Die Erosion der AfD
Die AfD hat es nicht geschafft, eine liberale Partei zu werden. Mitglieder flüchten vor einem „calvinistischen Dogmatismus“. Pressesprecherin Dagmar Metzger steigt aus.
Im Januar war Schluss. Franz Niggemann stellte eine sechzehnzeilige Austrittserklärung aus der Alternative für Deutschland (AfD) ins Internet. Sie besiegelt das Ende einer kurzen, aber heftigen Liaison mit der Politik und war das Resultat enttäuschter Hoffnungen und Erfahrungen mit einem religiösen Dogmatismus, den Niggemann in dieser Partei nicht erwartet hätte.
„Die gegenwärtig eingeschlagene Richtung der Partei, die nach meiner Auffassung insbesondere durch Frau von Storch repräsentiert wird, will und kann ich nicht mittragen!“, schrieb Niggemann. Die angesprochene Beatrix von Storch ist Europa-Kandidatin der AfD und einflussreiche Netzwerkerin. „Für mich gibt es nur den Gegensatz zwischen frei und unfrei. Die AfD war angetreten, eine undogmatische, tolerante und nicht ideologiebefrachtete Partei und Alternative zu sein. Leider hat sie dieses Versprechen nicht erfüllt; die AfD geht den Weg in die Unfreiheit von rechts, mit starken Tendenzen, Randgruppen zu diskriminieren.“
Anbindung an die Wirtschaft
Niggemanns Austritt kam umso überraschender, als er erst im Dezember 2013 zum Vorsitzenden des Berliner Bezirksverbands Tempelhof-Schöneberg gewählt worden war. Er gehörte zu den Liberalen in der Partei, die seit längerem mit der Entwicklung der AfD hadern und sich vor einiger Zeit nach erbitterten Auseinandersetzungen mit dem national-konservativen Flügel über den Islam und gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu den „Kolibris“ zusammengeschlossen hatten. „Wir wollen die politischen Ausrichtungen ,liberal’ und ,konservativ’ nicht auf Schnittmengen begrenzen, sondern in einer aufgeschlossenen, modernen Form die Vorzüge beider Richtungen herausstreichen und in Einklang bringen und damit breite bürgerliche Wählerschichten ansprechen“, begründeten sie ihren Schritt.
Federführend war Dagmar Metzger, Pressesprecherin und kooptiertes Mitglied im Bundesvorstand. Sie war von Anfang an mit dabei, hatte Bernd Lucke als Vorsitzenden aufgebaut und über ihre Münchener Kommunikations-Agentur sämtliche Parteitage und Pressekonferenzen organisiert. Über sie erhielt die Partei wichtige Kontakte in die Wirtschaft. Metzger wünschte sich eine deutliche Rückbesinnung auf das Kernthema, die Kritik am Euro.
Kein Platz für Chauvinismus
Offenbar ist dieser Wunsch nicht erfüllt worden, denn nun warf auch sie das Handtuch. „Ich möchte Sie informieren, dass ich soeben meine Bundesmandate – kooptiertes Vorstandsmitglied und Pressesprecherin – bei der Partei Alternative für Deutschland AfD niedergelegt habe“, teilte sie in einer E-Mail mit, nachdem sie den Bundesvorstand über ihren Entschluss unterrichtet hatte. Sie werde sich nun ganz einer von ihr ins Leben gerufenen Stiftung widmen, in deren Beirat zwar die AfD-Spitzen Alexander Gauland und Norbert Stenzel sitzen, die aber ansonsten nichts mit der Partei zu tun hat. „Ich freue mich auf die Stiftungsarbeit“, sagte Metzger der „Welt“. „Mit der Stiftung werden wir uns auf das Kernthema Euro konzentrieren und Gruppen unterstützen, die eurokritisch sind.“
Metzger und Niggemann verstehen sich gut. Auch nach Niggemanns Parteiaustritt hielten sie Kontakt. Sie eint die Vorstellung von einer freien Gesellschaft, die Minderheitenrechte wahrt, in der kulturelle Vielfalt selbstverständlich und für Chauvinismus kein Platz ist. Für diese Werte steht die AfD ihrer Ansicht nach nicht mehr. „Ich sehe mich als liberaler und weltoffener, der Freiheit verpflichteter Mensch außerstande, für die jetzige politische Richtung Wahlkampf zu führen. Für mich ist die Partei Alternative für Deutschland damit eben keine Alternative mehr, was ich außerordentlich bedauere!“, schrieb Niggemann in seiner Austrittserklärung.
Bevormundung durch die Parteispitze
Niggemann kam im April letzten Jahres zur AfD. Ihn führte die Sorge vor einem Zusammenbruch des Finanzsystems zu den Kritikern der Euro-Rettungspolitik. Der Immobilienkaufmann ist eher leise, zurückgenommen, keiner, der die große politische Bühne sucht. Aber gerade das kam bei den AfD-Anhängern an. Und so wählten sie ihn auf die Liste zur Bundestagswahl.
Damals machte er erste Erfahrungen mit dem Führungsstil des Bundesvorstandes. „Uns wurde weitgehend vorgegeben, wie wir den Wahlkampf zu gestalten hatten“, sagt er. Das eigene Plakat konnte er allerdings selbst bestimmen. Er gestaltete es ganz unprätentiös. „Fran wählen!“, stand darauf, und darunter seine Handy-Nummer. „Täglich erreichbar von 16 bis 18 Uhr. Rufe Sie auch gerne zurück.“
Zwist über Schwule mit dem Vorstand
Er organisierte einen Wahlkampf-Stand auf dem schwul-lesbischen Motzstraßenfest in Berlin und sammelte an nur einem Wochenende 600 Unterstützer-Unterschriften. „Es war ein fantastisches Gefühl“, sagt er. „Zwischen 20 und 30 Parteimitglieder haben an beiden Tagen mit hunderten Interessierten und Feiernden gesprochen.“ Auch der Berliner Landesverband war überaus zufrieden. In einer Pressemitteilung schrieb er, das Engagement der Berliner AfD auf dem schwul-lesbischen Straßenfest habe gezeigt, „dass die Partei ihre Stellung nicht etwa am rechten Rand, sondern weltoffen in der Mitte der Gesellschaft“ sehe. Und wörtlich: „Die Alternative für Deutschland steht ohne Vorbehalte zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Gleichstellung von Ehen hetero- und homosexueller Paare.“
Doch da irrten sich die Berliner gewaltig. Als nämlich der Bundesvorstand von der Pressemitteilung Wind bekam, gab er einen Gegendarstellung als „wichtige Mitteilung in eigener Sache“ heraus: „Der Vorstand der Alternative für Deutschland distanziert sich ausdrücklich von der Pressemitteilung zum Berliner Motzstraßenfest vom 19.6.2013“, hieß es da. Die steuerliche Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften dürfe die durch das Grundgesetz geschützte Ehe nicht entwerten. „Die Ehe ist eine Marke unseres Wertekanons, den wir schützen!“
Christliche Dogmatiker
Später saß Niggemann mit der AfD-Europakandidatin von Storch in einem Arbeitskreis, der die Grundpositionen zur Familienpolitik bestimmen sollte. Storch habe dort immer fundamental-christliche Positionen vertreten, erinnert sich Niggemann. So äußerte sie sich allerdings nicht nur im kleinen Kreis, sondern auch öffentlich. Die evangelische Nachrichtenagentur idea zitiert sie mit dem Satz: „Ich setze mich dafür ein, dass das Gender-Mainstreaming zugunsten eines Familien-Mainstreaming abgeschafft wird.“
Von Storch schöpfe die Kraft zu solchen Aussagen „aus dem christlichen Glauben“, schreibt die Agentur. Er gebe ihr „Orientierung in einer Welt, die jeden Wert infrage“ stelle. Der Glaube an Jesus Christus präge daher auch ihr Handeln. Von Storch engagiere sich gegen Sterbehilfe und verantworte in Deutschland die europäische Bürgerinitiative „Einer von uns“, die eine Million Unterschriften für den Schutz ungeborener Kinder sammeln will. In der AfD sehe sie die Möglichkeit, ihre Anliegen politisch umzusetzen.
Ausgrenzung von Minderheiten
Ein zutiefst frommer Mann ist auch AfD-Chef Bernd Lucke. „Er spürt die Pflicht, die Welt zu retten“, schrieb die FAS in diesem Zusammenhang über ihn. Dafür habe er die Alternative für Deutschland gegründet. Lucke gehört einer Gemeinde reformierten Christen in Hamburg an. Die siebenköpfige Familie hat kein Auto und keinen Fernsehanschluss. Er sei zutiefst calvinistisch, heißt es in der AfD. Andere sagen, er sei fundamentalistisch. Ähnliche Sätze hört man auch über das Vorstandsmitglied Frau Petry, deren Ehemann Pfarrer ist.
„Die Ausgrenzung von Minderheiten hat religiöse Wurzeln“, glaubt auch Niggemann. „Das ist der strenge Calvinismus.“ Von Fundamentalchristen wie Lucke, von Storch oder Petry werde die individualistische Moderne, die Emanzipation von Frauen und Gleichgeschlechtlichen mitsamt sexueller Selbstbestimmung und Traditionsverlust als eine Art Bedrohung empfunden. Hieraus ergäben sich tiefgehende Auswirkungen auf die programmatische Entwicklung der AfD. „Hier gibt es eine Metamorphose, die eben von vielen Liberalen in der Partei nicht mitgetragen wird“, sagt Niggemann.
„Patriotische Plattform“
Etwa von denen, die im Januar die „Patriotische Plattform“ ins Internet stellten. Dabei handelt es sich nicht um eine offizielle AfD-Seite. Aber die Macher sind entweder selbst Mitglieder oder stehen der Partei nahe. „Wir halten an Deutschland fest: an seiner Sprache und Kultur gegen die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft auf seinem Boden; an seinem Sozialstaat, der durch falsche Strukturen, vor allem aber durch massenhafte Einwanderung in die Sozialsysteme zunehmend in Frage gestellt wird“, schreiben sie.
Niggemann diagnostiziert da „eine gefährlich Inkonsistenz“ innerhalb der AfD. Die Liberalen würden zunehmend marginalisiert. Auf Dauer sei dies nicht auszuhalten. Mit Dagmar Metzger haben sie nun jedenfalls ihre Integrationsfigur verloren. Ihr Versuch, mit den Kolibris, Konservatismus und Liberalismus in der Partei zu vereinen muss als gescheitert angesehen werden. Der Parteivorstand wünschte Metzger in einer knappen Erklärung alles Gut für die Zukunft.