Merkel in der Honecker-Falle

Erich Honecker / Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-R1220-401 / Unknown / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2f/Bundesarchiv_Bild_183-R1220-401%2C_Erich_Honecker.jpg Erich Honecker / Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-R1220-401 / Unknown / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2f/Bundesarchiv_Bild_183-R1220-401%2C_Erich_Honecker.jpg

1989 blendete Erich Honecker die Wirklichkeit aus. Auch damals gab es Flüchtlingsströme, die DDR-Führung war restlos isoliert. Ob Merkel zuweilen daran denkt?

Wie sich die Ereignisse von 1989 und 2016 gleichen: In Ostberlin eine international total isolierte Führung und eine Opposition, die die Bälle aus Moskau, Warschau und Budapest zugespielt bekommt.

Zu Honecker hielten 1989 nur noch Gustáv Husák, Kim Il-sung, Nicolae Ceaușescu – und die westdeutsche SPD! In Moskau wurde seit 1986 Perestroika betrieben, Kurt Hager vom SED-Politbüro hielt dagegen einen Tapetenwechsel nicht für erforderlich.

Heute sind die letzten „zuverlässigen“ internationalen Verbündeten der Kanzlerin der luxemburgische EU-Funktionär Jean-Claude Juncker, der Türkenpräsident Recep Tayyip Erdoğan und der griechische Kommunist Alexis Tsipras. Perfekter kann Isolation nicht gehen.

Im Nebel der Erinnerung

1989 sprangen die revolutionären Bälle zwischen Warschau, Budapest, Leipzig, später auch Prag und Dresden hin und her. Am 4. und 18. Juni war in Polen die erste halbdemokratische Wahl und die kommunistische Regierung wurde abgelöst. Am 19. August fand an der ungarisch-österreichischen Grenze das Paneuropäische Picknick statt, in dessen Verlauf 400 Deutsche wie die Hasen mit Kind und Kegel über die Grenze rannten.

Die Botschaften in Prag, Budapest und Warszawa liefen voll Flüchtlinge, beim Westtransport der Evakuierten in versiegelten Waggons durch Südsachsen entspannen sich Schlachten um die sächsischen Bahnhöfe. Viele wollten mit.

Die Feinde des real existierenden Sozialismus rochen Morgenluft und gründeten Oppositionsgruppen: Am 10. September das Neue Forum, am 1. Oktober den Demokratischen Aufbruch und am 7. Oktober die SDP. Im Schatten des Umbruchs in Budapest und Warszawa begannen auch die Demos: Am  2. Oktober in Leipzig mit 12.000 Teilnehmern, eine Woche später nahmen schon 70.000 Sachsen teil.

Jeden Tag verfolgte man die inspirierenden Ereignisse im Osten. Bonn war gedanklich weiter weg als Wladiwostok. Bundesaußenminister Genscher spekulierte öffentlich darüber, ob die deutsche Grenze in 50 Jahren noch dicht sein werde und die SPD träumte von der Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft.

Die Perspektive änderte sich relativ spät mit der Grenzöffnung am 9. November und endgültig mit dem Besuch von Helmut Kohl in Dresden am 19. Dezember 1989. Ab da starrte zwischen Kap Arkona und Fichtelberg alles gebannt auf den Westen und der europäische Osten versank im Nebel der Erinnerung.

Russen erzwangen den friedlichen Protest

Die westdeutsche Presse, die damals noch die Deutungshoheit besaß, erdichtete das Märchen von der friedlichen Revolution und den mutigen Revolutionären. In den Vordergrund wurden immer diejenigen gestellt, die die stinkende Leiche des Sozialismus reanimieren wollten, wie Christa Wolf und Friedrich Schorlemmer. Die Revolution wurde als nationales Ereignis verklärt, völlig an den Realitäten vorbei. Es war in der Entstehung eine osteuropäische Widerstandsbewegung gegen die letzten Stalinisten in Ostberlin, Prag und Bukarest, sonst nichts.

Zweitens war die Revolution nicht friedlich. Was war denn gewaltfrei an den Schlachten um die sächsischen Bahnhöfe? Was war friedlich an den Prügelorgien vom 7. und 8. Oktober in Ostberlin und Arnstadt? Was war pazifistisch bei den tagelangen Kämpfen in Bukarest?

Friedlich wurde die Revolution in der DDR erst, als die Russen das erzwangen. Als in Weimar Ende Oktober die erste Demo stattfand, hatten zwischen dem Landschaftshaus und der Bastille eine Reihe Schützenpanzerwagen der Roten Armee Aufstellung genommen, um sowohl der Staatssicherheit wie auch den Demonstranten zu zeigen, wer eigentlich Herr im Haus ist. Man verlangte Disziplin.

Wie sich alles wiederholen kann: Man schaut 2016 wieder auf Warschau, Budapest und Moskau. Dazu auf Wien und die mazedonische Hauptstadt Skopje. Brüssel und Ostberlin haben sich disqualifiziert. Der Westen ist irrelevant geworden.

Lieblingsmärchenonkel Gysi

Das derzeitige AfD-Bashing ähnelt den Kampagnen gegen die jungen Oppositionsgruppen. Schon 1989 wurde von den Mauermördern die schmutzige Nazikeule eingesetzt. Die bis heute unaufgeklärte Beschmierung eines sowjetischen Ehrenmals wurde an der Jahreswende 1989/90 zu einer intensiven Medienkampagne gegen die demokratischen Kräfte eingesetzt: Ganz vorn dran: der Lieblingsmärchenonkel der deutschen Medien, Gregor Gysi. Die Aktion blieb damals wirkungslos, weil das Vertrauen zu den gewerbsmäßigen Lügnern der Presse und des Staatsfernsehens zu gering war.

Zum Schluss etwas zum Schmunzeln. Bereits am 22. August 1989 morgens kursierte folgendes Spottgedicht über das Paneuropäische Picknick:

Was musst Erich heut erfahren aus dem Lande der Magyaren? Kann er sich die Haare raufen,
 Landeskinder sind entlaufen von Sopron nach Eisenstadt, was er nicht erwartet hat. Ungarn zucken mit den Achseln, können nicht verhindern kraxeln über ihren Stacheldraht, den man schon beseitigt hat. Krokodile weinen Tränen, Preußen knirschen mit den Zähnen, ach, so denkt man in Berlin,
 schöne Stalin-Zeit ist hin. Und bald kommt dieselbe Sch… an der Oder und der Neiße.

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Über Wolfgang Prabel

Wolfgang Prabel über sich: "Ich sehe die Welt der Nachrichten aus dem Blickwinkel des Ingenieurs und rechne gerne nach, was uns die Medien auftischen. Manchmal mit seltsamen Methoden, sind halt Überschläge... Bin Kommunalpolitiker, Ingenieur, Blogger. Ich bin weder schön noch eitel. Darum gibt es kein Bild." Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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