Friedrich Ebert und der ewige Erfolg der SPD

Am 28. Februar vor 100 Jahren starb die Ikone der deutschen Sozialdemokratie. Friedrich Ebert hob die Weimarer Republik aus der Taufe und legte den Grundstein für den Aufstieg seiner Partei. Parallelen zur Gegenwart sind unübersehbar.
Sie wollen einfach so aus der Geschichte treten? Das ist Ihrer nicht würdig.“ Mit diesen Worten endete Eberts letzte Begegnung mit Prinz Max von Baden im Berliner Hotel Adlon. Das Gespräch zwischen dem neuen Reichskanzler Ebert und seinem kurzzeitigen Vorgänger verlief anders als geplant. Eberts Plan, eine demokratisierte Monarchie als Klammer für das taumelnde Deutsche Reich am Ende des Ersten Weltkriegs zu erhalten, schlug fehl. Ebert hasste gewaltsame Umstürze wie in Russland 1917 und fürchtete nichts mehr als eine ähnliche Situation in Deutschland. Daher sollte Max von Baden als Cousin Wilhelms II. die Regentschaft für dessen ältesten Enkel Wilhelm übernehmen, bis dieser volljährig war.
Doch Max von Baden war ein Zauderer und wurde durch den Kaiser und dessen Frau eiskalt erpresst: Sollte er die Regentschaft übernehmen, dann würde alle Welt erfahren, dass der badische Thronfolger homosexuell war. Der Ex-Kanzler erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch und versagte vor der Geschichte. Prinz Max samt der Monarchie verließen die Weltbühne, und Friedrich Ebert und seine SPD betraten sie. Und die Partei bespielt diese Bühne bis heute erfolgreich.
Vermintes Gelände
Inhaltsverzeichnis
Ebert gilt als Wegbereiter der parlamentarischen Demokratie in Deutschland und als ihr wortmächtiger Verteidiger in den unruhigen Anfangsjahren der Weimarer Republik. Als erstes demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt in der deutschen Geschichte musste er nicht allein die junge Republik, sondern auch sich selbst gegen die Anfeindungen von ganz links und rechtsaußen wehren. Die alten Eliten aus Militär und Industrie haderten mit den neuen Verhältnissen und unterstützen Umsturzversuche wie den Kapp-Putsch 1920 in Berlin oder den Aufstand von Hitler und Ludendorff 1923 in München.
Für die Kommunisten waren Ebert und die SPD Verräter an der sozialistischen Revolution, die mithilfe der ersten SPD-geführten Reichsregierung 1918/19 niedergeschlagen wurde. Ebert kämpfte entschieden gegen diese gesellschaftlichen Polarisierungen und die gegen ihn gerichteten Verleumdungskampagnen. Letztlich starb er an den Folgen, indem er eine Blinddarmentzündung wegen eines Prozesses verschleppte.
Erfinder der Regierungs-SPD
Für die Sozialdemokraten ist Ebert bis heute stilprägend – auch wenn sie es manchmal nicht mehr zu wissen scheinen. Mit Blick auf eine neue und zunehmende Polarisierung unter den Deutschen wirkt eine Betrachtung Eberts durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages höchst aktuell: „Ebert verstand sich als Hüter der Verfassung, für den die Funktionstüchtigkeit des parlamentarischen Systems Richtschnur seines Handelns war“, steht darin. „Er warb um die Einsicht, dass der Kompromiss zwischen den Parteien zum zentralen Bestandteil einer parlamentarischen Demokratie gehört und gerade in angespannter politischer Lage ein breiter Konsens erforderlich ist. Bei den Parteien drang er mit seinen Appellen jedoch nur selten durch.“
Der Konsens als politisches Leitbild war geboren, das allerdings nur unzulänglich in der Weimarer Republik verwirklicht war, sondern erst ab 1949 in der Bundesrepublik seinen Siegeszug antrat. Mit der SPD schuf Ebert die Konsens-Partei schlechthin, die mit dieser Maxime anschlussfähig für nahezu alle Koalitionskonstellationen war und ist. In Gerhard Schröder hatte Ebert einen gelehrigen Schüler, der den Konsens um den Begriff der „politischen Mitte“ erweiterte. Kurz gesagt: Die SPD will die Partei sein, die stets für die Mehrheit der Bürger spricht. Wo liegen darin bei Ebert die Wurzeln?
Retter der Republik
Eberts große Stunde schlug, als er im Februar 1919 in Weimar bei der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung sagte: „Nur auf der breiten Heerstraße der parlamentarischen Beratung und Beschlussfassung lassen sich die unaufschiebbaren Veränderungen, auch auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete vorwärtsbringen, ohne das Reich und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten.“ Und weiter: „Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in alle Zukunft sich selbst. So wollen wir an die Arbeit gehen, unser großes Ziel fest vor Augen: das Recht des deutschen Volkes zu wahren, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern (…).“ Die von den Parteien der Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, Liberale) dominierte Nationalversammlung dankte es ihm, indem sie ihn zum ersten Reichspräsidenten wählte.
Zum Erfolg verdammt
Eberts Weg an die Spitze des Staates war steinig, und ihr ging ein steiler sozialer Aufstieg durch die Sozialdemokratie voraus. Vom Heidelberger Sattlergesellen über den ehrgeizigen Parteifunktionär hin zum einflussreichen Abgeordneten im Reichstag. In Ebert verdichtet sich ein Kernversprechen der SPD bis heute: sozialer Aufstieg durch Bildung und Disziplin. Letzteres spielt bei den heutigen Genossen eher eine untergeordnete Rolle, was mit dazu beiträgt, dass die Partei für Leistungswillige immer weniger attraktiv ist. Von Ebert führt eine direkte Linie über Willy Brandt, Helmut Schmidt zu Gerhard Schröder. Sie sind die Paradebeispiele, dass es sich lohnt mit Bildung und Fleiß nach oben zu kommen.
Doch das sozialdemokratische Aufstiegsmodell hat starke Risse bekommen. Einer der tieferliegenden Gründe dürfte die Sattheit sein. Viele heutige SPD-Funktionäre sind satt, denn sie kommen anders als frühere Generationen nicht mehr von unten. Sie müssen nicht mehr die harten Kämpfe führen wie es noch Friedrich Ebert oder Willy Brandt mussten. Die SPD wird letztlich von ihren eigenen Erfolgen, die sie die zurückliegenden 100 Jahre gesellschaftlich errungen hat, aufgefressen: Vereins-,Versammlungs-,Religions- und Pressefreiheit, Verhältniswahlrecht und nicht zuletzt das Frauenwahlrecht.
Rufe aus der Gruft
Friedrich Ebert war zeitlebens politisch höchst umstritten. Auch das ist eine Parallele zur heutigen SPD-Führung. Trotzdem wirkt sein politisches Vermächtnis in der Partei und im Land dauerhaft fort. Sein plötzlicher Tod mit nur 54 Jahren erschütterte die Weimarer Republik, und den Trauerzug am 4. März 1925 in Berlin begleiteten Hunderttausende. Die internationale Presse sah Deutschland an einem Scheideweg, der sich mit der Wahl seines Nachfolgers Paul von Hindenburg als Reichspräsident unheilvoll fortsetzte. Auf dem Heidelberger Bergfriedhof liegt Ebert in einem Ehrengrab. Hinter ihm zwei seiner im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhne, daneben seine politische Mitkämpferin und Ehefrau Louise Ebert – bewacht von zwei grimmig dreinschauenden Reichsadlern, die in grauen Sandstein eingemeißelt sind. Die Sozialdemokraten der Gegenwart sollten regelmäßig ans Grab pilgern und dem Schöpfer der erfolgreichsten Partei Deutschlands danken. Sie hat es bitter nötig.