Letzte Warnung an Europas Politik

Die Europäer haben einer politische Kaste, die sich mit dem großen Geld verbrüdert, die rote Karte gezeigt. Ob die Eliten daraus die richtigen Schlüsse ziehen?

Der entlarvendste Kommentar zum Ausgang der EU-Parlamentswahl stammte gestern Abend von EZB-Chef Mario Draghi. Die Wähler in der Gemeinschaft seien “losgelöst.” Abgehoben von der Realität, meint er damit.

Doch Draghi beweist mit diesem Zitat, wie es zu den erstaunlich deutlichen Ergebnissen am Sonntag überhaupt kam. Sie stellen die Parteienlandschaft in Ländern wie Frankreich, Griechenland und Österreich auf den Kopf. Das Wahlvolk ist im Aufruhr. Es ist entsetzt über Versprechen zur Lösung der Dauerkrise, die nicht gehalten werden. Einer Krise, die aus Schulden, Dümpelwachstum, entfesselten Banken, grassierender Korruption und einer Elite besteht, die sich immer weiter vom Volk entfernt.

Mit dem großen Geld verbrüdert

Abgehoben sind nicht die Wähler, sondern eine politische Kaste, die sich mit dem großen Geld verbrüdert hat und Machtbefugnisse wie auch Kontrolle immer weiter vom klar definierten Souverän wegschiebt.

Mehr noch: Eine Elite, die für unsere drängendsten Probleme – Schulden, Umweltzerstörung, exzessiver Einfluss großer Firmen und ungedeckte Rentensysteme – keine Antworten hat und die nichts dagegen unternimmt, dass unsere Gesellschaften sozial auseinander brechen und der zusätzlich geschaffene Wohlstand nicht nach unten durchsickert.

Die Folgen werden fatal sein

Den Wählern in der EU muss man ein Kompliment machen. Sie belassen es mit dieser Wahl vorerst bei einem Warnschuss. Sie haben radikale und anti-europäische Parteien bei jenem Urnengang gewählt, der im Vergleich zu nationalen Parlamentswahlen einen kleineren Schaden anrichtet. Das soll den etablierten Parteien Gelegenheit geben, doch wieder mehr auf ihr Wahlvolk zu hören und nicht allein auf wohl organisierte Interessen.

Den größten Erfolg gegen radikale Parteien verspricht eine Rückkehr zu bürger- und wählernaher Politik. Wähler nach einer solchen Wahl verächtlich zu machen, wie Draghi es am Wahlabend tat, spricht dagegen nur von Arroganz und illustriert, warum die Europäer so erzürnt sind.

Man kann nur hoffen, dass jetzt von unseren Eliten die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Kommentare wie der von Herrn Draghi lassen jedoch wenig darauf hoffen, dass die Einsicht zunimmt. Die Folgen werden fatal sein.

 

Über Markus Gaertner

Markus Gaertner war über viele Jahre freier Wirtschafts-Korrespondent mit Sitz in Vancouver. Heute arbeitet er für den Kopp-Verlag. Weitere Artikel