Die verratene Emanzipation

Nach Köln sorgten sich Feministinnen vor allem um die Täter. Nun fordert „Die Zeit“ Frauen gar auf, den Verkauf ihres Körpers als emanzipatorisch zu betrachten. Der Wochenrückblick im „Sonntagspanorama“.

Liebe Leserinnen und Leser, es ist wahr: Frauen unterdrücken Frauen. Seit 2008 sind Mädchenbeschneidungen in Ägypten illegal. Trotzdem bleibt weibliche Genitalverstümmelung eine weit verbreitete Tradition.

„Sowohl muslimische als auch christliche junge Ägypterinnen werden zu Opfern. Die Religion ist dabei keineswegs ausschlaggebend. Paradoxerweise sind es oft die Mütter und Großmütter, die die Tradition weitertragen. Ein Drittel der selbst beschnittenen Mütter geben heute an, ihre Töchter die gleiche Prozedur durchleiden zu lassen. Die Frauenaktivistin Marwa betont, dass die Religion bei der Tradition der Genitalverstümmelung nicht die zentrale Rolle spielt: ‚Wenn du die Mütter fragst, warum die das machen, sagen sie, sie wollen der Tochter die sexuelle Lust nehmen, damit sie keusch bleibt und damit der Ehre der Familie gerecht wird.‘“[1]

Sex ist nur eine Dienstleistung

Auch Deutschland ist reich an Paradoxien. Alexandra Bader von ceiberweiber schreibt:

„Nach Köln wurde klar, dass viele Frauen gekapert sind, die sich als feministisch verstehen, sich nun aber vor allem um die Täter sorgten. Inzwischen wird auch eifrig dafür geworben, Prostitution als sexuelle Dienstleistung und den Verkauf des eigenen Körpers als emanzipatorisch zu betrachten. Wer dies kritisiert, wird rigide blockiert und angefeindet, was sich durch viele feministische Seiten und Magazine durchzieht.“[2]

Die gekaperte Sophie Elmenthaler von „Die Zeit“ treibt es auf die Spitze. Sie propagiert im Prinzip die Ausbeutung der Frau:

„Es wäre allen geholfen, wenn Sexarbeit nicht mehr als gesonderte Dienstleistung betrachtet würde, weil es, – oh Gott – um Geschlechtsverkehr geht. Wir leben in einem kapitalistischen System, und Menschen werden ständig dazu gezwungen, ihre Arbeitskraft, ihre Zeit und Gesundheit dem Geldverdienen zu unterwerfen. Ist es wirklich ein so großer Unterschied, ob jemand seinen Körper in der Altenpflege oder auf dem Bau kaputtarbeitet oder denselben Körper für sexuelle Handlungen zur Verfügung stellt? In welchem Jahrhundert leben wir, dass wir Sexualität noch immer mit anderen Maßstäben messen?“[3]

Das Elend der Prostitution

Miriam Heinz (28 J.) stellt sich quer. Die Sozialpädagogin betreut für die Nordstern-Kirche aus Frankfurt am Main ein Projekt unter Prostituierten u. a. im Frankfurter Bahnhofsviertel und berichtet mir über ihre Erfahrungen. Bei dem vorliegendem Text handelt es sich um eine von mir nur leicht gekürzte und überarbeitete Fassung:

„Wer durch Armut, Sucht oder sogar durch einen anderen Menschen dazu gezwungen ist, seinen Körper für Sex herzugeben, macht dies nicht wirklich freiwillig. Auf der Suche nach dem schnellen Geld und den irre Lügen darüber, was dieser Job alles so Positives hat und wie normal körperlich zu arbeiten ist, vergessen wir die Seele, Würde und Geschichte der Frauen, die in solchen Situationen stecken. Wir gehen mit unserem Projekt alle zwei Wochen in die Laufhäuser von Frankfurt und möchten den Frauen, die dort zum größten Teil sogar wohnen, Wertschätzung, Liebe, Respekt und Gottes Liebe durch Jesus näherbringen. Wir wollen ihnen eine Freundin sein, die zuhört und für sie da ist und mit ihnen für Kraft und Heilung der Wunden in ihren Herzen betet. Seit nun über einem Jahr habe ich also engen Kontakt zu einigen Frauen die dieses Gewerbe freiwillig machen. Wir sehen dort viele Tränen und Traurigkeit hinter den auf die Kunden abgestimmten Fassaden. In unseren Gesprächen wird immer wieder klar, keine dieser Frauen sieht diesen Job als normal an. Keine möchte diesen Job wirklich machen. Keiner geht es gut dabei. Im Gegenteil, sie leiden unter Depressionen, Schlafstörungen, Süchten etc.
Diese Frauen erleben jeden Tag, dass Handlungen, die gekauft werden, Grenzen überschreiten können, wie sie es vielleicht nie für möglich gehalten hätten. Diese Frauen erleben körperliche und seelische Gewalt in einer Form, die wir uns nicht vorstellen können (z.B. sich ankoten lassen). Sie können Kunden nicht abweisen, weil sie stinken, unangenehm/brutal sind oder etwas von ihnen verlangen, was sie selber nicht möchten oder ihnen gar weh tut. Das geht nur begrenzt, denn das Geld muss reinkommen.
Öffentlich wird man momentan wohl kein negatives Statement von den Prostituierten hören, denn die Angst vor den Peinigern und der Druck sind zu groß. Aber innerhalb der Beziehungen, die wir in unserem Projekt aufbauen, nutzen die Frauen die Möglichkeit, sich jemandem anzuvertrauen und sie erfahren dort von uns Annahme, Respekt, Ermutigungen, Liebe, Vergebung, Gebet und ein offenes Ohr für das, was wirklich bei den Frauen in den Laufhäusern & Bordellen in Deutschland abgeht. Das tut der Seele gut und ist das mit Abstand Beste für ihr Herz, aber es reicht leider nicht aus, um diesen Frauen ein normales Leben zu ermöglichen.“

Eine Reise in die Martin-Luther-Zeit

„Erschütternd war für mich die ungeheuer große Gewalttätigkeit in den Lebensverhältnissen. Und zwar von der großen Politik bis zu den Alltagsverhältnissen. Die gesamte Gesellschaft war gewaltdurchherrscht, also auch in den Verhältnissen der Geschlechter, in den Verhältnissen zwischen Eltern und Kindern, in den Verhältnissen zwischen Mächtigen und Machtlosen, zwischen Chefs und Untergebenen, zwischen Landwirten und ihren Mägden. Das war alles gewaltdurchherrscht, nicht nur mit verbaler Gewalt, sondern mit der dauerhaften Präsenz physischer Gewalt. Wenn man sich das vergegenwärtigt, ist man dankbar für den Zivilisierungsprozess, den wir erlebt haben in den letzten 500 Jahren. Diese Zivilisierungsergebnisse muss man gegen drohende Rückfälle verteidigen. Es ist ungeheuer wichtig, dass Gewalt tabuisiert wird“, sagte Bruno Preisendörfer auf Deutschlandradio Kultur.

Schwarzes-Schaf / Quelle: Claus Folger

Schwarzes-Schaf / Quelle: Claus Folger

Das schwarze Schaf der Woche

„Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe. Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt. Schauen Sie sich doch mal die dritte Generation der Türken an, gerade auch die Frauen! Das ist doch ein enormes innovatorisches Potenzial!“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) der „Zeit“.

Übrigens: In Frankfurt am Main haben ca. 45% der neu eingeschulten Kinder einen Migrationshintergrund.

Weißes-Schaf Quelle: Claus Folger

Weißes-Schaf Quelle: Claus Folger

Das weise Schaf der Woche

„Die Türkei kann das Flüchtlingsabkommen jederzeit aufkündigen. Wenn wir uns auf die Türkei verlassen, begeben wir uns in eine gefährliche Abhängigkeit. Plan A muss ein starkes Europa sein, das imstande ist, seine Grenzen selbst zu schützen und selbst zu entscheiden, wer nach Europa kommen kann und wer nicht. Diese Entscheidung darf weder an die Türkei noch an Schlepper delegiert werden“, sagte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz (29) der „Presse“.

Sebastian Kurz ist einer der wenigen Politiker in Europa, die sich zu dem Hauptproblem unserer Zeit realistisch äußern. Liegt es am jugendlichen Alter? Sind die Kollegen zu alt? Haben sie schon zu viel Geschichte und schlechtes Gewissen auf dem Buckel?

Die normalerweise saumseligen deutschen Politiker reagierten mit einem Sturm des Entsetzens auf die Morddrohungen gegen zumeist türkischstämmige Abgeordnete nach der Armenien-Resolution im deutschen Bundestag. Dabei steht an jeder Wand geschrieben, wie Erdogan und seine Schergen mit Kurden und sonstigen Oppositionellen verfahren. Der deutsche Michel begreift allerdings erst dann, wenn ihn selbst etwas schmerzt. In Zusammenhängen zu denken entspricht nicht seiner angeborenen Schafsmentalität. Daher hat er auch fröhlich einen Flüchtlingspakt mit der Türkei geschlossen und erwartet nur Gutes. – Und von Österreich nur Böses: „Wenn Österreich den Brenner schließt, ist Europa zerstört“, prophezeit die oberste Zipfelmütze im Land.

Nach den überwältigend guten Erfahrungen mit der Türkei geht die dumpfbackene EU-Kommission jetzt all-in. Sie will mit Jordanien, dem Libanon, Tunesien, Nigeria, dem Senegal, Mali, Niger, Äthiopien und Libyen ähnliche Kooperationsabkommen abschließen. Investitionsvolumen: 62 Milliarden Euro.

Warum sichert die EU mit dieser Summe nicht einfach ihre Außengrenzen, anstatt sich von korrupten afrikanischen Staaten erpressen zu lassen?

Mein Lektüretipp der Woche:

„Rettung aus Seenot ist kein Ticket nach Europa!“ Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz im Interview.[4]

 

Anmerkungen

[1] http://www.taz.de/!5307170

[2] https://alexandrabader.wordpress.com/2016/06/04/die-verratene-emanzipation/

[3] http://www.zeit.de/kultur/2015-08/prostitution-legalisierung-amnesty-international-kommentar#comments

[4] http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/5003144/Kurz_Rettung-aus-Seenot-ist-kein-Ticket-nach-Europa

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