Gysis heimlicher Plan mit der SPD
Gregor Gysi zeichnet die langen Linien der Politik. Er weiß, dass die Linke eine sterbende Partei ist, die nur durch die Fusion mit der Sozialdemokratie überleben kann. Auch wenn die SPD daran zerbricht.
Es war schon auffällig, was Gregor Gysi in der „Bild am Sonntag“ zum Besten gab. Er wolle Außenminister werden und als solcher sofort die deutschen Waffenexporte abschaffen, sagte der Fraktionschef der Linken. Und weil der Fraktionschef der Linken weiß, dass er mit seiner Partei aus eigener Kraft nie und nimmer eine Regierungsmehrheit bekämen, machte er deutlich, mich wem er seine Pläne umsetzten wollte, nämlich mit der SPD.
Wenn die SPD sich darauf einließe, sagte Gysi, werde er ihr sogar weit entgegenkommen und etwa einem Koalitionsvertrag zustimmen, „der neue Kampfeinsätze der Bundeswehr nicht ausschließt und der nicht zu deutlich mehr sozialer Gerechtigkeit führt“.
Moskauer Schule
Solche Worte aus dem Mund jenes Mannes, dem in der Wendezeit einst das Schicksal der SED in die Hände gelegt worden war und der zusammen mit Oskar Lafontaine nichts unversucht ließ, den Sozialdemokraten zu schaden, lassen aufhorchen. Denn Gysi versteht sein Handwerk wie sonst kaum noch jemand auf der bundespolitischen Bühne. Er ist nicht nur ein herausragender Redner und somit der klassische Verführer der Massen, sondern zählt zweifellos zu den fähigsten Analytikern und Strategen in der deutschen Parteienlandschaft. Gelernt hat er all das in der Schule kommunistischer Machtpolitik, sprich der von Moskau gesteuerten SED. Einer wie Gysi sagt nichts aus Unachtsamkeit, zumal nicht in einem Interview mit einer Sonntagszeitung. Nein, jeder seiner Sätze ist wohl kalkuliert und darum sehr ernst zu nehmen.
Noch vor wenigen Monaten wäre es ihm im Traum nicht eingefallen, der SPD Avancen zu machen. Warum also äußert er sich jetzt so? Was könnte ihn treiben, wenige Wochen vor der Bundestagswahl? Ist es wirklich die Machtoption?
Wohl kaum. Sie dient ihm allein als Köder für ein langfristiges Vorhaben. Gysi sieht die desolate Lage, in der sich seine eigene Partei und die Sozialdemokraten befinden. Alle Versuche, die Linke als Alternative zur SPD zu etablieren, sind gescheitert. Der Partei gelang es nicht, von der Popularität einiger weniger Politiker wie Gysi, Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine oder Katja Kipping zu profitieren. In der aktuellen Wahlumfrage des Forsa-Instituts für „Stern“ und RTL kommt sie auf gerade mal sieben Prozent der Stimmen.
Linke am Abgrund
Von diesen sieben Prozent Wählerstimmen dürfte der größte Teil aus Ostdeutschland kommen, wo die Linke immer noch den Charakter einer Volkspartei hat. Damit ist auch klar, dass die Linke im Westen auf verlorenem Boden steht. Unter diesem Zustand leidet die Partei zwar schon lange, und sie konnte ihn hinnehmen, weil die Zustimmungsraten in den ostdeutschen Ländern stabil waren.
Das jedoch wird sich bereits in wenigen Jahren radikal ändern, denn die Mitglieder und treuen Anhänger der Linken im Osten sterben weg; neue kommen kaum hinzu. Wenn es so weitergeht, wird die Linke in wenigen Jahren auch in den ostdeutschen Ländern ums Überleben kämpfen. Führenden Linken-Politikern wie Gysi oder Dietmar Bartsch ist dieser Abgrund, der sich vor ihnen auftut, nur zu bewusst. Sie wissen, dass es höchste Zeit zum Handeln ist.
Für die SPD sieht es übrigens nur auf den ersten Bick besser aus. In Wahrheit hat sich ihr Niedergang in den vergangenen Jahren eher noch beschleunigt. Auf gerade mal 23 Prozent kommt die ehemals große alte Dame SPD in der aktuellen Forsa-Umfrage und ist damit auf dem besten Weg, ihre Stellung als Volkspartei zu verlieren.
SPD leugnet den Niedergang
Im Willy-Brandt-Haus wird diese Wahrheit so gut es geht geleugnet. Dort planen sie das das große „Deutschlandfest“, mit dem die Partei vom 17. Bis 18. August vor dem Brandenburger Tor in Berlin ihr 150-jähriges Bestehen feiern will. Aus ganz Deutschland werden hierzu Mitglieder angekarrt. Pop-Stars wie Nena oder Die Prinzen sollen der Veranstaltung ein wenig Glanz verleihen. Freilich kommt auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Auf seine Zugkraft indes wollten sich die Genossen offenbar nicht verlassen. Sogar auf dem Flyer, der für die Veranstaltung wirbt, haben die Genossen auf ein Foto ihres Spitzenkandidaten verzichtet.
Für den Augenblick mag der Versuch gelingen, Politik durch Unterhaltung zu ersetzen. Doch spätestens wenn die Scheinwerfer und Bühnen wieder abgebaut sind, steht die Sozialdemokratie wieder im Schatten ihrer großen Geschichte und all der großen Namen, die den Anspruch auf Fortschritt und Modernität begründeten. Dann ist sie wieder auf Steinbrück- und Gabriel-Niveau reduziert, also auf jene Parteiführer, die es in drei Jahren Euro-Krise nicht fertiggebracht haben, der Regierung von Angela Merkel eine eigene politische Strategie entgegenzustellen, sondern alles abnickten, was die Kanzlerin ihnen vorlegte. Von der Analysefähigkeit Sahra Wagenknechts und Gregor Gysis sind die Sozialdemokraten Welten entfernt. Inhaltlich ist die Partei bankrott.
Gut gewählter Zeitpunkt
Gregor Gysi hat das schon vor langer Zeit erkannt. Aber erst jetzt, wo er sich um das Überleben der eigenen Partei sorgt, wagt er den Versuch einer Annäherung an die SPD. Wer nun glaubt, das Motiv dieser Annäherung sei eine mögliche Regierungsbildung nach der Bundestagswahl, hat die Dimension der sich abzeichnenden Veränderungen nicht erkannt. Politiker wie Gysi denken nicht in Legislaturperioden, sie denken weit über eine Bundestagswahl hinaus. Ihm geht es um das Überleben linker Politik in Deutschland. Das ist sein Projekt. Nicht mehr und nicht weniger. Und aus diesem Grund dürfte in weiter Ferne als Ziel seiner Überlegungen die Fusion von SPD und der Partei Die Linke stehen.
An der Wahl des Zeitpunktes für seinen Vorstoß zeigt sich im Übrigen Gysis strategisches Talent. Im Angesicht der nicht zu gewinnenden Bundestagswahl wird die SPD brutal mit ihrer katastrophalen personellen und inhaltlichen Schwäche konfrontiert. Das macht sie noch verletzlicher als sie jetzt schon ist.
Seit langem schon schauen die SPD-Basis und die Parteilinke voller Neid auf die analytische und programmatische Überlegenheit der Linkspartei. Wer das erkannt hat, der weiß: Zu keinem anderen Zeitpunkt seit der deutschen Einheit war die Gelegenheit günstiger, eine Kooperation anzubahnen. Möglicherweise wird die SPD am Ende daran zerbrechen und allein ihr linker Flügel mit der Linkspartei zusammengehen. Gysi aber hätte auch dann noch gewonnen, weil er das gesamte verfügbare Potenzial für linke Politik zusammengeführt und dem verbleibenden Rest seiner Partei doch noch eine Basis im Westen verschafft hätte.