Warum ließen die Islamisten Assad davonkommen?

Syrien / Krieg / Assad / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder und Grafiken: David_Peterson; https://pixabay.com/de/photos/syrien-frieden-hand-nation-2132641/ Syrien / Krieg / Assad / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder und Grafiken: David_Peterson; https://pixabay.com/de/photos/syrien-frieden-hand-nation-2132641/

Die Syrer feierten Baschar al-Assads SturzmitFreudenschüssen und brennenden Fahnen. Bilder sind entscheidend, wenn es um Macht geht. Syrien steht pars pro toto.

Als am Abend des 7. Februar 1986 Jean-Claude Duvalier mit seiner Gattin Michèle am Flughafen der haitianischen Hauptstadt Porte-au-Prince eintraf, standen einige TV-Teams und Reporter bereit. Die Flucht des bisherigen Diktators hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen und wurde filmisch festhalten. Loyale Diener luden die  Edelkoffer, angefüllt mit Schmuck und teurer Garderobe, in den bereitstehenden Privatjet mit Ziel Paris. Madame Duvalier winkte ein letztes Mal huldvoll in Richtung der Schaulustigen, bevor es ins Exil ging.

Damals hatten die Amerikaner und Franzosen über die aus dem Ruder gelaufene Duvalier-Diktatur den Daumen gesenkt. Der Abgang des Potentaten-Paares hatte noch einen gewissen Stil. Der Abgang des syrischen Diktatoren-Kollegen hingegen nicht. Ohne Kameras, ohne letztes Winken verschwand Baschar Al-Assad von der Weltbühne. Aber doch mit einer Besonderheit.

Exil oder Galgen

Mit dem Ende von Diktatoren ist es so eine Sache. Die wenigsten von ihnen sterben friedlich im Bett oder ruhmreich auf dem Schlachtfeld. Jüngere Beispiele zeigen die blutigen Seiten: Saddam Hussein hat zwar noch einen Prozess erhalten, die Siegermacht USA drängte darauf. Allerdings baumelte er verabredungsgemäß zwischen USA und irakischer Vasallen-Regierung kurz vor Silvester 2006 am Galgen. Die Bilder seiner Hinrichtung gingen um die Welt und blieben auch dem Autor morgens beim Blick in die Presse zum Kaffee nicht erspart.

Die Inszenierung war bis ins Detail durchdacht inklusive Kapuze für die Henker sowie den Delinquenten, die dieser in letzter Verachtung gegen seine Feinde zurückwies. Mit dem Koran in der Hand sackt der geschasste irakische Diktator unter lauten Rufen der geladenen Gaffer für seinen ärgsten Widersacher Muqtada as-Sadr in den Tod. Am Abend zuvor hatte der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki anlässlich der Exekution ein festliches Abendessen gegeben. Tausendundeine Nacht.

Nochmal davongekommen

Dass Baschar al-Assad wahrscheinlich keinen Prozess erlebt, weder in Syrien noch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, ist sein unverdientes Glück. Seine ehemalige Schutzmacht Russland hat ihm und seiner Familie aus „humanitären Gründen“ Zuflucht in Moskau gewährt. Vermutlich gehört das zur Übereinkunft mit den syrischen Rebellen: unverzügliche Machtübergabe als Gegenleistung für Leib und Leben der Ex-Herrscherfamilie. Ein vergiftetes Geschenk an das geschundene syrische Volk. Bei der massiven militärischen Unterstützung durch die Türkei und anscheinend auch die USA hätten die islamistischen Rebellen Assad zur Rechenschaft ziehen können. Wieso haben sie den verhassten Diktator einfach ziehen lassen?

Das Volk will sehen, um zu glauben

Beliebt sind am Ende einer Schreckensherrschaft neben Massakern an den Gestürzten, der gepfählte libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi ist ein schönes Beispiel, vor allem Plünderungen. Sie stehen für die Rache des kleinen Mannes, die sich auch in Assads Palast in Damaskus austoben durfte. Hunderte Menschen streiften durch den Bau und nahmen mit, was ihnen in die Hände fiel, und die Medien immer dabei. Was war auf den Bildern zu sehen? Nichts Kostbares, viel Nippes. Die wertvollen Stücke dürften dem Ex-Präsidenten in sein Moskauer Exil vorausgereist sein. Assads teure Sammlung von Luxusschlitten, vor allem italienischer und deutscher Marken, konnten natürlich bei der Präsentation der Beute in den Nachrichten nicht fehlen.

Die ersten Stunden und Tage nach dem Sturz eines Diktators laufen so oder so ähnlich ab. Es ist, als ob es dafür ein internationales Drehbuch gäbe. Umstürzlerische Bilder mit hingerichteten Potentaten, massakrierten Schergen und geschändeten Symbolen der alten Macht dienen neben der Information immer auch einem Exorzismus. Das Böse soll vor aller Augen vernichtet werden. Dabei rücken auch die persönlichen Dinge in den Blick. So war es bei Saddam dessen Waffensammlung, bei Gaddafi dessen weibliche Leibgarde, und beim Stalinisten Nikolae Ceaușescu waren es die rumänischen Kronjuwelen. Sie soll er nach Aussage seines Leibdieners „nur zu Hause getragen“ haben.

All diesen Beispielen ist gemeinsam, dass der entmachtete Potentat als überdreht, exzentrisch, ja verrückt betrachtet werden soll. Letztlich wollen die neuen Machthaber sagen: Diese Schurken gehörten nie zum Volk. Sie waren wie Vampire, die die Menschen aussaugten.

Assads Sturz als Polit-Porno

Bei Assad haben nicht die Rebellen die Dramaturgie der Bilder bestimmt, sondern das Schwarm-Chaos in den Sozialen Medien. Schnappschüsse aus unbeschwerten Tagen tauchten auf. Darauf ein junger Assad in westlichem Stil als angehender Augenarzt im London der 1980er Jahre. Millionenfach schwirren diese Fotos von ihm in Unterhose und T-Shirt in einer Küche stehend durchs Netz. Einige Kommentatoren hoben das gute Aussehen und das aufreizende Äußere hervor.

Aber sind diese Bilder überhaupt echt? Diese Frage wurde in den vergangenen Tagen immer wieder gestellt. Aber darum geht es nicht. Diese privaten Einblicke sollen den Ex-Diktator als durchschnittlichen Allerweltsmann erscheinen lassen. Nicht als den zupackenden Autokraten, wie er während seiner Herrschaft auf offiziellen Porträts gezeigt wurde.

Ob mit Hilfe der Rebellen oder zufällig: Das Design des syrischen Umsturzes erhält erotische, fast schon pornografische Züge. Wie passend! Ist nicht jede Rebellion, jedes gewaltsame Ende eine politische Pornografie? Und war nicht fast die ganze Herrschaft der Assads eine sadomasochistische Orgie? Die neuen syrischen Herrscher drohen den Polit-Porno fortzusetzen – diesmal mit islamistischen Gewürzen.

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fufu
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1 Monat her

Abstruser Artikel. Bekanntlich schreiben die Geschichte die Sieger und das sind in diesem Fall zu diesem Zeitpunkt Israel, die USA und die Tuerkei, die grossen Verlierer Russland, Iran und China. Ob die genannten Diktatoren des Mittleren und Nahen Ostens moralisch verwerflicher sind als Netanyahu und seine US-amerikanischen und europaeischen Unterstuetzer wage ich zu bezweifeln. Aber das spielt keine Rolle, die derzeitigen Sieger haben die Gelegenheit folgend langfristigen Interessen beim Schopf ergriffen. Ob der Freudentaumel der Bevoelkerung echt oder inszeniert ist kann ich nicht beurteilen. Wahrscheinlich ist er sogar echt, war mit dem Fall der DDR ja nicht anders, der Kater… Read more »

fufu
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1 Monat her

Die „Achse des Widerstands“ hat sich als schwach erwiesen. Der Iran hat seine Proxies im Stich gelassen, wohl ein Effekt der Retorik Trumps gegen den Iran. Russland wiederum, auch aufgrund seiner guten Beziehungen zu Israel, wollte nicht mit den Verlierern in einem Boot sitzen. Assad musste man „aus humanitaeren Gruenden“ Asyl gewaehren, den ehemaligen Verbuendeten den Islamisten zu ueberlassen haette die Schwaeche Russlands fuer das Publikum allzu offensichtlich gemacht. In den Hauptstaedten wird man es aber registrieren.

fufu
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Reply to  fufu
1 Monat her

„Tankstelle mit Raketen“. Putins Verrenkungen und Versuche seine blamagle und selbstverschuldete Niederlage zu vertuschen, der westlichen Propaganda folgend die dazumal Israel- und CIA- gesponserten ISIS-Terroristen jetzt als „moderate“ Rebellen zu hofieren, die Schuld auf Assad und den Iran zu schieben, wird Folgen haben. Putins Russland gilt ab jetzt als unzuverlaessiger Partner der nur seine eigenen Interessen im Sinn hat, von Gnaden der Tuerkei, Israels und Chinas.

fufu
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Reply to  fufu
1 Monat her

„nur seine eigenen Interessen“

Verkauf seiner Mineraloelprodukte, seine verbale Verurteilung des Genozids Israels an den Palestinensern wird niemanden beeindrucken. Man kann argumentieren das waere nicht seine Angelegenheit, 5d-Schach, was auch immer. In der Realitaet hat er Syrien und den Iran benutzt als er die Pipeline von Quatar nach Europa noch verhindern wollte. BRICs als antiimperialistisches Projekt wie es viele idealistisch gesehen haben ist so gut wie tot.

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