Die neue deutsche Gysi-Merkel-SED

Gregor Gysi fordert Regierungsbündnisse von CDU und Linken. Sein Vorschlag bezeugt ein parteipolitisches Dilemma und erinnert an die Vereinigung von SPD und KPD.

In der ostdeutschen Linkspartei waren sie eigentlich immer stolz auf Angela Merkel. Unter den SED-Altkadern gilt sie bis heute als „eine von uns“. Und bei allen inhaltlichen Differenzen etwa in der Arbeitsmarkt- und Europolitik war in dem Vierteljahrhundert seit dem Fall der Mauer nie ein Wort persönlicher Kritik an Merkel aus Mund von Gregor Gysi oder Dietmar Bartsch zu hören.

Denn in den Grundzügen ihrer Politik sind ist sich die ostdeutsche Linke weitgehend mit Merkel einig. Sie sind für Europa, für den Euro, für die grenzenlose Aufnahme von Flüchtlingen und haben gemeinsam ein ideologisches Problem mit den Zuständen in Russland.

Linke und SPD am Abgrund

Jetzt hat Gregor Gysi endlich mal offen ausgesprochen, was sich viele wohl längst hätten vorstellen können und was in zahlreichen ostdeutschen Kommunen seit 1990 längst gang und gäbe ist. Union und Linke sollten über gemeinsame Regierungsbündnisse nachdenken, sagte Gysi der Verlagsgruppe Madsack.

„Die CDU muss jetzt noch nicht den Weg gehen, aber sie und die Linken müssen sich Gedanken machen, dass sie ihn eines Tages gehen müssen“, sagte Gysi. Die Erfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa und in Deutschland erforderten, „dass alle springen. Von der Union bis zur Linken“. Wenn CDU und Linke diesen Trend nicht gemeinsam verhinderten, „dann begehen wir historisch einen schweren Fehler“, sagte der frühere Fraktionschef.

Freilich sagte er dies nicht ohne Grund zum jetzigen Zeitpunkt. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist die Linke vernichtend geschlagen worden. Neben ihr ist die SPD gleich mit untergegangen. Damit haben sich auch die alten Optionen noch eine Regierungsbeteiligung erledigt. Denn bislang waren für die Linke allein Koalitionen mit der SPD denkbar, auch wenn die Partei wie keine andere außer den Grünen in der Flüchtlingspolitik eng an der Seite der Kanzlerin stand.

Nun, da die Linke wie auch die SPD am Abgrund stehen, sieht Gysi in der Merkel-Union den einzig gebliebenen Rettungsanker.

Gysi warnt vorm „Vormarsch der extremen Rechten“

Am Tag nach den Landtagswahlen hatte der prominente Linke bereits auf Facebook geschrieben:

„Das gestrige Wahlergebnis zeigt eine Wende in Deutschland – wie sie sich in ganz Europa vollzieht. Der Vormarsch der extremen Rechten beweist die Suche nach einfachen, untauglichen Antworten – eine Gefahr für unsere Gesellschaft und die Europäische Union. Seit Jahren redet die Politik von Globalisierung, die stattfindet, ohne dass die Regierungen irgendwo mitgehalten haben. Große Banken und Konzerne sind heute mächtiger als sie. Mit der Globalisierung rückt auch die Menschheit zusammen. Es gibt nur einen Lösungsweg: Die Fluchtursachen müssen so schnell wie möglich überwunden werden. Das gilt für Kriege, Hungertod, den irrsinnigen Reichtum in wenigen Händen und die sich ausbreitende Armut weltweit und bei uns. Alle demokratischen Parteien müssen sich gemeinsam gegen die Rechtsentwicklung stellen – von der Union bis zur LINKEN.“

Mit seinem offiziellen Gesprächsangebot an Angela Merkel und die Union bezeugt Gysi das eigentliche Dilemma deutschen Parteienlandschaft: Inhaltlich unterscheiden sich die Altparteien CDU, SPD, und Grüne kaum noch voneinander. Einzig die Linke schien sich in ihrem Streben nach dem demokratischen Sozialismus und der Verstaatlichung von Banken und Großindustrie klar von den anderen abzugrenzen. Aus Gysis Sicht müssen diese Positionen inzwischen wohl auch keine unüberwindbare Hürde mehr für eine Kooperation mit der Union sein.

Wer hätte 1990 gedacht, dass es einmal so weit kommen könnte? In der Union dürfte sich jedenfalls so mancher verwundert die Augen reiben und sich fragen, in welcher Partei er inzwischen ist, der ein prominentes Mitglied der Linkspartei offen die Zusammenarbeit vorschlägt. Vielleicht sollten sie sich schon mal an einen neuen Umgangston gewöhnen. Bisher nannten sie sich Parteifreunde, in Zukunft könnten sie Genossen sein.

Keine Wahl mehr

Nun dürfte auch dem letzten Christdemokraten aufgehen, wie sehr Merkel die CDU in den vergangenen Jahren sozialdemokratisiert hat. Oder anders ausgedrückt: In Wahrheit hat der Wähler schon lange keine Wahl mehr.

Und so erinnert Gysis Angebot an die Union an den folgenschweren historischen Händedruck von Otto Grotewohl und Wilhelm Piek auf dem Vereinigungsparteitag von SPD und KPD zur SED im Jahr 1946. Die Umsetzung von Gysis Angebot auf Länder- oder gar Bundesebene wäre der Vollzug dessen, was über die Jahre still und heimlich längst parteipolitische Realität wurde: die deutsche Einheitspartei. Kein Wunder, dass die AfD solchen Zulauf hat.

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Über Thomas Castorp

Thomas (Hans) Castorp blickt vom Zauberberg herab auf die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Fragenstellungen. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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