Linken-Aufstand gegen Wagenknecht

Sahra Wagenknecht sagt, dass Flüchtlinge ihr Gastrecht verwirken, wenn sie es missbrauchen. Dafür wird sie von ihrer eigenen Partei in einer dramatischen Fraktionssitzung niedergemacht. 

Es war ein Satz mit ungeahnter Wirkung. Wegen ihrer Feststellung nach den Silvester-Übergriffen in Köln, „wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“, musste sich Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht nun gegen ungewöhnlich heftige Kritik der von ihr geführten Bundestagsfraktion wehren.

In der Sitzung am Dienstag stellte sich nahezu die gesamte Fraktion gegen sie. Bis hin zur antikapitalistischen Linken hätten sich alle Mitglieder aller Strömungen an den massiven Angriffen gegen die Vorsitzende beteiligt, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Zu den Wortführern der Kritiker sollen unter anderen der dem Reformerflügel angehörenden Jan Korte, Halina Wawzyniak und Jan van Aken gezählt haben. Nur sechs Parlamentarier hätten Partei für Wagenknecht ergriffen. Von einem „einmaligen Vorgang“ war die Rede.

Bartsch vermittelte

Van Aken twitterte, Wagenknechts Aussage sei keine linke Position. Ebenfalls auf Twitter ließ Halina Wawzyniak ihre Anhänger wissen: „In welchem Gesetz steht ,Gastrecht’? Was es nicht gibt, kann auch nicht verwirkt werden. Flucht & Asyl sind Menschenrecht. Unverwirkbar!“

Korte hatte sich Deutschlandfunk deutlich gegen Wagenknecht positioniert. „Soll ich jetzt einen Kriminellen, der zum Beispiel einen syrischen Fluchthintergrund hat, in Assads Folterkeller schicken, um dort die Haft zu verbüßen?“, sagte er und fügte hinzu: „Es ist auch Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass es bestimmte humanistische Mindeststandards gibt, wie über Menschen geredet wird, und dass alle Menschen gleich sind.“ In ähnlicher Art und Weise sollen sich die Mitglieder der Fraktion gegen ihre Vorsitzende gestellt haben.

Teilnehmer berichteten, Wagenknechts-Ko-Vorsitzender Dietmar Bartsch, der ebenfalls dem Reformerflügel angehört, habe sich sehr um einen Ausgleich bemüht. „Er versuchte Emotionen einzufangen und appellierte an die Sachlichkeit in der Debatte“, hieß es. Daraufhin seien beide zugleich angegriffen worden.

Keine „rechte Auffassung“

Wagenknecht räumte die heftigen Angriffe gegen sie ein, sah jedoch keinen Grund für eine Rechtfertigung. „Es hat eine ganze Reihe kritischer Anmerkungen zu dem von gewählten Begriff ,Gastrecht’ gegeben“, sagte sie vor Journalisten in Berlin. Sie habe zur Kenntnis genommen, dass der Begriff für „einige negativ konnotiert“ sei. „Ich glaube aber, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht ist, dass man von Menschen, denen man Schutz gewährt, auch erwarten kann, dass sie die Regeln unseres Landes respektieren“, sagte Wagenknecht. Das sei eine „völlig normale“ und keine „rechte Auffassung“, wie ihr von der Fraktion vorgeworfen worden sei.

„Selbst die Genfer Flüchtlingskonvention besagt doch, dass es einerseits die Verpflichtung gibt, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, und dass andererseits die Flüchtlinge aber auch die Pflicht haben, sich an die Regeln und Gesetze des sie aufnehmenden Landes zu halten“, sagte Wagenknecht. Sie jedenfalls habe feststellen müssen, dass die Ereignisse in Köln erheblich dazu beigetragen hätten, die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen erheblich zu verringern.

„Und das betrifft auch Flüchtlinge, die mit Köln nichts zu tun haben. Und deswegen muss man sich ganz klar von Kriminellen distanzieren, wenn man auch wieder dafür werben möchte, dass schutzbedürftige Menschen in Deutschland auch weiterhin Schutz bekommen. In diesem Sinne war meine Äußerung gemeint“, sagte sie. Im Übrigen drehe sich die Diskussion nicht um Asylsuchende, sondern um Kriegsflüchtlinge. Dies sei während der Debatte in der Faktion immer wieder durcheinandergebracht worden. Das Grundrecht auf Asyl dürfe nicht angetastet werden. Es sei aber inzwischen für einen politisch Verfolgten aus dem Iran viel schwieriger nach Deutschland zu kommen als für einen Kriegsflüchtling aus Syrien.

Acht-Punkte-Erklärung

Sie warf der Bundesregierung eine völlig verfehlte Politik vor. Statt etwa dem türkischen Präsidenten Milliarden hinterherzuwerfen, hätte die Regierung besser daran getan, dieses Geld in die syrischen Flüchtlingslager zu investieren. Nur so könne der Zustrom nach Deutschland begrenzt werden. Seit der Silvesternacht hätte viele Menschen in Deutschland die Befürchtung, dass in Deutschland rechtsfreie Räume entstanden seien. Seit Jahren seien Stellen bei der Polizei abgebaut worden mit dem Ergebnis, dass die Sicherheitsbehörden den Problemen nicht mehr Herr würden. Sie forderte eine Kurskorrektur und die Aufstockung der Dienststellen bei der Polizei.

„Wenn man Menschen aufnimmt, muss man gewährleisten, dass ihre Integration in die Gesellschaft funktioniert“, sagte. Dazu gehöre es etwa, genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Nun entstehe am unteren Ende der Gesellschaft ein Wettbewerb um billigen Wohnraum der zwangsläufig die Mieten nach oben treiben werde. „Auch der Arbeitsmarkt ist nicht unbegrenzt. Wir haben 2,2 Millionen Menschen mit Facharbeiterausbildung, die nichts weiter haben als einen Minijob. Soviel zum immer wieder beklagten Facharbeitermangel in Deutschland.“

Als Reaktion auf Wagenknechts Äußerung verabschiedete die Fraktion eine Acht-Punkte-Erklärung. Darin versicht sie, dass sie auch weiterhin Asylrechts- und Strafrechtsverschärfungen konsequent ablehne. „Für DIE LINKE ist das Prinzip des Rechtsstaats unverhandelbar. Straftaten müssen für alle Menschen die gleichen Rechtsfolgen – unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Äußerem oder Herkunft – haben“, heißt es dort. Die Fraktion sei solidarisch mit Geflüchteten und verstehe sich als parlamentarischer Arm von den Hunderttausenden von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern.

Klage gegen Syrien-Einsatz

In der Erklärung lehnt die Fraktion auch die von Oskar Lafontaine ins Spiel gebrachten Obergrenzen ab: „Die Bundestagsfraktion der lehnt Debatten über Obergrenzen ab. Grundrechte kennen keine Obergrenze“, beschloss die Fraktion einstimmig, wie es hieß. Und: „Wir setzen uns gegen rassistische Stigmatisierung im Nachgang der Kölner Ereignisse ein.“

Wagenknecht kündigte eine Klage der Linken gegen den Syrien-Einsatz der Bundeswehr an. Die Klage stützt sich auf ein Rechtsgutachten des Völkerrechtlers Norman Paech. In seiner Analyse kommt Paech zu dem Schluss: „Die Entsendung der Bundeswehr wäre ein schwerer Verstoß gegen geltendes Völker- und Verfassungsrecht.“ Da die Bundesregierung weder ein Recht aus Artikel 51 UN-Charta noch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats zur kollektiven Selbstverteidigung habe, sind auch die möglichen verfassungsrechtlichen Grundlagen einer Entsendung der Bundeswehr nach Syrien hinfällig.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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