Fürs eigene Überleben will die FDP die Ampel sprengen
Dauerzoff mit Kanzler Scholz und Robert Habeck und brisante Positionspapiere. Die FDP hat sich für den Ausstieg aus der Ampel entschieden.
Im September 1982 verschickte der FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff ein Strategiepapier an Bundeskanzler Helmut Schmidt, das es in sich hatte. Mit dem sperrigen Titel „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ setzte die FDP ihren sozialdemokratischen Koalitionspartner unter Druck. Die Liberalen wollten ein Ende der Schuldenpolitik, weniger Sozialausgaben und eine weitgehende Deregulierung der Wirtschaft. Als Paten für das Papier standen US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Der Neoliberalismus sollte auch in der Bundesrepublik salonfähig werden, um das Ende der sozial-liberalen Ära einzuläuten.
Lambsdorffs Kalkül ging auf: Es kam zum Bruch der Koalition, indem Schmidt die Koalition mit der FDP für beendet erklärte. Das anschließende konstruktive Misstrauensvotum gewann Helmut Kohl mithilfe der liberalen Überläufer. In den Kohl-Jahren wurden viele Anregungen aus dem Lambsdorff-Papier nicht umgesetzt, was mit der Beharrlichkeit der alten bundesrepublikanischen Gesellschaft zu tun. Bitte nicht zu viele Reformen, der Konsens soll das politische Leitbild bleiben. Jedoch hatte die FDP ihre Ziele erreicht: Sie blieb Regierungspartner und profilierte sich wieder als Wirtschaftspartei. Dient das Papier von 1982 FDP-Chef Lindner als Blaupause für den Ausstieg aus der Ampel 2024?
Positionspapiere als vergiftetes Angebot
Inhaltsverzeichnis
Es geht doch nur noch um das Wann und nicht mehr um das Ob. Für die meisten politischen Beobachter ist klar, dass die Koalition am Ende ist. Auch eine wachsende Mehrheit der Bürger von 54 Prozent in Umfragen sehnt sich nach einem vorzeitigen Aus für die Ampel. Der seit Monaten auf offener Bühne ausgetragene Streit zwischen den drei Partnern, die inzwischen mehr Gegner sind, hat jegliches Vertrauen zerstört. Und das sowohl innerhalb der Koalition als auch bei den Wählern.
Das Kernproblem der Ampel waren von Anfang an völlig unterschiedliche Positionen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es steht immer zwei (SPD, Grüne) gegen eine (FDP), die sich in den letzten drei Jahren von ihren linken Partnern mit steigenden Sozialausgaben und den Kosten für die Klimatransformation hat in die Enge treiben lassen. Jetzt legt Lindner auf die letzten Meter ein eigenes Wirtschaftspapier vor, das die Wende einleiten soll. Bloß wohin?
Lindner will in seinem Papier eine Aussetzung der Regulierungen, die die Wirtschaft gängeln und zu viel Bürokratie verursachen. Dazu gehören das Tariftreuegesetz, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die Berichts- und Nachweispflichten aus dem Green Deal. Das ist allerdings nur auf EU-Ebene zu ändern und die Begeisterung bei Scholz und Wirtschaftsminister Habeck dürfte sich in Grenzen halten. Allein diese Forderungen sind für Lindners Kollegen Gift. Hinzu kommt die Forderung nach Steuersenkungen, der bekannte FDP-Schlager. „Als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt wird, entfallen“, heißt es in Lindners Konzept.
Besonders für die Grünen enthält das Papier einen richtigen Knaller: die deutschen Klimaschutzziele sind auf 2050 zu verschieben und sollen auf EU-Ebene geregelt werden. „Klimapolitisch motivierte Dauersubventionen“ möchte Lindner genauso wie den Klima- und Transformationsfonds abschaffen. Besonders hart für die Grünen ist der Vorschlag, die heimische Erdgasförderung mittels Fracking zu fördern. Allein dieser Punkt ist eine Scheidung wert.
Auch die SPD bekommt ihr Fett weg: Das Rentenpaket II muss neu bewertet werden. Dabei hatte Lindner dem Vorhaben von Arbeitsminister Heil ursprünglich zugestimmt, und so steht es auch im Koalitionsvertrag. Der Finanzminister kritisiert nun die überbordenden Kosten für die junge Generation, denen man aus seiner Sicht nicht allein die Kosten für die alternde Gesellschaft aufbürden darf.
Natürlich darf die Kritik am Bürgergeld nicht fehlen, das die Liberalen erst geräuschlos mit verabschiedet hatten und sich nun am liebsten davon verabschieden möchten: „Individuelle Schlechterstellungen gegenüber dem Status Quo sind dabei unvermeidlich, aber im Sinne von Aktivierung und Anreizorientierung auch zu begrüßen“, heißt es im besten Technokraten-Deutsch im Papier.
Szenen einer Ehe
Christian Lindners Rundumschlag gegen die eigenen Koalitionspartner ist der Auftakt im Scheidungs-Dramolett, das mit der Haushaltsbereinigungssitzung im Bundestag Mitte November seinem Höhepunkt zusteuert. Von Haushältern der Ampel ist zu hören, dass eine Einigung für einen soliden Haushalt 2025 noch möglich sei. Es komme aber auf die Führungsebene an, also vor allem auf Lindner. Nach den konkurrierenden Gipfel-Treffen mit Wirtschaftsvertretern zwischen FDP-Führung auf der einen Seite und Kanzler Scholz auf deren anderen ist der Tiefpunkt des Regierungshandelns erreicht. Es gibt de facto kein gemeinsames Handeln mehr – der Wahlkampf ist in vollem Gange.
Für den Wirtschaftsminister kommt es knüppeldick. Weder wurde er von Scholz noch von Lindner zu den Begegnungen mit Vertretern der Wirtschaft eingeladen. Sein Konzept eines „Investitionsfonds“ um mit Milliarden die Konjunktur anzukurbeln, ist nahezu verpufft. Die Liberalen halten es für quasi sozialistischen Dirigismus, und Scholz schweigt sich dazu aus – wie immer. Für eine in Umfragen bei rund zehn Prozent pendelnde Partei wie die Grünen sollte Habeck seine Kanzler-Träume begraben.
Den Ampel-Parteien bis auf die FDP dämmert immer noch nicht, dass nicht allein der Krieg in der Ukraine mit seinen wirtschaftlichen Folgen die Koalition in den Abgrund zieht. Die als progressive Koalition angetretene Ampel trifft den Nerv der Bürger nicht. Sie hat sich schnell von den tatsächlichen Problemen der Menschen entkoppelt und mit Nischenthemen Politik gemacht. So wie es Sahra Wagenknecht in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ analysierte: Politik soll für die Interessen der Mehrheit gemacht werden und nicht gegen sie. Und wann kommt das Scheidungsurteil?
Schmutzige Scheidung?
Lindners FDP möchte sich gerne von Scholz den Stuhl vor die Tür stellen lassen. Bis zur entscheidenden Haushaltssitzung wird also erstmal weiter gestichelt. Der Kanzler ist aber Stoiker und hält viel aus, auch die Provokationen der Liberalen. Also muss Lindner den Stecker wohl oder übel selbst ziehen und könnte das mit unüberbrückbaren Differenzen in der Haushalts- und Finanzpolitik begründen. Eine rot-grüne Minderheitsregierung wäre verfassungsrechtlich möglich, sie könnte bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2025 verwaltend amtieren. Jedoch wäre der öffentliche Druck und auch innerhalb der Parteien zu groß, um das durchzustehen. Wie also weitermachen?
Laut dem Grundgesetz gibt es zwei Möglichkeiten den Bundestag vorzeitig aufzulösen: Konstruktives Misstrauensvotum und die Vertrauensfrage. Ersteres wird die Union mit Friedrich Merz nicht machen. Mit den Stimmen seiner Fraktion und jenen der FDP reicht es nicht zur Wahl zum Bundeskanzler. Er wäre auf Leihstimmen angewiesen, die er weder von SPD, Grünen, Linken und BSW bekäme. Wie würde sich die AfD verhalten? Wahrscheinlich würde sie sich die Hände reiben und Merz zum Kanzler wählen. Das weiß der CDU-Chef, und daher kommt diese Option nicht infrage. Ein Kanzler Merz von AfD-Gnaden? (Noch) undenkbar!
Also bleibt die Vertrauensfrage, die Olaf Scholz im Bundestag stellen müsste. Wenn es so käme, dann ist nach einem FDP-Ausstieg die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er sie verlöre. Dann wäre der Bundespräsident am Zug: Er müsste den Bundestag auflösen und Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen ansetzen. Sollte die FDP Ende November aussteigen, dann könnten die vorgezogenen Neuwahlen am 2. März 2025, dem Tag der Hamburg-Wahl, stattfinden. Vermutlich ginge dann die Union als Siegerin durchs Ziel, und es käme zu Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten. Die Grünen dienen im Hintergrund lediglich als Druckmittel gegen eine aufmüpfige SPD.
Es wäre die vierte GroKo, aber ohne eine echte große Koalition mit einer geschrumpften SPD zu sein. Selbst mit einem Kanzlerkandidatenwechsel von Olaf Scholz zu Boris Pistorius käme die Partei nicht mehr aufs Siegertreppchen. Ein laut Umfragen beliebter Verteidigungsminister muss noch kein guter Kanzleranwärter sein.
Und die FDP? Sie kann es schaffen! Sie sollte im Wahlkampf betonen, die Partei der Vernunft in der Ampel gewesen zu sein. Und aus staatspolitischer Verantwortung musste sie die Koalition verlassen – dann sind für sie fünf bis sechs Prozent der Stimmen möglich. Vier Jahre hätten die Liberalen dann Zeit, sich in der Opposition zu regenerieren, wie nach dem Ende der Ära Kohl 1998.
Sollte die FDP sich aber doch noch ein Jahr in der Ampel durchquälen wollen, dann gibt es die bittere Quittung am Abend des 28. September 2025: unter fünf Prozent, wie 2013 nach dem Gewürge mit Kanzlerin Merkel. Ob sie dann aus der außerparlamentarischen Opposition erneut in den Bundestag zurückkehrt, ist nach den desaströsen Ampel-Jahren mehr als ungewiss. Der Koalitionswechsel von 1982 dient also nur eingeschränkt als Blaupause. Damals gab es eine starke Union und es reichte auch für eine Sechs-Prozent-FDP zum Mitregieren. Außerdem spielten die Grünen noch keine Rolle, und weitere Parteien hatten keine Aussicht auf Sitze im Bundestag, anders als heute.
Christian Lindner steckt in einem veritablen Dilemma, das er sich mit seinen Liberalen selbst eingebrockt hat. Ihm dürfte in diesen Tagen sein geflügeltes Wort von 2017 nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen nachklingen: „Besser nicht regieren, als schlecht regieren.“
Alles klar?
https://tkp.at/2024/10/29/niederlande-nato-herrscht-im-gesundheitsministerium/
Is ja nur falls einer das Kasperletheater noch nicht durchschaut hat.
Das hätte Lindner längst tun müssen.
Die Regie laeuft doch wie am Schnuerchen. Stunden nach dem PR-Stunt in USA zerbricht die Koalition, Neuwahlen, Blackrock, aeh Merz, uebernimmt das Kanzleramt…
Den Rest kann man sich denken… „germans to the front“.