Liefert FPÖ-Kickl die Blaupause für die AfD?

Fiaker vor der Wiener Hofburg / FPÖ / ÖVP / Kickl / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: domeckopol; https://pixabay.com/de/photos/wien-hofburg-fiaker-schloss-1544015/ Fiaker vor der Wiener Hofburg / FPÖ / ÖVP / Kickl / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: domeckopol; https://pixabay.com/de/photos/wien-hofburg-fiaker-schloss-1544015/

Die Austria-Ampel aus ÖVP, SPÖ und Neos ist geplatzt. Nun ist der Weg für den FPÖ-Kanzlerkandidaten Herbert Kickl frei. Österreich steht am Scheideweg. 

Als „ein Spektakel der Peinlichkeiten“ empfand der FPÖ-Generalsekretär Peter Sichrovsky die Reise des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder nach Wien. Als „nicht wirklich konstruktiv“ bezeichnete die Haider-Vertraute und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer den Besuch des Berliner Gasts im Mai 2001. Am Flughafen empfing ausgerechnet SPÖ-Chef Gusenbauer Schröder, der dann auch noch ein Fest mit Regierungskritikern besuchte, bevor er den ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel traf. Die FPÖ-Minister ließ der Staatsgast ganz links liegen. Die Visite Schröders geriet zur Posse, der Sanktionen der meisten EU-Länder gegen Österreich vorausgingen. Was war der Stein des Anstoßes?

Der Untergang des Abendlandes

Was nicht sein soll, das nicht sein darf. Danach richtete die EU ihre Politik gegenüber Wien aus, nachdem es im Frühjahr 2000 zu einer ÖVP-FPÖ-Regierung kam. Aus der vorangegangenen Wahl gingen die Freiheitlichen als stärkste Partei hervor, bekamen aber vom Bundespräsidenten Thomas Klestil als offenem Gegner der FPÖ keinen Regierungsauftrag. Das Staatsoberhaupt und die EU-Kommission sahen in Jörg Haider als starkem Mann der Blauen einen erheblichen Störenfried auf dem europäischen Parkett.

Wolfgang Schüssel als ÖVP-Spitzenkandidat und der Kärtner Landeshauptmann Haider setzten sich über Klestil hinweg und schmiedeten die erste schwarz-blaue Bundesregierung. Um an die Schalthebel der Macht zu kommen, verzichtete die stärkere FPÖ aufs Kanzleramt und Haider als Beelzebub der österreichischen Politik auf einen Ministerposten. Er gefiel sich lieber weiter als Kärtner Sonnenkönig und Strippenzieher im Hintergrund.

Was dann folgte, war bislang einmalig in der EU. Ein Proteststurm brach gegen die Regierung in Wien los, angefacht von Frankreich und der rot-grünen Koalition in Berlin. Mit Sanktionen, vor allem mit so genannten Kontakteinschränkungen , belegte die Mehrheit der EU-Mitglieder auf französisch-deutschen Druck hin Wien. Das hieß konkret, dass auf hoher Regierungsebene keine direkten Gespräche stattfinden sollten. Die Brandmauer hielt nicht lange, und nach rund acht Monaten wurden die Daumenschrauben wieder gelockert. In Paris, Berlin und Brüssel sah man ein, dass so keine vernünftige Zusammenarbeit möglich war.

Verpasste Geschichtsstunden

„Haiders Austria is not my Austria“ oder „1938 Gründe gegen Haider“ skandierten die damaligen Demonstranten vor der Wiener Hofburg und die Slogans von 2000 sind die gleichen von heute. Erneut versuchen Antifa und irritierte bürgerliche Kreise eine Neuauflage von Schwarz-Blau zu verhindern. Nur dass diesmal die Freiheitlichen auf das Kanzleramt pochen. Zuvor versuchte die ÖVP-Spitze ihren gefallenen Jungstar Sebastian Kurz als Kanzler zurückzugewinnen, um Kickl doch noch zu verhindern. Doch der Ex winkte schnell ab. Die Gründe sind bislang unklar.

Nun läuft alles auf eine Koalition mit dem Wahlgewinner FPÖ und der zweitplatzierten Volkspartei hinaus. Ähnlich wie vor 25 Jahren ist die Kritik aus dem Ausland gegenüber Wien deutlich – vor allem aus Berlin, was Österreicher als Teil der Polit-Folklore notorisch auf die Palme bringt. Kanzler Olaf Scholz erhob den moralischen Zeigefinger, als er über Kickl urteilte: „Er ist, man kann das nicht anders sagen, ein extremer Rechter.“ Und dramatisierend: „Es ist ernst. Es ist eine verdammt ernste Zeit. Dass ein Rechter im Nachbarland nun wahrscheinlich Regierungschef wird, das können wir nicht einfach so zur Kenntnis nehmen.“ Da drohen neue Sanktionen bereits im Hintergrund.

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schloss sich an und zog eine Parallele zur AfD: Vor dem Hintergrund einer möglichen FPÖ-geführten Regierung in Wien hat er den Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der AfD mit seiner Zukunft als CDU-Vorsitzender verknüpft. Damit nimmt er seine Partei für die Dauer seiner Amtszeit in Geiselhaft und spült weiter Wasser auf die Mühlen der Blauen in Deutschland. Kann man aus der Geschichte lernen?

Oft genug anscheinend nicht, was das Beispiel der CDU mit ihrem Vorsitzenden verdeutlicht. Aber auch die SPD macht keine bessere Figur, wenn sie mit Scholz’ Mahnung eine sachliche Zusammenarbeit mit einer eventuellen blau-schwarzen Koalition in Wien bereits im Vorfeld ausschließt. Sollte es zu dieser Konstellation kommen und anders als 2000 sogar mit einem FPÖ-Kanzler Kickl, dann müsste nach der Logik der EU ein Sanktionsregime greifen. Kontakteinschränkungen und darüber hinaus Kürzungen bei den Geldern aus Brüssel könnten als Folterinstrumente auf den Tisch gelegt werden.

Ob sich die EU und Berlin damit einen Gefallen erweisen, haben die Ereignisse der ersten schwarz-blauen Koalition beantwortet: Nein! Die FPÖ ist stärker denn je, und wenn es in Österreich zu Neuwahlen käme, dann steigerten die Freiheitlichen ihr Ergebnis sogar noch. Die Koalitionsverhandlungen zwischen Kickls Partei und der ÖVP werden alles andere sein als ein Wiener Opernball. Zwischen Kickl und dem Chef der Volkspartei, Christian Stocker, verhält es so wie bei einem Rosenkrieg: ein zerrüttetes Verhältnis.

Hinzu kommen drei scharfe Gegensätze: Für den Verbleib Österreichs in der EU und im transatlantischen Bündnis als quasi Nato-assoziiertes Land im Programm „Partnerschaft für den Frieden“ und gegen Kürzungen bei den Sozialausgaben setzt sich die Volkspartei ein. Die Freiheitlichen stemmen sich dagegen. Auch in der Politik gegenüber Russland sind sich beide uneins. Die FPÖ steht für eine enge Partnerschaft mit Moskau, die ÖVP will seit dem Krieg in der Ukraine eine dauerhafte Unabhängigkeit von der russischen Energiewirtschaft. Gibt es hier Parallelen zur AfD?

Wiener Melange oder lieber Cappuccino?

Die FPÖ hat es leichter als die AfD. Sie ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Mitspieler in der österreichischen Politik und ihr Enfant terrible. Als die Partei in den 1950er Jahren auf der politischen Bühne auftrat, war sie noch ein Sammelbecken für Alt-Nazis und deutschnationale Kräfte. Gleichzeitig brachte sie die Quadratur des Kreises zustande, noch vor allen anderen Parteien Österreich als „erstes Opfer Deutschlands“ durch den Anschluss von 1938 zu verkaufen.

Wer Geschichtsklitterung können will, der muss von Österreich lernen. In den 1960er Jahren haben die Freiheitlichen ihr Gesellenstück abgeliefert und sind erstmals als ernstzunehmende Kraft aufgetreten. Ausgerechnet die SPÖ mit ihrer Ikone Bruno Kreisky, dem Willy Brandt Österreichs, hat die Freiheitlichen als Partner für eine Duldung seiner Minderheitsregierung gewonnen.

Mit dem begnadeten Populisten Jörg Haider erlebte die FPÖ ab den 1990er Jahren ihren großen Durchbruch und ist seither von den anderen Parteien nicht geliebt, aber zähneknirschend anerkannt. Auf Landesebene gab es immer wieder Koalitionen mit ÖVP und sogar SPÖ. In Österreich läuft letztlich alles etwas zuckriger und heimeliger ab, als beim „großen Bruder“ Deutschland. Unter Haider sind auch die verbliebenen deutschnationalen Kräfte marginalisiert worden und spielen keine Rolle mehr.

FPÖ als Vorbild für die AfD

Dass einige in der AfD langfristig mit einer Vereinigung mit Österreich liebäugeln, ist ein offenes Geheimnis. Nur dürften sie damit bei Kickl auf Grundeis laufen, da sich seine Partei inzwischen als einzige ernsthafte patriotisch-österreichische Partei sieht. Ein FPÖ-Mann meinte sinngemäß dazu, dass mit dem heutigen Deutschland und den dortigen links-grün versifften Zuständen kein gemeinsamer Staat zu machen sei.

Trotz gewisser Unterschiede sehen sich Freiheitliche und Alternative als Schwesterparteien. Darin empfiehlt sich die FPÖ als ältere und erfahrenere der AfD als Vorbild. Damit stößt sie in der AfD nicht nur auf Gegenliebe, da Vertreter der „reinen Lehre“ den pragmatischen FPÖ-Kurs mit Kompromissen auf dem Weg zur Macht kritisch bewerten. Gleiches gilt auch für die Politik Giorgia Melonis in Italien, deren Regierungsstil als „Melonisierung“, also die Politik des Machbaren, verballhornt wird.

Können die Freiheitlichen in Österreich wie auch Melonis Fratelli d’Italia die Blaupausen für die AfD sein? Wenn aus Kanzlerkandidatin Alice Weidel die Bundeskanzlerin Dr. Weidel werden soll, dann dürfte die Antwort klar sein, oder? Und ob Kickl Österreichs Retter oder sein Bestatter und das Land unregierbar wird, das hängt nicht zuletzt erneut von der Haltung der EU ab. Ironie der Geschichte? Karl Marx kennt die Antwort: „Die Geschichte wiederholt sich, zunächst als Tragödie, dann als Farce.“

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fufu
fufu
28 Tage her

„… deren Regierungsstil als „Melonisierung“, also die Politik des Machbaren, verballhornt wird.“ Alter Wein in neuen Schlaeuchen. Die ehemalige Gemueseverkaeuferin und Babysitterin, gross geworden in diversen Jugendorganisationen der neofaschistischen Allianza nazionale, wurde aus der Opposition heraus zur Regierung Draghi zur neuen Regierungschefin gewaehlt. Entscheidend fuer ihren Wahlerfolg war die Rolle ihrer Partei Fratelli d’Italia als einzige Opposition zur Regierung Draghi. EU-Technokraten wie Draghi und frueher Monti die versuchen sich in der italienischen Poltik zu etablieren werden regelmaessig abgewaehlt, entscheidend auch die migrationsfeindliche Retorik. Zwischen dem Wahlprogram Melonis und dem was der Autor „die Politik des Machbaren“ nennt liegen allerdings Welten.… Read more »

fufu
fufu
Reply to  fufu
28 Tage her

Kuerzlich wurde Meloni von politico zur maechtigsten Frau Europas benannt. Erinnert das an jemanden ? Scheint’s macht sie alles richtig, fuer bestimmte Interessen.

Frau Weidel ist noch nicht so weit. Sie wettert noch gegen Auslaender. Bei Musk hat sie aber schon einen virtuellen Hofknicks gemacht. Schaun mer mal.

fufu
fufu
Reply to  fufu
28 Tage her

Um bei Weidel zu bleiben… 5% fuer die Ruestung ? Mir schwand da was. Die AfD ist nicht die Alternative sondern raus aus der NATO.

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