AfD zwischen NPD und DDR-Politik
Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke findet durchaus positive Elemente in der DDR-Politik und muss sich gegen eine perfide NPD-Attacke der AfD-Spitze wehren.
Wie viel DDR steckt in der AfD? Immer wieder greift die Partei lobend auf die politische Praxis der sozialistischen Diktatur zurück. Jetzt fordert der Landesverband Thüringen die Einführung des DDR-Ehekredits. Der sei das geeignete Mittel gegen die demografische Katastrophe.
„Die einzige nachhaltige Strategie, um die deutsche Bevölkerung stabil zu halten, ist, Familien mit Kindern zu fördern“, sagt Thüringens AfD-Landesvorsitzender Björn Höcke, der übrigens im Westen aufgewachsen ist. Der DDR-Familienkredit sei hierzu das geeignete Mittel, weil die Rückzahlung des Darlehens „mit jedem Kind um ein Drittel erlassen“ werde.
In der Vergangenheit hatten Parteichef Bernd Lucke und AfD-Vize Alexander Gauland wiederholt Elemente der DDR-Politik gelobt. Lucke beklagte im Brandenburger Landtagswahlkampf auf einem Marktplatz in Frankfurt Oder die „Kriminalitätsrate und die unzureichend ausgestattete Polizei“. „Da versteht man doch, wenn Leute sagen: Wir wollen mit der alten DDR nichts zu tun haben, aber die innere Sicherheit war damals besser in der DDR als das in Westdeutschland der Fall war“, sagte Lucke.[1]
Kinder statt Einwanderung
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Gauland schrieb während des Wahlkampfes in einem Brief an die Wähler der Linken: „Und was die DDR angeht, so finden wir Kinderbetreuung und Ärztehäuser nicht weniger sinnvoll als Sie. Sie sollten es deshalb einmal versuchen, Ihre Stimme uns zu geben.“ Und in Sachen machten sich die AfD um Parteichefin Frauke Petry für berufsnahe Schulpraktika „analog zum DDR-Schulsystem“ stark.[2]
„Keiner stellt in Abrede, dass die DDR ein Unrechtsstaat war“, sagt Höcke GEOLITICO. „Vor dem Hintergrund der tiefen demographischen Krise, die unsere Sozialversicherungssysteme existenziell gefährdet, muss aber ein unideologisches und vorurteilsfreies Nachdenken über unkonventionelle Maßnahmen möglich sein.“ Im Zusammenhang mit dem DDR-Familienkredit spricht er von einem „Startguthaben für junge Menschen“, denn das Darlehen ermögliche jungen Paaren die Heirat, „auch wenn sie noch in der Ausbildung oder im Studium stehen“. Höcke wörtlich: „Durch den Erlass des Kredits entsteht zudem ein großer Anreiz, Kinder zu bekommen.“ In der DDR habe diese Förderung dazu geführt, „dass es beispielsweise für Studenten normal war, jung Familien zu gründen“. Seiner Ansicht nach wäre das auch eine „wünschenswerte Entwicklung für unsere heutige Gesellschaft, die unbedingt gefördert werden sollte“.
Einwanderung hingegen sei jedenfalls keine Lösung für die demografischen Probleme Deutschlands. Trotz Migration werde die Einwohnerzahl in Deutschland im Jahr 2060 bei gleichzeitiger Überalterung bei nur noch 70 Millionen Menschen liegen, zitierte Höcke aus den Daten des Statistischen Bundesamtes. „Damit wird die Politik der Altparteien, bei der Zukunftssicherung auf Zuwanderung zu setzen anstatt auf die eigene Bevölkerung, ad absurdum geführt“, sagte er.
Auch Gauland und Petry gegen Höcke
Innerparteilich muss er sich gegen schwere Anschuldigungen wehren, die ihn in einem ganz anderen als dem sozialistischen Licht erscheinen lassen. Ihm wird vorgeworfen, unter Pseudonym für die NPD-Postille „Eichsfeld Stimme“ geschrieben haben. Höcke selbst bestreitet dies mit Nachdruck.
Noch bemerkenswerter als die Vorwürfe selbst stellen sich die Umstände dar, wie sie entstanden und wie die Parteiführung schließlich damit umging. Ursprung der Vorwürfe sind nämlich nicht etwa konkrete Beweise, sondern ein linker Blog. Folglich wären die Vorwürfe zunächst einmal zu prüfen.
Doch statt dies zu tun und bei Höcke nachzufragen, ob er zu Recht mit der NPD in Verbindung gebracht werde, beschloss der AfD-Bundesvorstand sozusagen im Eilverfahren auf Antrag von Parteichef Bernd Lucke in trauter Einstimmigkeit, Höcke müsse an Eides statt versichern, nicht in der „Eichsfeld Stimme“ geschrieben zu haben.
Nicht einmal die ostdeutschen Landesvorsitzenden Frauke Petry und Alexander Gauland, die Höcke inhaltlich nahestehen, stimmten dagegen oder enthielten sich. Gauland hat sich später für dieses Verhalten bei Höcke entschuldigt.
„Innerparteiliches Druckmittel“
Noch am selben Tag, es war der 23. April, ging die schriftliche Aufforderung an Höcke raus. Doch noch bevor der thüringische AfD-Vorsitzende das Schreiben lesen konnte, lag es der Redaktion von „Spiegel-Online“ vor, der Lucke an diesem Tag ein paar Sätze zum Rücktritt von Hans-Olaf Henkel als AfD-Vize gesagt hatte. Seither fragt sich die Thüringer AfD: „Wie kam der Brief dorthin?“
In einem offenen Brief griff Höcke, der sich weigert, die eidesstattliche Versicherung abzugeben, nun Lucke und den restlichen AfD-Bundesvorstand massiv an: „Der Bundesvorstand hat mich aufgefordert, eine eidesstattliche Erklärung zu unterschreiben, um mich gegen eine Unterstellung zu wehren, zu der ich mich schon wiederholt eindeutig geäußert habe. Ein Vorgang, der in Gerichtsprozessen seinen Ort und Wert besitzt, als innerparteiliches Druckmittel einzusetzen, ist schädlich und dokumentiert einen Zustand der Zerrüttung und Verunsicherung in unserer Partei, den ich bedauere.“[3]
Und weiter: „Die Tatsache, dass die Aufforderung an mich, diese Erklärung zu unterzeichnen, noch am selben Tag, an dem sie mir per E-Mail zugesandt wurde, auch der Redaktion des Spiegels vorlag, zeigt deutlich, dass es hier einzig darum ging, mich zu diffamieren und meine Glaubwürdigkeit zu untergraben (…) Soll jetzt jeder AfD-Funktionär absurde Behauptungen eines linksextremen Soziologen, der in einem Verlag publiziert, dem der Verfassungsschutzbericht NRW attestiert hat, er verbreite linksextremistische Schriften, mit eidesstattlichen Erklärungen begegnen?“
Entlastung durch die NPD
Inzwischen hat der Herausgeber der „Eichsfeld Stimme“, Thorsten Heise, Höcke entlastet. „Nein, Herr Höcke hat keine Sachen bei mir abgeliefert. Wenn er das möchte, kann er seine Artikel gern abgeben“, sagte er Spiegel Online.[4] Bei dem Pseudonym Landolf Ladig handele es sich um „eine nettere, ältere Person“.
Seit Monaten wird die AfD von heftigen Auseinandersetzungen an ihrer Spitze erschüttert. Dabei stehen sich ein Lager um Parteichef Bernd Lucke und eines um Gauland und Petry, dem auch Höcke zugerechnet wird, unversöhnlich gegenüber. Erst kürzlich hatte Lucke mit Blick auf Petry und Gauland in einer E-Mail an die Parteimitglieder vor „beunruhigenden Entwicklungen“ in der Partei gewarnt. Angeblich versuche die „sogenannte Neue Rechte Einfluss auf die AfD zu nehmen. Es werde versucht, die politischen Inhalte der AfD und ihren Politikstil in eine Richtung zu verschieben, vor der er nur warnen könne.
Anmerkungen
[1] M. Backhaus und A. Hellemann, „AfD-Chef lobt innere Sicherheit in der DDR“, Bild am Sonntag vom 14. September 2014
[2] Alexander Gauland, „Brief an die Wähler der Partei Die Linke“ vom 8. September 2014
[3] Björn Höcke, „Offener Brief an AfD-Bundesvorstand und AfD-Mitglieder“ vom 29. April 2015
[4] Severin Weiland und Christina Hebel, „AfD-Landeschef Höcke lehnt eidesstattliche Erklärung ab“, Spiegel Online vom 29. April 2015