prozent abgestrafte SPD ihre historische Niederlage in der Parteifarbe ertränken wolle. Enttäuschung und Verzweiflung gehen Hand in Hand und brechen beim Tagesordnungspunkt „Aussprache“ offen aus.

Sichtlich erschüttert bekennt die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger: „Wir waren schlicht nicht überzeugend genug.“  „Brutal und bitter“ nennt ihre Amtskollegin aus Schwerin, Manuela Schwesig, das Wahlergebnis. Und Juso-Chef Philipp Türmer stellt die entscheidende Frage: „Was ist unsere Zukunft?“ Er legt den meist gespielten SPD-Klassiker nach der sozialen Gerechtigkeit auf und drängt, „die Verteilungsfrage so laut zu stellen, dass sie von niemandem überhört wird“. Dafür bekommt der Jura-Doktorand den mit Abstand meisten Applaus.

Ein Scherbengericht ist dieser weichenstellende Parteitag nach der Bundestagswahl zwar nicht. Allerdings knirscht es gewaltig im sozialdemokratischen Gebälk. So heißt es im Leitantrag: „Die Sozialdemokratie wird von zu wenigen Menschen in unserem Land als politische Kraft mit Zukunftsversprechen wahrgenommen, die Sicherheit im Wandel bietet.“ Und weiter: „Wir hatten mangelnde Präsenz in den Lebenswelten vieler Menschen – vor allem bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.“ Das ist mehr als richtig. Jedoch laboriert die Partei nicht erst seit der letzten Bundestagswahl an diesem Problem.

Zu späte Reue

Lars Klingbeil zeigt sich in seiner Rede selbstkritisch: „Wir haben viel zu spät reagiert“, spricht er über jene Phase, in der es mit der deutschen Wirtschaft bergab ging. „Das ist meine persönliche Verantwortung und das will ich hier vorne auch ganz deutlich sagen: Wir haben im Wahlkampf alles versucht, aber wir sind gegen eine Wand gelaufen.“

Die Wand war vor allem der damalige Kanzler Olaf Scholz, der sich auf dem Parteitag feiern ließ, als ob er noch im Amt wäre. Vielen Delegierten missfällt, wie dreist und rücksichtslos der alte und neue SPD-Chef Klingbeil die Macht für sich gesichert hat. Am Tag nach der Wahl Ende Februar übernahm er zum Parteivorsitz auch noch das Amt des Fraktionschefs im Bundestag und stellte den bei den Genossen beliebten Rolf Mützenich kalt.

Nur wenige Wochen später gab Klingbeil diesen Job wieder auf, um als Finanzminister und Vizekanzler ins schwarz-rote Kabinett von Kanzler Friedrich Merz zu wechseln. Und das, obwohl er als Parteichef für den misslungenen Wahlkampf verantwortlich zeichnete. Bei dieser Aktion Machtsicherung bliebt seine bisherige Co-Vorsitzende Saskia Esken auf der Strecke. Wenn sie nicht wenigstens SPD-Chefin bleiben könne, dann doch bitte Bundesministerin, dachte sich die Schwäbin.

Es kam völlig anders. Ärgerlich für sie und viele Genossinnen wurde sie in der eigenen Partei so laut angezweifelt, dass sie für keine höheren Ämter mehr in Frage kam. Esken hat als Trostpflaster den Vorsitz im Bundestagsausschuss für Familien, Frauen, Jugend und Senioren inne. Ein Bereich, den der bislang letzte erfolgreiche SPD-Kanzler Gerhard Schröder als „Gedöns“ zusammenfasste.

Für den neuen Star der SPD, Bärbel Bas, ist das kritikwürdig. Die frühere Bundestagspräsidentin greift die schwache Solidarität mit Esken in ihrer Rede auf und wendet sich direkt an die Parteifreundin: „Du, liebe Saskia, hast erleben müssen, dass es in der Politik manchmal verdammt einsam werden kann. Selbst in einer Partei mit über 350.000 Mitgliedern. Du hast erleben müssen, dass Solidarität nicht immer selbstverständlich ist, auch nicht in der Sozialdemokratie.“

Bas erinnerte vor allem die männlichen Genossen daran, dass auch der Umgang mit der ersten SPD-Vorsitzenden „kein Glanzstück“ gewesen sei: jener mit Andrea Nahles im Jahr 2019. Angesichts dieses Umgangs mit Frauen habe sich Bas vor ihrer Bewerbung die Frage gestellt, ob sie sich das zumuten wolle.

Sie wollte dann doch und wurde mit satten 95 Prozent belohnt, sicherlich auch für ihre skandalfreie Amtsführung als Bundestagspräsidentin. Und nicht zuletzt wegen des schlechten Gewissens gegenüber der gedemütigten Saskia Esken, die stellvertretend für die Frauen in der SPD steht. Die Sozialdemokraten sind eben immer noch eine Männerpartei.

Schlechte Zeiten, noch schlechtere Zeiten?

Lars Klingbeil darf sich bei seinem mageren Wahlergebnis nicht als starker Mann fühlen. Bereits im Vorfeld des Parteitages hatte es im Willy-Brandt-Haus geheißen, „der Lars müsse wohl mit einem ehrlichen Ergebnis rechnen“. Da gingen die Parteistrategen noch von einem Ergebnis zwischen 70 und 80 Prozent aus. Aber 65 Prozent?!

„Das Ergebnis ist für mich ein schweres Ergebnis.“ Klingbeil redet es nicht schön und meint, dass er es sich gewünscht hätte, dass die Enttäuschten ihre Ablehnung schon zuvor in der Debatte klarer formuliert hätten. Und er meint auch: „Ich weiß, dass meine Entscheidungen der letzten Monate nicht allen gefallen haben. Aber sie waren richtig.“ Zu viel Konjunktiv für einen Parteivorsitzenden der noch Kanzlerkandidat werden möchte.

Drei Tage nehmen sich die Delegierten Zeit, um über den Kurs der nächsten Jahre zu debattieren. So stellen sich die Jusos gegen die Reaktivierung der Wehrpflicht, was Verteidigungsminister Boris Pistorius anders sieht. Er will ein Gesetz vorlegen, das die automatische Rückkehr zur Wehrpflicht vorsieht, sollten sich in der nächsten Zeit nicht genug Freiwillige für die Bundeswehr melden.

Wenig einheitlich ist die Position in der Partei auch in der Frage, wie stark die deutsche Militärhilfe für die Ukraine sein sollte. Sozialdemokraten vom linken Flügel, allen voran Ex-Fraktionschef Mützenich, haben ein umstrittenes Manifest verfasst. In diesem fordern sie statt Milliarden für die Rüstung Gespräche mit Russland. Sie wollen auch keine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland und lehnen es ab, fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben.

Kein zweiter Nato-Doppelbeschluss wie in den 1980er Jahren, so schwingt es bei den Linken in der SPD mit. Bei diesem Parteitag schwingt ohnehin viel an Stimmung der 70er- und 80er Jahre durch die Hallen: soziale Gerechtigkeit, Umverteilung, keine Aufrüstung. Dabei bleibt die Frage des Juso-Chefs nach der Zukunft der Partei vorläufig unbeantwortet.

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dragaoNordestino
dragaoNordestino
6 Tage her

Wohin steuert der Juniorpartner der Union?

In die Bedeutungslosigkeit

fufu
fufu
Reply to  dragaoNordestino
6 Tage her

Wenn die SPD die Thesen des „linken Fluegels“ beherzigt haette sie vielleicht Chancen. In der Opposition zu CDU und AfD. Aber schon die Kathegorisierung „links“ wird den Blutdruck der Altgedienten auf 200+ steigen lassen. Emotio vor Ratio.

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