Ampel-Aus: Psychogramm einer gescheiterten Beziehung

Ampel / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: Wikimadialmages; https://pixabay.com/de/photos/ampel-signal-der-verkehr-stra%c3%9fe-876054/ Ampel / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: Wikimadialmages; https://pixabay.com/de/photos/ampel-signal-der-verkehr-stra%c3%9fe-876054/

Das Ende der Ampel: Scholz eiskalt, Lindner fassungslos, Habeck träumt, Wissing läuft über, und Merz schäumt. Die Regierungskrise als Boulevardtheater.  

So doof“, fasste der Kanzler gewohnt schmallippig die gescheiterten Gespräche mit Christian Lindner zusammen. Dann griff Olaf Scholz zum Telefon, um den Bundespräsidenten um die Entlassung seines Finanzministers zu bitten. Bei der Verabschiedung in Schloss Bellevue wirkte Lindner so, als ob er vom Blitz getroffen wäre. Aus, Schluss, vorbei! Wer sind die Protagonisten dieses nun zu Ende gehenden Schauspiels auf der Berliner Bühne?

Olaf Scholz – der Ungeliebte

Wie die Jungfrau zum Kinde kam der SPD-Kandidat 2021 zur Kanzlerschaft und über die Republik. Selbst in seiner eigenen Partei galt er als Notlösung, da sich kein anderer Genosse für die Wahl aufdrängte. Nach 16 Jahren Angela Merkel waren Sozial- wie Christdemokraten personell wie ideell ausgelaugt. Mit dem Unions-Kandidaten Armin Laschet zog auch die CDU eine Notlösung aus dem Ärmel gegen den Bayern Markus Söder.

Jener hat Scholz als „schlumpfig“ bezeichnet, aber das ist eine völlig falsche Charakterisierung des Noch-Kanzlers. Er schleicht über die politische Bühne, spricht nur, wenn er unbedingt muss, also von Amts wegen, und hat anders als die Schlümpfe nicht nur einen Gegner. Während seines Aufstiegs in der SPD war Scholz lange nur in der zweiten Reihe. In der hat er gelernt, dass es sich lohnt, zurückzuhaltend zu sein und abzuwarten. Etliche Pateigrößen sind an ihm als politische Leichen vorbeigeschwommen, bis der SPD nichts anderes mehr übrig blieb, dem Ungeliebten die Kanzlerkandidatur anzutragen.

Scholz wirkte in seinen Jahren im Kanzleramt wie eingefroren, als ob er den Preis für die schlechteste Kommunikation eines Regierungschefs gewinnen wollte. Mit seiner fast schon ehrenrührigen Kritik am geschassten Finanzminister, dem er letztlich Verrat vorwarf, ist er in die Geschichte eingegangen. Das war ein Koalitionsende, wie es bisher in der Bundesrepublik nicht vorkam. Viel mehr dürfte von der Scholzschen Kanzlerschaft nicht in Erinnerung bleiben. Das Prädikat „schlechtester Bundeskanzler aller Zeiten“ hat er sich redlich verdient. Ein Elder Statesman im Ruhestand wie es Helmut Schmidt oder Willy Brandt nach ihrer Kanzlerschaft waren, ist für Scholz nahezu aussichtslos. Er ist ruhmlos gescheitert!

Christian Lindner – der Abgestürzte

Christian Lindner ist als Held der FDP steil aufgestiegen. Er war es, der die Partei nach ihrem Rauswurf aus dem Bundestag 2013 vier Jahre später wieder zurückführte. Mit dem guten Wahlergebnis von 2021 bei rund 11 Prozent wollten die Liberalen unbedingt das, was sie noch 2017 nicht wollten: mitregieren. Lindner war auf dem Zenit seiner Macht, als FDP-Chef und Bundesfinanzminister. Eine Fortschrittskoalition riefen seine Liberalen, SPD und die Grünen aus. Lindner sah Deutschland als Sanierungsfall nach der langen Kanzlerschaft Merkels, die Helmut Kohl nachahmte, indem sie sich einschneidenden Reformen verweigerte.

Linder war einst von Jürgen Möllemann in NRW als politisches Talent entdeckt und Guido Westerwelle für höhere Aufgaben empfohlen worden. Vom damaligen Parteichef zum Generalsekretär ernannt, gelang dem jungen Lindner ein rasanter Aufstieg in der Bundespolitik. Beobachter sahen bei Lindner bereits damals einen gewissen Hang zur Großspurigkeit, Prominenz und Machtfülle würden ihm zu Kopf steigen, hieß es. Mit seiner Glamour-Hochzeit auf Sylt, zu der auch Scholz und Merz anreisten, hat er jedes Klischee über die Liberalen bestätigt. Auch das einer Eliten-Partei mit dem Talent zur Selbstüberschätzung.

Lindner wollte in seiner Ministerzeit staatstragend erscheinen, aber er wirkte doch wie der Lehrling, der unter seinem Kanzler den Meisterbrief machen wollte. Lindner schaute anfangs noch zu Scholz auf, der zudem 20 Jahre älter ist – aber die Bewunderung erfuhr keine Erwiderung. Der Kanzler ließ den enttäuschten Liberalen eiskalt abstürzen. Zu viel Opposition in einer Koalition geht schief. Lindner hätte sich nicht an seinen politischen Ziehvätern Möllemann und Westerwelle orientieren sollen, sondern an den Strategen Genscher und Lambsdorff.

Jetzt ist es für ihn und seine FDP womöglich zu spät. Fliegen sie aus dem Bundestag, dann fliegt auch Lindner von der Parteispitze. Sein Ego hat bereits einen Schaden erlitten mit der Entlassung als Finanzminister. Ein Ende der FDP wäre für ihn verheerend, und ob ihn dann der angeblich winkende hoch dotierte Lobbyisten-Vertrag beim Schweizer Ringier-Verlag noch retten kann? Bei seinem Abschied aus dem Finanzministerium soll er „Auf Wiedersehen“ gesagt haben. Prophezeiung, Drohung oder nur Größenwahn? Letzteres macht sich bei unserem nächsten Helden breit.

Robert Habeck – der Träumer

Robert Habecks Partei dümpelt derzeit bei gut zehn Prozent, aber der Wirtschaftsminister schaut hoffnungsfroh in eine grüne Zukunft. Am Küchentisch bei Freunden hat er sich zum Kanzlerkandidaten ausgerufen, was auf einem Grünen-Parteitag noch bestätigt werden soll. So rebellisch wie früher ist die Partei nicht mehr, ansonsten hätte Habeck nicht vorpreschen können. Früher wäre er von den Delegierten als überheblicher Solotänzer ausgebremst worden. Aber die Grünen von heute sind nicht mehr die Anti-Parteien-Partei, die sie in den 1980er Jahren waren. Spätestens mit Joschka Fischer in der Koalition mit Gerhard Schröder sind sie ins bundesrepublikanische System integriert worden und gelten für SPD, Linke bis CDU und FDP als koalitionsfähig.

Habeck will dieses Alleinstellungsmerkmal seiner Partei nach rechts verschieben und sich dauerhaft für die Union als Premiumpartner anheischig machen. Seine Kanzlerkandidatur ist Kokolores, das weiß der Schriftsteller im Ministeramt. Aber er hofft mit seinem Image als verständnisvoller, nachdenklicher Politiker bei den Wählern zu punkten. Insbesondere bei den Frauen, denn er ist ein Frauentyp – anders als Friedrich Merz.

Habeck hat in der Ampel die Moderatorenrolle gespielt, der den Ausgleich zwischen den widerspenstigen Partnern sucht. Er versteht sich als bodenständiger Denker, der die Bürger vom vermeintlichen Fortschrittsgeist seiner Partei überzeugen möchte. Dazu hat er sie in seinem Kanzlerkandidaten-Video eingeladen, mit ihm an ihren Küchentischen über die Zukunft des Landes zu diskutieren. Nimmt der Bürger, nehmen Sie, liebe Leser die Einladung an?

Sehr wahrscheinlich nimmt der Wähler seine Einladung, ihn zum Bundeskanzler zu wählen nicht an. Robert Habeck war für seine Kritiker der Schurke in der Ampel, der sich vor allem mit dem ideologischen Heizungsgesetz in die Nesseln setzte. Für Wohlwollende ist er der romantische Held, der nur das Gute will und nun unverstanden am Küchentisch sitzt. Für den Kanzler ein Nebenbuhler im eigenen Kabinett, auch das ein bisher einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik. Er sollte sich ein Beispiel an Partei-Legende Joschka Fischer nehmen und bei einer US-Lobby-Agentur viel Geld verdienen.

Volker Wissing – der Überläufer

Volker Wissings Familie gehört nicht zu den reichsten in Rheinland-Pfalz, wie es Presseagenturen in Umlauf brachten. Reich ist ein überstrapazierter Begriff, der auslegungsbedürftig ist. Bill Gates oder die Aldi-Erben sind reich, da es sich um Milliarden-Vermögen handelt. Oder für Rheinland-Pfalz die Familie Schaub (Rheinpfalz/Südwest-Presse) und Reimann/Benckiser (Reinigungs- und Haushaltwaren) mit Milliarden auf den Konten. Aber Volker Wissing?

Er war Richter, hat eine Anwaltskanzlei in seiner südpfälzischen Heimat, und dann gibt es noch ein Familienweingut. Wahrscheinlich ist er wohlhabend, aber einige Medien wollten mit dem Etikett reich FDP-Klischees bedienen. Interessanter an Wissing dürfte sein, dass er praktizierender Calvinist ist. Für diese Gläubigen belohnt Gott ein rechtschaffenes Leben bereits auf Erden. Wohlstand und Erfolg sind nach der Lehre Calvins ein wohlwollender Fingerzeig des Herrn. Jene, die sündigen, ziehen durch göttliche Ungnade bereits zu Lebzeiten erfolglos und elendig umher.

Volker Wissing muss nach dieser Lesart viel richtig gemacht haben und erreicht sogar einen Karrierehöhepunkt am Ende der Ampel: Doppelminister für Verkehr und Justiz. Göttliche Belohnung oder doch teuflische Satire? Für Katholiken sind Calvinisten nicht weit von der Hölle entfernt, was letztere von allen anderen Religionen ebenso denken. Ist Wissing mit seinem Austritt aus der FDP, um weiter verantwortungsvoll dem Staat zu dienen, wie er sein Weiter-so erklärte, der Inspiration einer höheren Macht gefolgt?

Für die Mehrheit in seiner Ex-Partei ist er einfach ein treuloser Überläufer. Und die hat sich schon gerächt, indem sie Wissings Webseite übernommen hat mit mehr als einem Seitenhieb. Mag sein, dass er an die Ampel als Fortschrittskoalition glaubte. Es mag auch sein, dass ihn seine nostalgischen Erinnerungen an die gut laufende Ampel in Rheinland-Pfalz, der er angehörte, zum Bleiben motivierten. Eines ist klar: Wissing ist die rätselhafteste Figur im Restekabinett des Olaf Scholz. Und das Geld, das Ruhegehalt nach Ende der Ministerzeit kann es nicht sein, oder? Er ist doch laut Presse sogar reich, und aus seiner Zeit als Landesminister mit den drei Jahren Bundesebene hat er die Bedingungen für das Ruhegeld ohnehin erreicht. Volker Wissing, vielleicht noch gesetzt im nächsten Kabinett? Das entscheidet unser nächster Protagonist.  

Friedrich Merz – der Ungeduldige

Friedrich Merz hat es anscheinend nie aufgegeben, Kanzler zu werden. Wie anders sind die Demütigungen Merkels ihm gegenüber und seine drei Anläufe bis zur CDU-Spitze zu erklären? Auch die Ex-Kanzlerin hätte es sich nicht vorstellen mögen, dass ihr langjähriger Rivale doch noch an die Tür des Kanzleramts klopft. Der Sauerländer ist ein Machtmensch, der aus seiner Sicht nur durch den „Betriebsunfall Merkel“ zu lange von der Regierungszentrale ferngehalten wurde. Er ist nach der klassischen Temperamentenlehre Sanguiniker: leicht zu erregen, oftmals unbeherrscht, aufbrausend und hochmütig.

Merz sieht sich so gut wie allen anderen überlegen und dem ausgeprägten Stoiker OIaf Scholz ohnehin. Es drängt den CDU-Spitzenmann geradezu gierig nach der Macht und einem Wahltermin am besten gestern. Seine Ungeduld ist eine seiner Schwächen, die er im Kanzleramt angekommen tunlichst verbergen sollte. Merz ist andererseits bodenständig und fest in seiner sauerländischen Heimat mit seiner großen Familie verwurzelt. Dieser Lebensstil ist für die Mehrheit der Wähler vertraut und nachvollziehbar.

Dieses klassische Familienmodell steht in grellem Kontrast zu den Vorstellungen der Ampel, wie beispielsweise der Cannabislegalisierung oder dem Selbstbestimmungsgesetz, die für SPD, Grüne und FDP unter ihrem Fortschrittsversprechen im Koalitionsvertrag liefen. Wird Merz diese Gesetze kassieren? Wohl kaum, denn wahrscheinlich muss er mit der SPD koalieren, die nicht alles aus der Ampel aufkündigen wird. Noch mehr gilt das für die Grünen, falls die Sozialdemokraten mit der Union nicht zusammenarbeiten wollen und sie für Merz als Notlösung dienten. Doch das ist unwahrscheinlich, genauso wie eine Zusammenarbeit mit der AfD oder dem BSW und sei es nur als Dulder einer Unionsminderheitsregierung.

Die FDP als Partner wäre Merz wohl am liebsten, inhaltlich und berechenbar – die gute alte schwarz-gelbe Koalition. Aber kommen die Liberalen in den Bundestag zurück – und falls ja, wie stark?

Merz ist durch seine Herkunft und berufliche Sozialisation sicherheitsorientiert und letztlich ein Politiker des Westdeutschlands der 1980er Jahre. Es läuft derzeit auf Schwarz-Rot hinaus, was nicht besser laufen muss als die Ampel. Der frühere SPD-Multifunktionär Sigmar Gabriel raunte, dass es völlig offen sei, ob die nächste Bundesregierung erfolgreich arbeiten werde. Falls nicht, dann drohten französische Verhältnisse bei der Wahl 2029. Das heißt nichts anderes, dass dann die AfD ans Kanzleramt klopft. Einem Bundeskanzler Merz stehen schwierige Jahre bevor, vielleicht eine Mission Impossible.

Frank-Walter Steinmeier – der Letztentscheider

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in der Übergangszeit zwischen der rot-grünen Minderheitsregierung und einer vorgezogenen Neuwahl die Fäden in der Hand. Sollte Scholz die Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes stellen und verlieren, und danach sieht es aus, dann entscheidet das Staatsoberhaupt, ob er vorgezogene Neuwahlen ansetzt. Aber er muss es nicht! Die Verfassung verpflichtet ihn nicht, nach einer verlorenen Vertrauensfrage des Kanzlers den Bundestag aufzulösen. Er kann die Minderheitsregierung im Amt belassen und sie verpflichten bis zum regulären Wahltermin im September 2025 durchzuhalten.

Selbst wenn diese keinen ordentlichen Haushalt oder sonstige Gesetze mehr verabschieden kann. Es gilt dann ein Nothaushalt, um die grundlegenden Pflichten des Staates gegenüber den Bürgern einzuhalten, wie zum Beispiel die Rentenzahlungen oder die Gehälter für die Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst. Aber wie hoch wäre der Druck auf den SPD-Mann im Schloss Bellevue? Er wäre erdrückend.

Steinmeier ist zwar durch und durch Parteikader, aber er will sich seine ohnehin blasse Amtszeit nicht durch eine einseitige Parteinahme vollends ruinieren lassen. Der fleischgewordene Bürokrat auf dem Präsidentensessel dürfte so oder so wie sein Kanzlergenosse Scholz als Fußnote in die Geschichte eingehen. Allerdings erst im Sommer 2026. Bis dahin hat er noch die Aufgabe die Resteampel zu entlassen und die neue Bundesregierung ins Amt zu berufen.

Fazit des Ampel-Dramoletts: Es wird deutlich, dass die politische Klasse weitgehend abgewirtschaftet hat. Sigmar Gabriels warnende Befürchtung vor einem erneuten Desaster mit der nächsten Regierung, ist nicht aus der Luft gegriffen. Wenn sich die Bundestagsabgeordneten künftig bei einer Regierungskrise selbst ermächtigen wollen, dann sollten sie sich ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages geben. Dann wären diese umständlichen Konstruktionen wie Vertrauensfrage oder konstruktives Misstrauensvotum nur noch nebensächlich – oder ganz zu streichen. Gescheiterte Beziehungen in der Politik müssen künftig schnell und schnörkellos geschieden werden.

5
6
votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
guest
4 Comments
Inline Feedbacks
View all comments
fufu
fufu
25 Tage her

Eigentlich ziemliche Normalos denen durch Zufall eine Rolle zugefallen ist die um einige Schuhgroessen zu gross fuer sie ist. Erinnert mich an die eleganten Gehversuche der Aussenministerin mit Stoeckelschuhen.

Thomas Bargatzky
Thomas Bargatzky
Reply to  fufu
24 Tage her

Sie meinen: „Verteidigungsministerin“? (in Afrika, mit Stöckelschuhen).

fufu
fufu
Reply to  Thomas Bargatzky
22 Tage her

Normalos… Regierung wie Parlament, ein echter Querschnitt der Bevoelkerung, offen fuer alle, echte Demokratie. „Gehversuche“ der Aussenministerin gemeint im Sinne von Haben (wollen) oder Sein (wollen) ohne Sein frei nach Fromm. Vieleicht der gescheiterte Versuch zum Top-Model, dann halt Aussenministerin, warum nicht. Ein anderes Exemplar der Art die Meloni in Italien, auch mit Blasen an den Fuessen, die wollte mal Saengerin werden.

Egon Scherzer
Egon Scherzer
22 Tage her

Alles Marionetten fremder Mächte.
Ohne eigene Moral, ohne Verantwortungsbewußtsein, getrieben von Gier und Hypris.
Also ein exaktes Abbild der ‚West’deutschen Gesellschaft. Sie können es auch nicht. Auf zum ‚Endsieg‘, also in den Untergang.

4
0
Wie denken Sie darüber? Beteiligen Sie sich an der Diskussion!x