Die AfD bangt um Bernd Lucke
Will AfD-Chef Lucke die Partei verlassen? Mit diesem nicht nachhaltig dementierten Gerücht tritt der Prozess der Selbstzerstörung in eine entscheidende Phase.
Seit Wochen löst sich die Führung der AfD Stück für Stück auf. Öffentlich zu verfolgen war dieser Prozess an den Rücktritten von AfD-Vize Hans-Olaf Henkel und dem Vorstandsmitglied Patricia Casale sowie an dem würdelosen Umgang mit dem inzwischen beurlaubten Bundesgeschäftsführer Georg Pazderski. Doch was da öffentlich sichtbar wurde, waren nur die stärksten Ausläufer des Bebens, das die Partei unter der Oberfläche erschüttert.
Seit über einer Woche spekuliert der Vorstand über einen möglichen Parteiaustritt des Vorsitzenden Bernd Lucke. Sämtliche Mitglieder rätseln darüber, ob der Mann, der die AfD bekannt gemacht und mehr als jeder andere zu ihrem guten Abschneiden bei der Bundeswahl im September 2013 beigetragen hatte, ob dieser Mann „seinem Kind“ den Rücken kehren will, weil es sich nicht mehr so entwickelt, wie er es sich einmal vorgestellt hat.
Schweigen als Eingeständnis?
Inhaltsverzeichnis
„Aber ob an den Gerüchten etwas dran ist, kann ich nicht sagen“, hieß es immer wieder. Und spätestens nach diesem Satz wird den AfD-Oberen dann die ganze Absurdität ihrer Situation klar. Ganz oben an der Spitze der Partei, wo alle Fäden zusammenlaufen, wo sie tagtäglich miteinander telefonieren, müssen sie sich eingestehen, dass sie sich untereinander im Grunde nichts mehr zu sagen haben.
Nun hat einer ihrer Sprecher, Konrad Adam, die ganze Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit in einem Interview thematisiert. Er offenbarte, dass von dem Erneuerungswillen der Parteispitze, die einst angetreten war, alles anders und vor allem besser zu machen als die sogenannten Altparteien, nichts mehr geblieben ist.
„Es gibt handfeste Indizien dafür, dass Lucke sich dazu entschieden hat, die AfD zu verlassen“, sagt Adam. Und Lucke selbst? Adam sagt, er rede nicht mit ihnen. Auch öffentlich schweigt der Parteichef zu den Gerüchten.
Schweigen aber ist immer auch ein halbes Eingeständnis. Seit langem ist der Vorsitzende zutiefst unzufrieden. Gerade erst sagte er auf dem Parteitag des rheinland-pfälzischen Landesverbandes, die Partei habe es mit ihren ständigen Streitereien den Bremer Wahlkämpfern nicht leicht gemacht. Das ist wohl war.
NPD entlastet AfD-Politiker
Wahr ist aber auch, dass Lucke diese Auseinandersetzungen am vergangenen Freitag, also unmittelbar vor dem Bremer Urnengang, noch einmal eskalierte, in dem er den thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke wegen einer Äußerungen über NPD-Mitglieder aufforderte, von allen Ämtern zurückzutreten und die Partei zu verlassen. Angeblich hatte Lucke diese Forderung mit niemandem im Vorstand abgesprochen. Jedenfalls wurde sie von Luckes Ko-Sprecherin Frauke Petry und AfD-Vize Alexander Gauland kategorisch zurückgewiesen.
Es war nicht Luckes erste Attacke auf Höcke. Als vor kurzem Gerüchte aufgetaucht waren, Höcke habe unter Pseudonym für eine NPD-Zeitung geschrieben, beschloss der Vorstand angeblich auf Luckes Antrag, Höcke solle eidesstattlich versichern, dass er nicht für die NPD geschrieben habe. Der Beschluss fiel, ohne Höcke auch nur ein einziges Mal zu dem Sachverhalt angehört zu haben. Schließlich entlastete die NPD den AfD-Politiker.
Zuvor war der liberal-konservative Flügel um Lucke in der sogenannten Parteikonten-Affäre gegen den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Marcus Pretzell vorgegangen. Obwohl Pretzell letztlich von einer partei-internen Untersuchungskommission „freigesprochen“ wurde, legte man ihm den Rücktritt vom Landesvorsitz nahe. Warum?
Was Lucke fürchtet
Dabei spielte offenbar auch der anstehende Delegiertenparteitag im Juni eine Rolle, auf dem die gesamte Parteiführung neu gewählt werden soll. Zur Wahl stehen eine Doppelspitze sowie ein Generalsekretär auf Vorschlag des Vorsitzenden und der gesamte Vorstand. Durch Pretzells Einfluss im nordrhein-westfälischen Landesverband, der zudem der mitgliederstärkste ist, fürchtete das liberal-konservative Lager um die nötige Zustimmung für die eigenen Kandidaten.
Unbegründet ist diese Furcht nicht, denn in einigen Landesverbänden setzte sich in der jüngsten Zeit der national-konservative Flügel durch. Lucke musste sogar in seinem eigenen Landesverband in Niedersachsen mit ansehen, wie sämtliche Kandidaten seines Lagers durchfielen. Der Parteitag der Berliner AfD verbannte den wichtigen Lucke-Verbündeten Henkel bei den Delegiertenwahlen auf Platz 37.
Seither sehe der Vorsitzende seine Felle davonschwimmen, heißt es in der Partei. Parallel dazu wurde aber zunehmend die Sorge geäußert, Lucke plane die Partei zu spalten. Auch dieses Gerücht machte Adam nun öffentlich.
Zu viele Risse
„Die Anzeichen haben sich verdichtet, dass eine Parteispaltung bevorsteht“, sagte er. und forderte Lucke auf, „klarzustellen, was er vorhat, nachdem so viel durchgesickert ist“. Auch dieser Satz ist letztlich ein Akt der Hilfslosigkeit und ein Beleg der vollständigen Auflösung des Zusammenhalts an der AfD-Spitze. Lucke solle endlich sagen, ob er „auch derjenige sein möchte, der die Zerstörung der Partei anführt“, fügte Adam hinzu.
Vielleicht überwiegen bei Lucke aber auch nur die Zweifel darüber, alle die Risse, die entstanden sind, jemals wieder kitten zu können. Diese Sorge jedenfalls ist es, die seine Gegner derzeit umtreibt. Auf Lucke würden sie nur zu gern verzichten.