Angela Merkels große Selbstbeweihräucherung

Angela Merkel / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open libratry: JonasSchmidt1989; https://pixabay.com/photos/merkel-angela-angela-merkel-berlin-3464284/ Angela Merkel / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open libratry: JonasSchmidt1989; https://pixabay.com/photos/merkel-angela-angela-merkel-berlin-3464284/

Millionengage des Verlags, mediale Aufregung, internationale Neugier. Altkanzlerin Merkel legt ihre Memoiren mit dem Titel „Freiheit“ vor. Wie frei erzählt sie darin?

Dass das Reiterstandbild der Altkanzlerin im Herbst 2023 im oberpfälzischen Tempelmuseum zu Freudenberg in sich zusammenbrach, kann vor dem Erscheinen ihrer Memoiren als schlechtes Omen betrachtet werden. Der Künstler dieses bisher einzigen Denkmals für Angela Merkel gab die Schuld dem aus einem 3D-Drucker stammenden recyceltem Leichtbeton. Jener sei doch nicht für den Außenbereich geeignet gewesen. Verhält es sich mit der Autobiografie der Ex-Kanzlerin ähnlich – recycelt, betonhaft und nicht für den „Außenbereich“ geeignet?

Merkel lässt vieles im Dunkeln

Mit großem medialen Getöse stellte Angela Merkel im November rechtzeitig zum 35. Jahrestag des Mauerfalls ihre Freiheitsschrift vor. Neben Interviews mit ihr gewogenen Journalisten wie Anne Will und internationalen Auftritten in Washington und London tourt die frühere Regierungschefin vorlesend durchs Land. Der PR-Aufwand soll sich für den Verlag Kiepenheuer & Witsch schließlich auszahlen: 35.000 Exemplare zu je 42 Euro gingen am ersten Verkaufstag über den Ladentisch. Seither dümpeln die Verkäufe vor sich hin, was bei dem Umfang und stolzen Preis des Werks nicht verwunderlich ist.

Merkel hat das Buch gemeinsam mit ihrer Vertrauten Beate Baumann, Büroleiterin ihrer Kanzlerschaft, innerhalb von zwei Jahren geschrieben. Dass zwei literarische Laien am Werk waren, merkt man dem Text an. Meist engagieren sich ehemalige Spitzenpolitiker Journalisten als Helfer für ihre Erinnerungen, die ein Gespür für die Themen und den Umfang eines Buchs haben. Merkel und Baumann haben das nicht, denn mit rund 740 Seiten erschlägt es den Leser förmlich.

Der Stil ist ermüdend, oft langweilig – genauso wie Merkels Reden waren. Auch ihre eingeflochtenen Anekdoten über andere Staatsführer, wie der sie knuffende US-Präsident George W. Bush bei einem Gipfeltreffen, haben einen mäßigen Unterhaltungswert, da sie häufig genug erzählt wurden.

Die Erinnerungen an ihre Zeit in der DDR, Kindheit, Jugend und Studium hätten aufschlussreich sein können, wenn sie nicht an der Oberfläche stecken geblieben wären. Zwar erfährt der Leser etwas über ihre erste Ehe, durch die sie zu ihrem Nachnamen kam. Aber wenn schon Privates ausgeplaudert wird, dann wäre mehr über ihren zweiten Mann zu erfahren interessanter gewesen. Immerhin war Professor Sauer einer der weltweit führenden Quantenchemiker mit internationalen Verbindungen bereits in der DDR.

Ihre jungen Jahre gipfeln in dem Allgemeinplatz: „Ich bin nicht als Kanzlerin geboren.“ Donnerwetter! Wer mehr Gehaltvolles über Merkels Sozialisation im real existierenden Sozialismus und die Zeit der Wende erfahren möchte, der sollte nicht ihre Memoiren lesen, sondern das Buch von Günter Lachmann: „Das erste Leben der Angela M.“

Dass Merkel wie viele Ostdeutsche sich nach Freiheit sehnten, darf als gesichert gelten. Die Begeisterung in den Monaten nach dem Fall der Mauer war riesengroß. Aber was verstanden die Deutschen Ost und vor allem die spätere Kanzlerin unter Freiheit? Darauf geben die Memoiren nur eine vage Antwort. Im Kern geht nur der Epilog darauf ein, wenn sie schreibt: Freiheit bedeute für sie, „herauszufinden, wo meine Grenzen liegen“ und „auch loslassen zu dürfen“. Nach dieser Definition wäre ihr das auch in der DDR gelungen.

Spurenelemente der Geschichte

Freiheitlich im Sinne der Marktwirtschaft waren ihre Reformpläne vor der Bundestagswahl 2005, als sie die Finanzpolitik verändern wollte analog zu Gerhard Schröders „Agenda 2010“. Mit Professor Paul Kirchhof hatte sie einen Experten an ihrer Seite, der ein radikal neues Steuermodell vorstellte. Für Bürger und Unternehmer sollten die vielen staatlichen Ketten gesprengt werden. Jedoch verunglimpfte Schröder im Wahlkampf Kirchhof als kalten, neo-liberalen Hochschullehrer aus Heidelberg. Durch den medialen Gegenwind der linken Meinungsführer bekam die Kanzlerin in spe kalte Füße und ließ Kirchhof und sein Konzept in der Versenkung verschwinden.

Diese Kaltschnäuzigkeit und ihre Orientierung an Stimmungen prägten auch ihre Kanzlerschaft. Sie regierte mehr nach aktuellen Umfragen und weniger nach Überzeugungen und Grundsätzen ihrer Partei der CDU. Überhaupt die Union: Dazu fällt ihr in den Memoiren nichts Bemerkenswertes ein. Es fällt auf, dass sie eine sehr geschäftsmäßige Beziehung zu ihrer Partei unterhielt – ganz im Gegensatz zu Helmut Kohl, dessen eigentliche Familie die Union war.

Anders als der Kanzler der Einheit hat Merkel auch ein mehr als kühles Verhältnis zu dem Land, das sie 16 Jahre regierte. Heimat, Nationalgefühl oder Vaterland kommen in ihrer Autobiografie nicht einmal als Spurenelement vor. Lediglich auf Seite 155 ploppt „Vaterland“ auf, indem sie die Nationalhymne der DDR zitiert. Das kann schon fast als Satire durchgehen.

Überhaupt geht sie nicht auf wichtige historische Linien ein, wie beispielsweise die Gründung des ersten deutschen Nationalstaates mit Otto von Bismarck an der politischen Spitze. Dessen Memoiren, „Gedanken und Erinnerungen“, sind heute noch lesenswert und wurden damals von Freund wie Feind als Meisterwerk gelobt. Mit dem Deutschsein haderte in Worten und Symbolen Merkel während ihrer gesamten Amtszeit. In ihren Erinnerungen zeigt sich das erneut: Vom deutschen Volk, dem gegenüber sie einen Amtseid schwor, schreibt sie nur ein einziges Mal. Und zwar, weil sie aus der Präambel des Grundgesetztes zitiert.

Völlig überschätzt

Merkels Memoiren sind vor allem völlig frei von Selbstkritik. Sie hat alles richtig gemacht, auch bei der Migrationspolitik ist sie mit sich im Reinen. Außenpolitisch hat sie aus ihrer Sicht Deutschland zu neuem Ansehen gebracht und zu einer Art Großmacht der Menschenrechte weiterentwickelt. Das Desaster in Afghanistan mit den bis heute spürbaren Folgen der fortgesetzten Einreise von so genannten Ortskräften, erklärt sie lapidar mit Bündnispflichten, insbesondere gegenüber den USA. Ganz nach dem Motto ihrer Amtszeit: alternativlos. Lediglich beim Thema Klima deutet sie leise Selbstkritik an, nicht energisch genug gehandelt zu haben. Das war’s!

Das war es auch mit dem Buch. Es lohnt nicht, es zu lesen. Zu detailverliebt bei banalen Unterthemen, wie beispielsweise die Prozedere bei Gipfeltreffen. Jedoch zu holzschnittartig, wenn es um große Entscheidungen und Beschlüsse geht. Beim Mega-Thema islamistischer Terror listet Merkel buchhalterhaft ein paar Attentate auf, wie jenes in einer Regionalbahn bei Würzburg durch einen angeblich minderjährigen afghanischen Asylbewerber. Dazu schreibt sie: „Seit dem 1. Juli 2016 lebte er in einer Pflegefamilie im Landkreis Würzburg. In einer Bäckerei absolvierte er ein Praktikum. Er hatte die Behörden vermutlich über sein wahres Alter und seine tatsächliche Herkunft getäuscht.“ Dem Leser könnte hier ein „Oha“ entfahren, wenn es nicht so unfreiwillig komisch wäre. Die Konsequenzen der Amokläufe von Migranten, scheinen Merkel nicht sonderlich zu kümmern – zumindest nicht in ihren Erinnerungen. Wenn der Leser eine neue Einordnung ihrer großzügigen Migrationspolitik erwartet, der sollte das Werk gar nicht erst anfassen.

Fazit: „Freiheit“ ist große Selbstbeweihräucherung bar jeder Erkenntnis für die gravierenden Folgen ihrer Politik. Die sie in ihrer Kanzlerschaft stützenden Medien feiern die Kanzlerin a.D. mit ihren Memoiren als leuchtender Freiheitsstern über einer sich verdüsternden Welt. Wenn in 100 Jahren Historiker auf die Erinnerungen Merkels blicken und ihre Amtszeit bewerten, könnte das Urteil so ausfallen: dröger literarischer Überrest, autoritäre Politik sowie politischer Totalschaden – so wie ihr zerbrochenes Reiterstandbild in Bayern.

Angela Merkel (mit Beate Baumann)

Freiheit. Erinnerungen 1954-2021

Kiepenheuer & Witsch

5
2
votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
guest
1 Kommentar
Inline Feedbacks
View all comments
dragaoNordestino
dragaoNordestino
19 Tage her

Interessiert die Frau Merkel eigentlich noch jemand…

1
0
Wie denken Sie darüber? Beteiligen Sie sich an der Diskussion!x