Bernd Lucke im Schatten der AfD

Während die AfD 5000 Demonstranten in Berlin mobilisiert, startet Bernd Luckes neue Partei ALFA die Kampagne „Merkel stoppen“. Aber keiner schaut mehr hin.

Der ganz große Auftritt gelang zwar nicht, denn insgeheim hatte die AfD-Spitze um Frauke Petry auf über 10.000 Demonstranten gehofft. Letztlich folgten etwa 5000 ihrem Aufruf zur Demonstration in Berlin. Immerhin. Dafür hatte sie in den vergangenen Wochen vor allem in den westdeutschen Landesverbänden kräftig geworben. Schließlich sollte die Demonstration gegen die Asylpolitik der Bundesregierung in Berlin der Höhepunkt der AfD-Herbstoffensive sein, die bislang vornehmlich in Thüringen als solche wahrgenommen wurde, wo Björn Höcke seit Wochen immer wieder bis zu 8000 Bürger zu seinen Demonstrationen in die Erfurter Innenstadt lockt.

So richtig freuen mag sich die Parteiführung nicht über dessen Erfolg. Einerseits ist sie zwar froh über die steigenden Umfragewerte, andererseits aber scheut sie seine Beschwörungen deutscher Identität. „Wir wollen keine falschen Signale aussenden“, sagt ein Vorstandsmitglied. Darum stand Höcke als Redner in Berlin auch gar nicht zur Debatte. Wir können auch anders, lautete die Botschaft gen Erfurt. In Berlin wollte die Parteiführung sich selbst und der Öffentlichkeit beweisen, dass sie auch ohne den national-konservativen oder gar völkischen Grundton ihrer ostdeutschen Aufmärsche auskommt.

Die Angst vor dem rechten Stigma

Denn Frauke Petry und die AfD-Führung fürchten nichts mehr, als zu weit rechts verortet zu werden. So war es schon, als Bernd Lucke die Partei noch führte. Lucke hat diese Furcht mitgenommen in seine neue Partei ALFA. AfD und ALFA wollen anders sein, konservativer, doch – um Gottes Willen! – nicht rechts. Aber wie soll das gehen, wenn die AfD nur noch über einen wie Höcke wahrgenommen wird, der mit einer Deutschlandfahne zu Güntner Jauch kommt. Mit ihm ist die AfD unzweifelhaft die Partei rechts von der Union. Was aber ist ALFA? Vor allem: Was will die Partei sein?

Am wenigsten möchte sie das sein, was sie am wenigsten abstreiten kann, nämlich ein Ableger der AfD. Ihre Protagonisten wollen ihre Vergangenheit hinter sich lassen, sie wollen weg von der AfD und suchen ihre Verankerung in der bürgerlichen Mitte vornehmlich dadurch zu belegen, dass sie die AfD in die rechte Ecke stellen. Über diese unablässige Reflexion definieren sie ALFA. Im Grunde leitet die neue Lucke-Partei alles, was sie tut, aus dem Handeln der AfD ab.

Während letztere in der Hauptstadt zum Höhepunkt ihrer Herbstoffensive bläst, startet ALFA eine bundesweite Kampagne „Merkel stoppen!“ Wie die große Schwester neigt auch sie dazu, nach den Sternen zu greifen, dabei hat sie schon genug damit zu tun, sich neben der AfD zu behaupten. Doch der beschauliche Rahmen des Kampagnen-Starts im kleinen schleswig-holsteinischen Norderstedt holt die „Luckianer“ jedoch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Unsere Bekanntheit ist in der Tat ein Problem“

Kaum 50 Interessierte sind zum Kampagnen-Auftakt mit ALFA-Generalsekretärin Ulrike Trebesius ins „Kleine Brauhaus Alter Reporter“ gekommen. Für so wenige reicht der holzvertäfelte Raum im hinteren Teil der Gaststube. Über ihnen schwebt eine alte Diskokugel, umschlungen von künstlichen Weihnachtsschmuck-Gierlanden. Auf einigen Tischen dampft Grünkohl mit Bratkartoffeln. Draußen vor der Tür stehen sich ein Dutzend Demonstranten des Norderstedter Linksbündnisses „Norderstedt ist weltoffen“ die Beine in den Bauch. Nichts, aber auch gar nichts könnte so gedeutet werden, als würde hier große Politik gemacht.

Ulrike Trebesius ist in Schleswig-Holstein zu Hause. Hier hatte sie in den vergangen beiden Jahren den AfD-Landesverband aufgebaut. Jetzt soll sie ALFA als Generalsekretärin bundesweit organisieren. Verglichen mit den Umständen der AfD-Gründung ist das eine unendlich schwierigere Aufgabe. Damals nämlich liefen der damaligen Lucke-Partei während des Bundestagswahlkampfes im Sommer 2013 die Menschen in Scharen zu.

Etwa 100 Tage nach ihrer offiziellen Gründung zählt ALFA heute bundesweit 2500 Mitglieder. Und ihr stellvertretender Vorsitzender Bernd Kölmel räumt ohne Umschweife ein: „Unsere Bekanntheit ist in der Tat ein Problem.“ Kölmel war einst Vorsitzender der AfD in Baden-Württemberg und gilt seither als einer von Luckes engsten Vertrauten. Gemeinsam wurden sie ins Europaparlament gewählt. „Von den vier Prozent, die die Union über die Flüchtlingskrise verlor und die bei der AfD gelandet sind, von denen hätte die Hälfte bei uns landen können, wenn die Menschen uns kennen würden“, sagt Kölmel. Denn, da ist er sich sicher, „die Leute wollen keinen Rechtsruck, sie wollen mehr konservative Politik.“

Wie die genau aussehen soll, bleibt vorerst im Ungefähren. Die Partei arbeitet noch an ihrem Programm. „Wir stehen unter ungeheurem Zeitdruck“, sagt Kölmel. „Wir müssen die Partei aufbauen und uns gleichzeitig auf die Teilnahme an drei Landtagswahlen vorbereiten.“ Beim Parteiaufbau ist ALFA richtig gut. In 13 von 16 Bundesländern hat sie inzwischen Landesverbände gegründet. Freilich gibt es auch Rückschläge. Erst am Freitag, als Lucke den Landesverband Sachsen-Anhalt aus der Taufe hob, brach der Thüringer Landesverband wegen Personalquerelen wieder auseinander. Dafür wurde in Hessen einer gegründet.

ALFA stellt die Höcke-Frage

Mit Mecklenburg-Vorpommern ist Sachsen-Anhalt nun der zweite Landesverband in Ostdeutschland. Im Osten hatten Lucke und seine Anhänger auch zu AfD-Zeiten schon kaum eine Chance gegen die AfD-Landeschefs Petry, Alexander Gauland und Höcke. „Die AfD ist im Wesentlichen eine ostdeutsche Partei geworden“, sagt Lucke. Und als solche sei sie zugleich „der Schmutzfänger auf der rechten Seite“.

ALFA sieht er in der Tradition der CDU der CDU Helmut Kohls. Merkel habe die Union restlos sozialdemokratisiert, sagt Trebesius in Norderstedt. „Wir lösen heute ständig Probleme, die wir ohne Mutti nicht hätten.“ Damit meint sie vor allem die Situation der Flüchtlinge in Deutschland und die Euro-Krise. „Es wäre eine große Erleichterung, wenn wir nach zehn Jahren Kanzlerschaft endlich von dieser unsäglichen Person befreit würden“.

Trebesius kritisiert Innenminister Thoms de Maizière, der an der Bildung sparen wolle. Sie spricht von den „Rückgrat- und Charakterlosen in der Union, die sich wegducken“. Sie fragt, was angesichts der vielen Flüchtlinge aus dem Renten- und Sozialsystem werde. Sie fragt: „Welche Werte wolle wir künftig verteten? Welches Rechtsverständnis?“ Und, ja auch sie stellt die so heftig umstrittene Höcke-Frage nach dem Selbstverständnis der Deutschen angesichts der vielen Migranten: „Welche Identität bewahren wir uns?“ Sprich, wie deutsch kann Deutschland bleiben? Dann setzt sie noch eins drauf: „Und wir müssen uns fragen, ob wir das überhaupt noch fragen dürfen!“ Für solche Sätze, die auch nicht anders klingen als die der AfD, gibt’s ordentlich Applaus.

ALFA kommt von der AfD nicht los. Es ist ihr elementarer Gründungsimpuls, die AfD auszubremsen, deren rechter Parteiflügel Lucke und seine Anhänger auf dem Essener Parteitag im Juli niedergebrüllt und regelrecht davongejagt hatte. Essen war eine entwürdigende Veranstaltung für alle Beteiligten. Während sich die AfD davon inzwischen jedoch weitgehend wieder erholt hat, tragen Lucke und seine Anhänger bis heute schwer daran. Denn obwohl damals rund 2500 Mitglieder Luckes Austritt aus der AfD folgten, zählt seine einstige Partei heute täglich wieder über 50 Neueintritte und hat den Verlust der Lucke-Anhänger mit aktuell 19.000 Mitgliedern längst wieder wettgemacht. Weitere 2000 stehen auf der AfD-Warteliste. In den Umfragen kletterte sie bundesweit von drei Prozent nach dem Essener Parteitag wieder auf acht Prozent, in den Ländern kommt sie in Sachsen gar auf 13 Prozent.

Luckes Geldquellen sprudeln nicht mehr

ALFA hingegen bleibt in den Meinungsumfragen weit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Wenn nach ALFA gefragt wird, denken die Menschen an eine traditionsreiche italienische Automarke, aber nicht an Politik. Darum gibt es nun diese Kampagne, die ALFA sich etwas kosten lässt, obwohl sie sparsam sein muss. Denn mit dem Geld verhält es sich bei ALFA wie mit der öffentlichen Wahrnehmung, es fehlt genau jetzt, wo es so dringend nötig wäre angesichts der anstehenden Wahlkämpfe in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.

„Die AfD profitiert finanziell ganz allein von den maßgeblich durch Bernd Lucke erzielten Wahlerfolgen“, sagt Kölmel. Durch sie kassiert die AfD Zuschüsse aus der staatlichen Parteienfinanzierung. ALFA hingegen muss ohne auskommen und ist allein auf Spenden angewiesen, die herbeizuschaffen, Lucke zunehmend schwerer fällt. Für ihren Bundestagswahlkampf mit dem Spitzenkandidaten Lucke brachte die AfD 2013 immerhin rund drei Millionen Euro auf. Neben den Spenden der Mitglieder gab es großzügige Hilfe des Hamburger Reeders Folkard Edler, der zwei zinsgünstige Kredite über je 500.000 Euro beisteuerte.

Namensstreit vor Gericht

Davon kann ALFA heute nur träumen. „Wir versuchen über das Internet bekannter zu werden“, sagt Kölmel. Sie stellen schlichte Videoclips ins Netz, auf denen etwa Starbatty im Foyer des Europaparlaments über Merkels Flüchtlingspolitik referiert. Angeblich erreichen einzelne Videos bis zu 60.000 Zugriffe. Wenn das tatsächlich so sein sollte, müsste die Partei sich fragen, warum diese Zugriffszahlen weder bei der Mitgliederwerbung noch in den Umfragen etwas bewirken.

Zu allem Überfluss hängt der Partei dann auch noch der Rechtsstreit um ihren Namen wie ein Mühlstein um den Hals. Die Aktion Lebensrecht für alle (ALfA) macht ihr den Namen streitig. Inzwischen liegt die Sache in der Hauptsache beim OLG München. Wann entschieden wird, ist unklar. Aber gerade diese Ungewissheit macht es der Partei nicht leichter.

All das hat auch Lucke verändert. Er ist nicht mehr der Hansdampf, der sich nach überraschenden Wahlerfolgen mit schmaler Brust den Kameras in den Weg stellt und den Oberlehrer in Sachen Europa und Euro gibt, um dann auf Nachfragen gerne auch mal Belehrungen zu erteilen, statt Antworten zu geben. Er wirkt bescheidener, leiser, kurz: zurückgenommener als früher Selbst wenn er wollte, könnte er so nicht mehr auftreten, denn die öffentliche Aufmerksamkeit ist ihm nicht gefolgt. Sie ist bei der AfD geblieben.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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