Preis für Kriegstreiber Tony Blair

Die spinnen, die Briten: Premierministerin Theresa May nimmt sich Angela Merkel zum Vorbild. Und Tony Blair bekommt einen Preis für seine Einwanderungspolitik. Der Wochenrückblick im „Sonntagspanorama“.

Liebe Leserinnen und Leser, „der Putschversuch in der Türkei war nicht hilfreich.“ Diese Aussage stammt nicht von Angela Merkel, der unfähigsten und inkompetentesten deutschen Kanzlerin/Kanzlers aller Zeiten, sondern von mir. Schließlich habe ich bis Freitagnacht am Brexit rumgefriemelt. Und gerade als ich nach getaner Arbeit verdientermaßen ins Bett gehen wollte, fielen Schüsse am Bosporus. Nichtsdestotrotz sind folgende Erstzeilen nicht nur alternativlos, sondern auch förderlich:

Liebe Leserinnen und Leser, auch das noch: Die neue britische Premierministerin Theresa May gibt Angela Merkel als ihr großes Vorbild aus. Sie redet auch schon so. Ganz im Duktus der deutschen Kanzlerin versöhnt sie das Unvereinbare und lullt harte Gegensätze nieder: „Wir müssen die Zuwanderung steuern, aber auch die bestmögliche Vereinbarung für den Handel mit Gütern und Dienstleistungen erreichen.“

Der EU-Binnenmarkt wird ohne Personenfreizügigkeit nicht zu haben sein. Für eine bestmögliche Vereinbarung für ihr Land erhält Theresa May am besten Großbritanniens gegenwärtig innerhalb der EU erreichten wirtschaftlichen Status Quo. Ihr Brexit-bleibt-Brexit-Mantra ist kindisch. Aber was erwarte ich von einer Person, die sich weigert, den bereits in Großbritannien lebenden EU-Ausländern ein Bleiberecht nach dem Brexit zu garantieren und sie stattdessen als Brexit-Verhandlungsmasse benutzen möchte. Selbst Rechtspopulist Nigel Farage erklärte, er sei durch diese Haltung angewidert.[1]

Am 28. Januar 2013 erhält der ehemalige britische Premier Tony Blair einen Preis vom Business Centre Club of Poland für seine offene Einwanderungspolitik, die es Hunderttausenden von Polen ermöglicht hat, in Großbritannien uneingeschränkt zu leben und zu arbeiten. Im Mai 2004 führte die Mehrzahl der EU15-Länder noch Über- gangsregelungen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den acht großen Beitrittsländern (darunter Polen) ein. Das Vereinigte Königreich dagegen öffnete aus eigenem Interesse seinen Arbeitsmarkt für die Bürger der neuen EU-Mitgliedsstaaten sofort. Tony Blair erklärte vor einiger Zeit, dass er es nicht bedauere, die Grenzkontrollen für osteuropäische Einwanderer 2004 aufgehoben zu haben:

„In some ways, I don’t regret it because the Polish community and other communities from Eastern Europe do good work in our country.“[2]

Der Wind in Großbritannien hat sich gedreht.

Die offene Gesellschaft und ihre Feinde

Wir können niemals zur angeblichen Unschuld und Schönheit der geschlossenen Gesellschaft zurückkehren. Es gibt keine Rückkehr zu einem harmonischen Naturzustand“, sagte der Philosoph Karl Popper.

Venezuela hat es trotzdem versucht. Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa beschreibt sein Scheitern:

„Venezuela hat sich vor fast zwanzig Jahren zunächst politisch vom Rest Südamerikas abgespaltet, indem Chávez ein System installierte, dessen Untauglichkeit sich historisch bereits zigfach erwiesen hatte: Sozialismus. Die nationale und internationale Linke applaudierte: «Zurück ins Kleine! Zurück zu nationaler Kontrolle über das Kapital! Weg vom runden Tisch der Korrupten!» Kurz: Weg vom Weg, den der Rest Südamerikas eingeschlagen hatte. Es folgten Verstaatlichungen kompletter Wirtschafts- und Industriezweige, obskurer Nationalismus vergiftete das Klima mit den Nachbarn, völlige Isolation auch in der Außenpolitik – alles mit dem Segen des Volkes, das glaubte, sich auf diesem Wege vom Gang der Welt ausnehmen, zur überschaubaren, weil geschlossenen Gesellschaft zurückkehren zu können. Heute ist Venezuela korrupt, eines der ärmsten Länder der Welt, Caracas die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate, Geld ist nichts mehr wert, die Menschen verhungern – und das, obwohl Venezuela eigentlich reich sein könnte.“

Zurück zur Wurzel

Der revolutionäre Kampf Venezuelas gegen den abgewirtschafteten Kapitalismus wird schriller. „Die-Zukunft-liegt-in-der-Wurzel“, ist die nächste Parole. Die FAZ schreibt:

„Die Zukunft Venezuelas soll in dem vom Stadtbewohner selbst ausgebrachten Samenkorn liegen. ‚Damit werden wir den Wirtschaftskrieg gewinnen, den die Vereinigten Staaten, die Bourgeoisie und die Wucherer gegen uns führen‘, deklamiert Aristobulo Istúriz. Der Vizepräsident führt aus, dass das venezolanische Volk mit der Förderung des urbanen Ackerbaus ‚einen Entwicklungssprung‘ machen werde, indem es ‚die primäre Materie selbst transformiert‘, statt sich für teures Geld industriell gefertigte Nahrungsmittel oder gar Fertiggerichte zu kaufen.“

The Economist analysiert die Auswirkungen der Brexit-Entscheidung vom 23. Juni:

„The debates unleashed by that vote—What sort of EU deal should Britain seek? What status should immigrants have? Is Britishness still an inclusive identity?—will dominate the country’s politics for years, maybe decades. Where once the essential battle was capital versus labour, now it is open versus closed.”

Griechische Verhältnisse auf der Insel?

„Für ein Land wie Großbritannien, das weitgehend deindustrialisiert ist und dessen Wirtschaft in hohem Maße vom Finanz- und Immobiliensektor getragen wird, das eine hohe Abhängigkeit von Importen und ein längst chronisch gewordenes Leistungsbilanzdefizit aufweist, entstehen durch die Abwertung des Pfunds und durch den massiven Abzug von Kapital ernste Probleme. Denn nicht nur das Leben auf der Insel wird teurer, sondern auch die Staatsfinanzierung gerät ins Schleudern. Wenn die Regierung in London den Kapitalabfluss nicht stoppen und umkehren kann, wird sie das Leistungsbilanzdefizit nicht mehr ausgleichen können. Dann wird es drastische Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen geben müssen – ähnlich wie beispielsweise in Griechenland.”[3]

So hat es sich der kleine Mann aus der englischen Provinz nicht vorgestellt, als er wegen zu vielen Polen für den Brexit stimmte. Aber genau so wird es kommen. Die Rückständigen vom Land hätten in der Vergangenheit besser gegen die City of London kämpfen sollen bzw. gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik der eigenen Regierungen. Die EU hat jedenfalls nicht Margaret Thatcher und jene Politiker, die ihr folgten, gewählt. Das war Großbritannien selbst.

Die EU ist nicht an allem schuld

Die frischgekürte britische Premierministerin Theresa May ernennt als ihren Außenminister den verlogenen Brexit-Knallfrosch Boris Johnson. Da musste ich wirklich lachen! In der britischen Politik ist es wie bei Dick & Doof: Immer wenn man denkt, das war es jetzt, fällt Oliver Hardy noch ein weiterer Dachziegel auf den Kopf.

Schwarzes-Schaf / Quelle: Claus Folger

Schwarzes-Schaf / Quelle: Claus Folger

Das schwarze Schaf der Woche

„Ich werde die Revolution von Hugo Chavez mit allen Mitteln gegen die faschistische Opposition, die Erben Hitlers verteidigen“, wird Nicolás Maduro, der Staatspräsident Venezuelas, von der FAZ zitiert.

 

 

Weißes-Schaf Quelle: Claus Folger

Weißes-Schaf Quelle: Claus Folger

Das weise Schaf der Woche

England war geografisch und schichtenspezifisch immer unterteilt, der Norden vom Süden, die Arbeiterklasse von der Mittelschicht. Ich habe das Gefühl, dass Britannien sich radikal geändert hat, dass es bei der Messlatte heute nicht mehr um links oder rechts geht. Nach einem neuen Maßstab unterscheidet man heute zwischen Gebildeten und Ungebildeten. Ich glaube wirklich, dass der Ausgang des Referendums eine Konsequenz des schlechten Bildungsstandards ist. Das Basiswissen für die Prinzipien der Politik, Wirtschaft, Migration ist schlichtweg nicht vorhanden. Die britische Öffentlichkeit wurde von den Brexit-Anhängern wieder und wieder angelogen. Das war ein Tatbestand, auch wenn wir natürlich wissen, dass Politiker ohnehin fast immer lügen“, sagte der Londoner Künstler Ryan Gander in dem Kunstmagazin art.[4]

Mein Lektüretipp der Woche:

„In a June 18 blog post http://www.sub-scribe2015.co.uk/brexit-blog/mail-and-the-referendum-campaign-or-propaganda , journalism blogger Liz Gerard compiled a montage of front-page headlines in order to demonstrate how the constant reiteration of words such as migrants and borders in large, bold font systematically ramped up the xenophobic message: Turks, Romanians, Iraqis, Syrians, Afghans, Albanians: millions of them apparently want to abandon their homelands and settle in the English countryside — and only leaving the EU will stop them”, schrieb foreignpolicy.com.

 

Anmerkungen

[1] http://www.express.co.uk/news/uk/686615/Brexit-Nigel-Farage-Theresa-May-EU-bargaining-chip-migrants-UK-Britain

[2] http://www.telegraph.co.uk/news/uknews/immigration/9352335/Tony-Blair-I-dont-regret-opening-UK-borders-to-European-immigrants.html

[3] http://stefanleichnersblog.blogspot.de/2016/07/grobritannien-beendet-politische.html

[4] http://www.art-magazin.de/szene/16635-rtkl-interview-mit-ryan-gander-zum-brexit-was-fuer-idioten

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