Worauf Erdogan seine Diktatur stützt

Die Türkei gleitet ins Chaos. Alle 217 F-16-Jets kontrollieren den eigenen Luftraum. Erdogan verhängt drei Monate Ausnahmezustand – und Berlin schwächelt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat nach dem gescheiterten Putsch einen dreimonatigen Ausnahmezustand über das Land verhängt. Dabei beruft er sich auf die türkische Verfassung. Dort heißt es in Artikel 120:

„Ergeben sich ernsthafte Anzeichen für sich ausbreitende Gewalthandlungen, die auf eine Aufhebung der durch die Verfassung begründeten freiheitlichen demokratischen Ordnung oder der Grundrechte und -freiheiten gerichtet sind, oder wird die öffentliche Ordnung ernsthaft gestört, so kann der unter dem Vorsitz des Präsidenten der Republik zusammentretende Ministerrat nach Einholung der Ansicht des Nationalen Sicherheitsrates in einem Teil oder mehreren Teilen des Landes oder im ganzen Land für eine Dauer von nicht mehr als sechs Monaten den Notstand ausrufen.“

Selbstdenkenden Beobachtern der dramatischen Zirkusvorführung mag auffallen, dass die in Rede stehenden „ernsthaften Anzeichen sich ausbreitender Gewalthandlungen …“ sich eigentlich nur auf den niedergeschlagenen Putschversuch beziehen können.

Herrschaft des Sultans

Offenbar hat Herr Erdoğan hierzu eine völlig andere Meinung und befürchtet selbst nach seinen „Säuberungsaktionen“ mit abertausenden Verhaftungen und Suspendierungen auch weiterhin ein erhebliches Gefahrenpotential, welches „die öffentliche Ordnung“ in der Türkei ernsthaft stören könnte.

Jedenfalls ließ er Anfang dieser Woche „vorsorglich“ durch die regierungsnahe Zeitung Takyim verbreiten, dass sich die Türkei auf eine zweite Putschwelle vorbereiten müsse und lässt seit Montag bis auf weiteres den türkischen Luftraum unter Einsatz aller 217 F-16-Jets im Bestand der türkischen Luftwaffe mit Patrouillenflügen überwachen.

Dabei ist jedoch festzuhalten, dass man sich kaum des Eindrucks erwehren kann, dass jener Bevölkerungsanteil, der nicht zu den betreuten Denkern seiner Exzellenz zählt, bereits paralysiert sein dürfte und bestenfalls ganz heimlich Widerspruch wagt, während die Jünger des Sultans sich offenbar darin üben, den eigenen Kopf zum Kämmen zu benutzen.

Hinzu kommt der Umstand, dass die freiheitliche demokratische Ordnung sowie Grundrechte und -freiheiten schon lange vor dem Putschversuch als Papiertiger wahrgenommen werden mussten, was sich aus den polizeilichen Gewaltexzessen gegen friedliche Demonstranten ebenso ableiten lässt, wie aus den strafrechtlichen Verfolgungen vieler Journalisten, die im Vertrauen auf die Meinungsfreiheit, zwielichtige Vorgänge im Land thematisiert hatten.

USA drohen mit Nato-Ausschluss

Im Lichte dieser Vorbemerkungen mag man sich darüber wundern, dass unserem Vorzeige-Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Verhängung des Ausnahmezustandes lediglich die „Forderung“ an die türkische Regierung wert war, den Notstand  „auf die unbedingt notwendige Dauer zu beschränken und dann unverzüglich zu beenden, da alles andere das Land zerreißen und die Türkei nach innen und außen schwächen würde.“

Steinmeier ist jedoch zugute zu halten, dass er mit deutlicheren Worten seiner Vorturnerin nicht in den Rücken fallen wollte.[1] Bislang ist nicht erkennbar, ob dieser diplomatische Zungenschlag den türkischen Präsidenten in irgendeiner Weise beeindruckt haben könnte.

Dies mag sich angesichts der deutlichen Worte von US-Außenminister John Kerry ändern, der den Allmachts-Phantasten indirekt vor einem möglichen Ausschluss aus der Nato gewarnt hat.

 

Anmerkung

[1] http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93E7643BFAF375B2BA147365EEE9B330/DE/_ElementeStart/Sprecher_node.html#doc438320bodyText3

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