Flüchtlinge mit vielen Identitäten

Flüchtlinge haben die Behörden zum Teil massiv getäuscht. Sie sind mit bis zu fünf Namen und Herkunftsangaben registriert, wie jetzt bei Straftaten aufflog.

Als die Bundespolizisten die persönlichen Daten des straffällig gewordenen Flüchtlings überprüften, trauten sie ihren Augen nicht. Wenn ihre gesammelten Informationen stimmten, dann wurde der Mann in Deutschland gleich unter einer Handvoll unterschiedlicher Namen und Herkunftsangaben in verschiedenen Bundesländern registriert.

Mir und meinen Kollegen ist aufgefallen, dass Migranten mit mehreren Identitäten geführt werden“, sagt ein Bundespolizist gegenüber GEOLITICO. Er habe bis zu fünf unterschiedliche Identitäten festgestellt. „Diese Identitäten unterscheiden sich nur durch das Bundesland der Anmeldung!“ Und was ihn vor allem wundert: „Ein Abgleich der Daten zwischen den Ländern erfolgt nicht!

Chaotische Zustände bei der Einreise

Wie konnte es dazu kommen? Mit der Flüchtlingswelle im vergangenen Jahr sind viele Menschen ohne Ausweispapiere ins Land gekommen. Damit war ihre wahre Identität für die Behörden nicht nachprüfbar. Sie mussten sich auf die Angaben der Flüchtlinge verlassen. Von denen aber hielten es viele mit der Wahrheit nicht so genau. Und eine ganze Reihe von Flüchtlingen missachteten die Anweisungen der Helfer. Statt die ihnen zugewiesenen Unterkünfte aufzusuchen, reisten sie ohne gültige Ausweisdokumente quer durchs Land. Dabei haben sie sich offenbar in verschiedenen Bundesländern gleichzeitig unter Angabe jeweils anderer Namen, Geburtsdaten und Herkunftsorte als Asylsuchende gemeldet. Ein GEOLITICO vorliegendes Ermittlungsdokument der Polizei belegt dies in zumindest einem Fall.

Auf Anfrage von GEOLITICO bestätigten sowohl die Bundespolizei als auch das Bundesinnenministerium diese „Mehrfachidentitäten“. Die Bundespolizei antwortete auf unsere Frage, ob und wie Mehrfach-Identitäten durch die Meldung/Erfassung in mehreren Bundesländern entstanden sind:

„Mehrfachidentitäten konnten vor Einführung des Integrierten Identitätsmanagements dadurch entstehen, dass Migranten ohne bzw. mit ge-/verfälschten Ausweispapieren, ohne Registrierung und somit ohne identitätssichernde Maßnahmen nach Deutschland einreisen und sich im Inland mit unterschiedlichen Personalien bei Registrierungsstellen in mehreren Bundesländern anmeldeten.“

Angesichts der chaotischen Zustände bei der Einreise im vergangenen Jahr hatten die Behörden also keinerlei Überblick darüber, wen sie ins Land ließen. Erst zum Jahreswechsel hat die Bundesregierung diesem Chaos durch die im Asylpaket II enthaltenen Maßnahmen einen Riegel vorgeschoben. Dazu erklärte die Bundespolizei auf Anfrage von GEOLITICO:

Um Mehrfachidentitäten bei Flüchtlingen auszuschließen, „hat das Bundeskabinett im Rahmen des Asylpaket II den Ankunftsnachweis (AKN) eingeführt. Der AKN wird erst nach erkennungsdienstlicher Behandlung, bei der das Lichtbild des Betroffenen sowie die Abdrücke aller zehn Finger genommen werden, ausgestellt; bei Personen unter 14 Jahren wird nur das Lichtbild genommen. Vor der Ausstellung des AKN ist ein Abgleich mit den bereits vorhandenen Registrierungen durchzuführen; so kann erkannt werden, ob eine Person bereits registriert ist.
Personen, die bislang noch nicht registriert worden sind, sind nach den gesetzlichen Bestimmungen nachzuregistrieren und mit einem AKN auszustatten. Erkannte Mehrfachidentitäten werden im Ausländerzentralregister (AZR) zu einem Datensatz zusammengeführt und Alias-Personalien gebildet, sodass die auf das AZR zugreifenden Stelle erkennt, ob unterschiedliche Personalangaben gemacht wurden.“

Überraschende Ermittlungsergebnisse

Offenbar scheinen die Informationen über Mehrfachidentitäten für ermittelnde Polizisten jedoch nicht auf einen Blick ersichtlich zu sein. Beamte, die Straftaten wie das „Erschleichen von Leistungen, Nötigung und Bedrohung“ verfolgen, sagten gegenüber GEOLITICO, sie hätten die Mehrfachidentitäten erst erkannt, nachdem sie „die Personendaten und Fingerabdrücke mit den Fahndungsdateien der Bundespolizei“ abgeglichenhätten. Sie hätten das für sie überraschende Ergebnis sofort an ihrer Vorgesetzten weitergeleitet.

Auf die Frage, wie viele Fälle solcher Mehrfachidentitäten straffällig gewordener Flüchtlinge den Behörden inzwischen bekannt seien, antwortete das der Bundespolizei vorgesetzte Bundesinnenministerium GEOLITICO:

„Zur Anzahl von Tatverdächtigen, bei denen im Rahmen der Strafermittlungen Mehrfachidentitäten festgestellt worden sind, können keine Angaben gemacht werden, da in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) insofern keine gesonderte  statistische Erfassung stattfindet.“

Allerdings räumt auch das Innenministerium die chaotischen Zustände bei der Registrierung im vergangenen Jahr ein:

„In Einzelfällen war aufgefallen, dass sich Asylsuchende mehrfach zur Verteilung angestellt hatten, vor allem in der Hoffnung, an einen bestimmten Ort verteilt zu werden. Eine Statistik dazu gibt es nicht.“

Durch das am 5. Februar 2016 in Kraft getretene Datenaustauschverbesserungsgesetz (DAVG) werde aber inzwischen sichergestellt, dass die erkennungsdienstliche Behandlung bereits beim Erstkontakt mit einer der zur Registrierung befugten Behörden erfolgt. Dementsprechend könnten Mehrfachidentitäten/ Identitätstäuschungen auch wesentlich früher aufgedeckt werden, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Klare Gesetzeslage?

Und was geschieht mit den Flüchtlingen, bei denen aufgedeckt wird, dass sie mit verschiedenen Identitäten in mehreren Bundesländern gemeldet sind? Antwort des Innenministeriums:

„Nach § 85 Nummer 1. i.V.m. § 50 Abs. 6 AsylG ist es strafbewehrt, wenn sich der Ausländer nicht unverzüglich zu der in der Zuweisungsverfügung angegebenen Stelle begibt. Wenn ein Ausländer im Asylverfahren über seine Identität täuscht, so ist sein Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen“.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sieht das allerdings etwas differenzierter. Es schreibt auf Anfrage von GEOLITICO:

„Nach § 30a Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann das Asylverfahren beschleunigt durchgeführt werden, wenn der Ausländer die Behörden durch falsche Angaben über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht.“

Das gelte aber nicht in jedem Fall:

„Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Ausländer in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung befindet. Derzeit prüfen die Bundesländer noch, inwieweit solche Aufnahmeeinrichtungen eingerichtet werden sollen. Im Moment gibt es daher noch keine Möglichkeit, das beschleunigte Verfahren durchzuführen.“

Will heißen, derzeit passiert noch nichts.

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Über Thomas Castorp

Thomas (Hans) Castorp blickt vom Zauberberg herab auf die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Fragenstellungen. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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