Die FDP pfeift aus dem vorletzten Loch
Mit einem 10-Punkte-Plan will die FDP die Autofahrer für sich gewinnen. Es ist wieder einmal ein Versuch, sich vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit retten.
Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt. Und das bin ich – jetzt nicht mehr.“ Guido Westerwelles Abschiedsworte als Partei-Chef 2011 nach einer Serie von Wahlniederlagen in den Ländern sollten dem aktuellen Vorsitzenden in den Ohren klingeln. Christian Lindner droht bei den drei Landtagswahlen im Osten das gleiche Szenario wie seinem Vorgänger.
Die Ausgangslage ist frappierend ähnlich: Ein fulminantes Ergebnis bei der Bundestagswahl (2009 14,6 Prozent) zerbröselt in atemberaubender Geschwindigkeit. Bei den Landtagswahlen 2011 von Schwerin über Magdeburg nach Berlin flog die FDP in hohem Bogen aus den Parlamenten. Nur in ihrem selbst ernannten liberalen Stammland Baden-Württemberg krauchte sie knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Zum Pech kam noch Unglück hinzu in Gestalt der Kanzlerin Angela Merkel und der Koalition mit CDU/CSU. Merkel und ihre Union haben aus der „Herzenskoalition“ einen Albtraum für die Liberalen gemacht. Mit Nachwehen bis heute.
Disruptive Politik
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schaut bei der Vorstellung des Papiers zur Verkehrsoffensive angestrengt. Ihm dürfte wie seinem Chef klar sein, dass mit diesen Vorschlägen die Partei den letzten Versuch unternimmt, liberale Stammwähler zu motivieren. Mit dem Auftritt des gänzlich unbekannten Brandenburger Spitzenkandidaten Zyon Braun bei der Pressekonferenz soll dem chronisch schwächelnden Landesverband Leben eingehaucht werden: „Ein Kulturkampf einseitig gegen das Auto ist ein Kulturkampf gegen die Lebensrealitäten der Menschen, insbesondere in Ländern wie Brandenburg und ländlichen Regionen“, bringt es Braun auf den Punkt.
Jeder einigermaßen klar denkende Mensch stimmt dem zu. Allerdings darf sich der Wähler zu Recht fragen, was die FDP in ihren langen Zeiten in Bundesregierungen für den ländlichen Raum geleistet hat. Insbesondere in der Koalition mit Merkel stand der Ausbau der digitalen Infrastruktur und ein verbesserter ÖPNV groß und breit im Koalitionsvertrag. Noch heute erleben Brandenburger jenseits des Berliner Speckgürtels so viele Funklöcher wie Berlin Schlaglöcher hat. Von einem Mobilitäts-Takt mit Zügen und Bussen, der die arbeitende Bevölkerung auf dem Land zu ihren Arbeitsplätzen bringt, ganz zu schweigen.
Die Liberalen preisen sich traditionell vor Wahlen als die Partei des (technologischen) Fortschritts. Mit dem aktuellen Verkehrspapier wollen sie daran anknüpfen und finden den Verbrenner immer noch spitze. Mehr kostenloser Parkraum in den Innenstädten, damit sie nicht weiter veröden. Der „Dschungel an Parktarifen“ soll mit einer „Park-Flatrate“ analog zum 49-Euro-Ticket für den ÖPNV eingeführt werden. Es sollen weniger Fahrradstraßen und Fußgängerzonen entstehen, dafür sollen durch Künstliche Intelligenz (KI) mehr intelligente Verkehrsleitsysteme geschaffen werden.
Natürlich darf der Klassiker „kein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen“ nicht fehlen und der Kampf gegen das EU-weite Verbrenneraus 2035 wird beschworen. Vielen Autofahrern und der deutschen Industrie sollte beim Lesen des Papiers das Herz aufgehen. Oder etwa doch nicht?
Als der heutige Bundesjustizminister Marco Buschmann noch FDP-General war, versuchte er bei seinen Pressekonferenzen dem Publikum einen neuen Begriff zu vermitteln: disruptive Technologien. Veraltete Systeme (wie fossile Energieträger) sollen gehen neue effizientere ausgetauscht werden (zum Beispiel Wärmepumpen). Damit wollten die Liberalen ihren Fortschrittsgeist betonen und sich von den Grünen abgrenzen, die sie für fortschrittsfeindlich halten.
Nicht ganz überraschend war dieses Agenda-Setting ein Schuss in den Ofen. Zu sperrig, zu erklärungsbedürftig kam dieser zeitgeistige Begriff aus den Laboratorien der Politikwissenschaft herüber. Da war sie wieder – die abgehobene FDP, immer ganz oben auf der Welle des vermeintlichen Fortschritts reitend.
Sie wird doch noch gebraucht
„Besser nicht regieren, als schlecht regieren“, so lautete der inzwischen geflügelte Satz Christian Lindners, als er das Ende der Sondierungen zwischen Union, Grünen und seiner FDP nach der Bundestagswahl 2017 erklärte. Es hat sicherlich nicht allein an zu wenigen Schnittmengen bei den Themen gelegen, es waren vor allem die Nachwehen der letzten Koalition der Liberalen mit Angela Merkel. Es fehlte zwischen ihr und den Liberalen der entscheidende Kitt für erfolgreiche Bündnisse: Vertrauen.
Anders 2021: Mit der Ampel sah sich die FDP in keinem idealen, aber doch gewollten und wie es im Koalitionsvertrag heißt fortschrittlichen Bündnis. Das mag anfangs tatsächlich so gewesen sein, aber als der Streit ums Geld mit den beiden linken Partnern nicht mehr zu unterdrücken war, begann es an der Parteibasis zu rumoren. Bei den seit der letzten Bundestagswahl 2021 folgenden Landtagswahlen bekam die Partei eine Klatsche nach der anderen. Die Situation ist derzeit sogar bedrohlicher als bei Westerwelles Abschied als Parteichef.
Heute gibt es mit der AfD im Osten eine Partei, die vergrätzte wirtschaftsliberale Wähler aufsammelt. Und plötzlich sieht die FDP die disruptiven Technologien anders. Folgte sie noch zu Beginn der Ampel-Koalition dem Mantra von Grünen und SPD, dass auch die Atomkraft dazu zählt, haben die Liberalen die 180-Grad-Wende vollzogen. Und nicht allein bei diesem Thema. Damit bestätigt die Partei eine ihrer großen Stärken – ihre Flexibilität – oder wie böse Zungen behaupten: ihre Beliebigkeit. Mit dem Verkehrskonzept „Fahrplan Zukunft – Eine Politik für das Auto“ will sie wenigstens ihre Stammwähler halten.
Für eine positive Trendumkehr bei den Ostwahlen dürfte das alles nicht mehr reichen. Die Liberalen haben dort traditionell einen schweren Stand und mit ihrer Ampel-Politik letzten Kredit beim Mittelstand verspielt. Inzwischen sind sich Grüne und Liberale spinnefeind, das Verhältnis zwischen Lindner und Kanzler Scholz gilt nicht erst seit dem schwelenden Haushaltsstreit als angespannt. Aber aussteigen aus dem ungeliebten Bündnis vor dem Herbst 2025 wird die FDP nicht – sie hätte nicht viel zu gewinnen, aber fast alles zu verlieren.
Bekanntermaßen leben Totgesagte länger. Die FDP jetzt schon abzuschreiben, wäre verfrüht. Sie wird vielleicht doch noch gebraucht, und zwar von Friedrich Merz. Sollte eine Zweierkonstellation mit der SPD nicht ausreichen, dann wäre eine FDP um die fünf, sechs Prozent wieder der Kanzlermacher. Eine Deutschland-Koalition aus Union, Sozialdemokraten und Liberalen könnte die Lösung sein, dass die FDP nicht endgültig aus dem letzten Loch pfeift.
Zitat:“Die Liberalen haben dort traditionell einen schweren Stand…“, dem muss ich alterThüringer aber widersprechen. Bei der Auflösung der DDR, hatte die liberale DDR-Blockpartei LDPD. 113000 Mitglieder. Die FDP in den alten Bundesländern hatte 65000 Mitglieder.Im Jahre 2024 gibt es in der ganzen BRD etwa 72000 FDP Mitglieder. Alles was nach Grenzmauern aussieht, auch Brandmauern, hat in in den sechs neuen Bundesländern einen“schweren Stand“.