BSW und AfD beerdigen die alte Bundesrepublik
Die Erfolge von Höcke (AfD) und Wagenknecht (BSW) im Osten sind mehr als ein Zäsur. Sie bedeuten das Ende der bisherigen bundesrepublikanischen Ordnung.
In meinem Schülerarbeitsheft Geschichte gab es die Frage: Was ist für dich Deutschland? Darunter drei Karten: die damalige Bundesrepublik, die Bundesrepublik und die DDR, und Deutschland in den Grenzen von 1937. Letzteres war verfassungsrechtlich zulässig, da es kein geeintes Deutschland und keinen abschließenden Friedensvertrag mit den Alliierten gab. Die große Mehrheit meiner Mitschüler kreuzte die damalige Bundesrepublik an, deutlich weniger die beiden deutschen Staaten, das waren jene, die Verwandte „drüben“ hatten. Nur einer entschied sich für die Variante 1937.
Das war 1987, also zwei Jahre vor dem Fall der Mauer, und keiner von uns rechnete ernsthaft mit einer Wiedervereinigung. Wichtiger war aber, dass für die Mehrheit Deutschland nur noch aus dem Westen bestand. Und das war nicht allein in meiner Klasse so, das Ergebnis stand pars pro toto. Damit sind auch Mentalitäten geprägt worden – diesseits und jenseits der einstigen Mauer. Diese Prägungen sind deutlich hartnäckiger, als es sich westdeutsche Politiker von Helmut Kohl über Gerhard Schröder bis zu Friedrich Merz je vorstellen konnten.
Kampf der Mentalitäten
Inhaltsverzeichnis
Roderich Kiesewetter, Hans Dampf der CDU-Außenpolitik, holt gerne großes Kaliber heraus. Nicht allein bei seinen Vorschlägen dazu, wie die Ukraine Russland besiegen könnte. Auch in seinen Attacken gegen die AfD und vor allem das BSW fährt er volle Breitseite. Jüngst bei Markus Lanz, dem inoffiziellen Bundestag im deutschen TV, schlug er wieder zu: „Das BSW ist ein Retortenbaby Moskaus, das ist eine Weiterentwicklung der AfD.“
Der CDU-Hardliner warnte seine Partei, sich mit dem BSW ins Koalitionsbett zu legen und befürchtet dann einen großen Schaden für die Union. Kiesewetter unterstellte außerdem Wagenknecht und ihrem Mann Oscar Lafontaine, SPD und CDU aushöhlen zu wollen. Also jene beiden Parteien, die über Jahrzehnte die (alte) Bundesrepublik dominiert haben.
In der Union sitzt bei den älteren Politikern die Abneigung gegen Lafontaine immer noch tief. Von Beginn seiner Karriere als jüngster Oberbürgermeister in Saarbrücken über seine Zeit als Ministerpräsident des Saarlands und dem Knall mit dem er als Bundesfinanzminister und SPD-Chef den Bettel hinschmiss: Er war der Union immer der vaterlandslose Geselle.
Für Unionisten muss es immer noch ein Alptraum sein, wenn Lafontaine in der Zeit der Wende von 1989/90 Kanzler gewesen wäre. Hätte er die Deutsche Einheit überhaupt gewollt? Fraglich, da er zumindest vor einer schnellen Einigung warnte und vor 89 einer der führenden Sozialdemokraten mit freundschaftlichen Kontakten zur SED war. Dabei spielte Erich Honeckers Herkunft von der Saar sicherlich zwischenmenschlich eine Rolle. Jedoch entscheidender war der ideologische Gleichklang zwischen Lafontaine und den DDR-Sozialisten in der Russland-Politik. Für Lafontaine war damals bereits klar, dass es ohne Moskau nicht gehen darf und die Russen ihm letztlich lieber sind als die Amerikaner.
Die DDR war nie verschwunden
Denn hier liegt der tiefere Grund für die folgenreichen Aktivitäten Lafontaines mit seiner politischen und privaten Partnerin Sahra Wagenknecht. Für beide ist Amerika der ungeliebte militärische und wirtschaftliche Hegemon, der Deutschland und fast ganz Europa auch kulturell beherrscht. Für die SED war die amerikanische Pop-Kultur des Teufels. Plastik-Kultur haben die DDR-Kulturpolitiker die Produkte aus den USA genannt, die etwas Flüchtiges, Oberflächliches haben – zum Wegwerfen.
In der DDR hingegen wurde die wahre deutsche Kultur bewahrt und gefördert. Am eindringlichsten war es zu sehen am Bildungsprogramm, das deutsche Klassiker im Schulunterricht feierte und sie fast gleichberechtigt neben die russischen Schriftsteller aus deren glanzvollem 19. Jahrhundert stellte. So wie im Westen ein kulturelles Bündnis mit den USA geschlossen wurde, so schmiedete die SED im Osten eines mit Russland.
Anders als bei den Nationalstaaten wie Polen oder Ungarn, die zwar unter Moskauer Hegemonie liefen, aber ihre eigene Kultur bewahrten, gab es das in der DDR nur teilweise. Sie war ein künstliches Gebilde von Russlands Gnaden und viel stärker den kulturellen Einflüssen des großen Bruders ausgesetzt. Sie suchte eine eigene Identität und glaubte ab den 1980er Jahren eine Lösung gefunden zu haben. Die SED holte einen untergegangenen Staat aus der Mottenkiste: Preußen.
Auf den ersten Blick wirkte das widersprüchlich, denn was will eine sozialistische Partei mit dem Staat, der gemeinhin für Militarisierung, Kriege und Autoritarismus steht? Auf den zweiten Blick hingegen sah es schon anders aus. Die SED-Kulturpolitiker erkannten, dass diese Stereotypen nicht die alleinige Wahrheit sind. Mit großem Aufwand deuteten ostdeutsche Historiker Preußen in Teilen als einen proto-sozialistischen Staat um, der durch die Reformen von Stein und Hardenberg zum nahezu perfekten Staat modelliert wurde: rational handelnd, dem Volk verpflichtet und nicht korrumpierbar.
Für die Schattenseiten Preußens waren nach sozialistischer Deutung die kapitalistischen Kreise verantwortlich, die das Land und letztlich Deutschland in den Abgrund führten. Höhepunkte der neuen preußischen Identität der DDR waren die Wiedererrichtung der Reiterstatue Friedrichs des Großen in Berlin Unter den Linden 1987 anlässlich des Jubiläums 750 Jahre Berlin oder die sehenswerte Serie der DEFA „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“.
AfD und BSW: Herzliche Zwietracht?
Sahra Wagenknecht wuchs in dieser Denkwelt auf und hat sie tief eingesogen. Dreißig Jahre nach dem Mauerfall blüht die national-preußische SED-Politik im Osten voll auf: sozialer Patriotismus, deutsche Leitkultur, keine fremdkulturelle Migration, Ende des Westbündnisses mit den USA und eine Rückkehr zum für viele Ostdeutsche natürlichen Partner Russland. Dafür stehen zwei Parteien: AfD und BSW. Dagegen stehen CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP, also der Westen, der nach den Wahlen bis auf die Union kastriert wurde. Die alte Grenze BRD/DDR ist bei den Wählern wieder zurück: der Osten ist blau, der Westen schwarz. Ist die Deutsche Einheit gescheitert?
Roderich Kiesewetter gab bei Lanz eine Antwort: Wenn es keine Mehrheit für die Union im Osten gibt, ohne das BSW und AfD ist ohnehin tabu, dann sollen doch Wagenknecht und Höcke miteinander regieren. Das wäre dann eine neue Variante der GroKo, eine große Koalition der Wahlgewinner im Osten. Sahra Wagenknecht ist noch nicht bereit dazu. Sie will es mit den westdeutschen Traditionsparteien CDU und SPD probieren. Vielleicht wollen sie und Lafontaine beide Ex-Volksparteien in Koalitionen aushöhlen, wie es Kiesewetter prophezeit, um dann auf deren Trümmern als eine linksgewandte AfD, ohne deren Verschattungen als neue Volkspartei zu regieren.
Sahra Wagenknecht ist eine Preußin durch und durch – und sie will eine zeitgenössische Version von Sachsens Glanz und Preußens Gloria aufführen. Zuerst im Osten und langfristig in ganz Deutschland. Wie es auch kommen möge, nach den drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ist die alte Bundesrepublik Geschichte.
Und ich will eine Bundesrepublik Deutschland, in dem das deutsche Volk unter Beachtung von Art. 146 GG eine Verfassung beschließt, in der – neben vielen anderen – folgende Verfassungsartikel stehen: 1. Bei Änderungen, Hinzufügung oder Entfall von Verfassungsartikeln haben mindestens die Hälfte aller wahlberechtigten deutschen Staatsbürger mehrheitlich zuzustimmen. 2.1 Die Entwicklung, Lagerung, Herstellung und der Einsatz von atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen im Geltungsbereich der Verfassung sind verboten. 2.2 Der Export von Rüstungsgütern oder sonstige militärische als auch logistische Unterstützung jeglicher Art in Drittstaaten sind verboten. 2.3 Niemand darf gegen sein Gewissen oder Willen weder unmittelbar noch mittelbar zum Militärdienst… Read more »
„AfD und BSW: Herzliche Zwietracht?“ Nein. Die AfD und das BSW trennen Welten.
Man kornnte gegen die Narrative des Artikels bezueglich des Parteienspektrums einiges einwenden. Nur das wesentliche… die AfD ist im Gegensatz zum BSW eine neoliberale, atlantisch orientierte Partei die saemtliche militaristische Optionen der Altparteien unterstuetzt.
Die britische Sun nannte Oskar Lafontaine als er Finanzminister war „den gefaehrlichsten Mann Europas“. Schon die Forderung nach einer minimalen Finanztransaktionssteuer war fuer die City ein Affront. Das soll „linksextrem“ sein ? Er war gegen die schnelle Wiedereinigung weil er die Folgen vorausgesehen hat die entstehen wenn shock and awe im wirtschaftlichen Sinne auf eine Planwirtschaft losgelassen wird ? Die story von der angeblichen Freundschaft mit Honecker zieht Wasser. Kiesewetter hat das Problem erkannt… das BSW ist das eigentliche Risiko fuer die Altparteien (und ihre Narrative… die Amis sind unsere Freunde, die NATO schuetzt, Russland will uns angreifen, die Demokraten… Read more »
Ich vermute, dass die Qualifikation Sarah Wagenknechts als Patriotin oder Preussin eine gewisse Erheiterung bei dieser ausloesen wuerde. Man muss naemlich nicht unbedingt Patriot sein um Freund und Feind unterscheiden zu koennen, man denke nur an das grosszuegige Angebot Gorbaciovs und das schaendliche Verhalten der Altparteien und der Allierten als Antwort darauf. Ich bin mir sicher, dass das BSW nicht auf die Linie der AfD und der CDU einschwenken wird und Unterwanderungsversuche erfolglos bleiben. Peace.