„Man will keine Kritik hören“

Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper trat im Streit über die Flüchtlingspolitik aus der SPD aus. Er beschreibt verheerende innerparteilicher Zustände.

Der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper gab unter spektakulären Umständen im Streit über die Flüchtlingspolitik sein SPD-Parteibuch zurück. Er tat dies am Tag der ersten AfD-Demonstration in Magdeburg. Im Interview erläutert er seine Gründe:

Herr Trümper, Sie gehören zum Urgestein der SPD in Sachsen-Anhalt. Nun sind Sie im Streit um die Asyl- und Flüchtlingspolitik Sie überraschend aus der SPD ausgetreten. Warum?

Lutz Trümper: Es gibt einen Konflikt mit der Landes-SPD. Der hat sich am Freitag und Samstag der vergangenen Woche zugespitzt, weil die Landesvorsitzende Katrin Budde eine Pressemitteilung herausgegeben hat. Darin schreibt sie: Wenn der Ministerpräsident ihre Formulierung nicht mitträgt, wonach wir in den kommenden Jahren jeweils 30.000 Flüchtlinge aufnehmen können, dann werde die SPD dem Nachtragshaushalt nicht zustimmen.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Trümper: Ich habe Einspruch erhoben, weil letztlich die Kommunen die Folgen dieses Erpressungsversuches hätten tragen müssen. Die Städte und Gemeinden würden nämlich ihr Geld nicht bekommen, was sie dringend brauchen, um unter anderem die Flüchtlingsversorgung zu finanzieren. Außerdem habe ich gesagt, dass die Summen des Nachtragshaushaltes sowie schon nicht ausreichen.

Um welchen Betrag ging es?

Trümper: Das sind die 2,6 Milliarden Euro, die am 24. September in Berlin zwischen Bund und Ländern ausgehandelt worden sind. Die wurden einfach so in die Landeshaushalte übertragen. Jeder weiß jedoch: Bei einer Million Flüchtlinge pro Jahr und 10.000 Euro Kosten pro Flüchtling müssten eigentlich zehn Milliarden Euro in den Haushalten stehen. Das heißt, mit den uns zu Verfügung stehenden Mitteln schaffen wir es nicht, die notwendigen Integrations- und Unterbringungsmaßnahmen zu realisieren.

Aber ist ein Streit in der Sache gleich ein Grund, die Partei zu verlassen?

Trümper: Nein, natürlich nicht.

Warum also haben Sie dann Ihr Parteibuch zurückgegeben?

Trümper: Es gab ein Gespräch unter uns in der SPD, in dem mir mehrfach signalisiert worden ist, dass ich der Spitzenkandidatin im anstehenden Landtagswahlkampf erheblich schade, wenn ich weiterhin diese meine Meinung öffentlich äußere.

Was heißt „unter uns“?

Trümper: SPD-Leute, Kommunalpolitiker und die Landtagsfraktion und Frau Budde. Die SPD-Kommunalpolitiker in Sachsen-Anhalt hatten dazu eingeladen.

In dieser Runde wurde Ihnen der Mund verboten?

Trümper: Mir wurde nahegelegt, meine Meinung in der Flüchtlingsfrage nicht mehr zu sagen. Ich solle das unterlassen.

War diese Forderung mit einer Drohung verbunden?

Trümper: Ich habe aus dem Gespräch den Eindruck gewonnen, dass ich am Ende die Schuld dafür zugeschoben bekomme, wenn die Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl schlecht abschneiden sollte. Ich habe in der Runde klar gesagt, dass ich das anders sehe: Meiner Meinung nach schade ich der SPD, wenn ich die Sorgen der Menschen nicht mehr anspreche. Da ich aber nicht ein halbes Jahr bis zur Wahl schweigen kann, hatte ich nur die Wahl, die Partei zu verlassen, damit ich nicht vor mir selbst in die Knie gehen und meine Meinung verschweigen muss.

Wer genau hat Ihnen den Mund verboten?

Trümper: Frau Budde hat mir nicht explizit den Mund verboten. Aber letztlich wirkt das, was sie von mir verlangt, genau so.

Wie haben sich die anderen verhalten?

Trümper: Die Landespolitiker haben Frau Budde zugestimmt.

Und die Kommunalpolitiker?

Trümper: Die haben sich unterschiedlich verhalten.

Was haben Sie in dem Moment empfunden?

Trümper: Ich war befremdet. In Parteigremien ist man immer der Auffassung, dass Konflikte intern und nicht öffentlich ausgetragen werden. Aber ich kann überhaupt nicht verstehen, dass man ein so zentrales Thema unter den Tisch kehren und nicht darüber sprechen will. Und im Wahlprogramm der SPD, das am Samstag beschlossen werden soll, steht zum Thema Asylpolitik bisher nur ein kleiner Absatz drin, das sind ein paar Sätze zur Willkommenskultur im Abschnitt Kulturpolitik. Ansonsten wird das Thema nicht aufgegriffen, und das halte ich angesichts der Bedeutung des Themas nicht für angemessen.

Haben Sie etwas Vergleichbares in Ihrer politischen Karriere schon einmal erlebt? Wenn nicht selbst, vielleicht bei anderen?

Trümper: Im März dieses Jahres ist man das erste Mal auf mich zugekommen. Da habe ich auf einem Parteitag in einem Grußwort etwas zur Wirtschaftspolitik gesagt. Die Delegierten haben mir applaudiert, aber hinterher hieß es von Frau Budde, ich hätte ihr mit meiner Äußerung geschadet.

Warum will denn die SPD nicht über die Flüchtlinge sprechen?

Trümper: Das betrifft nur die Landes-SPD. Mit den Aussagen des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und des Außenministers Steinmeier kann ich mich sehr wohl identifizieren. Warum die Landes-SPD hier ganz anders redet, kann ich Ihnen nicht sagen. Vielleicht ist es so, weil Linke und Grüne immer wieder behaupten, derjenige, der immer wieder auf die Probleme hinweise, spiele den Rechten in die Hände. Meiner Ansicht nach ist das falsch. Im Gegenteil: Wenn man das Thema verschweigt oder behauptet, wir können alle aufnehmen, dann treibt man die Menschen auf die Straße und in die Arme der Rechten.

Hat sich die SPD verändert?

Trümper: Es gibt die Situation, dass diejenigen, die schon mal eine kritische Meinung haben, diesen nicht mehr offen aussprechen. Das wurde etwa vor 14 Tagen auf dem Parteitag deutlich, auf die Landesvorsitzende Katrin Budde wiedergewählt wurde. Obwohl es keine Kritik an ihr gab, hat sie dann im geheimen Wahlgang nur 78 Prozent der Stimmen bekommen. Und das angesichts des anstehenden Wahlkampfes. Die Kritik zeigte sich anonym in der Stimmabgabe.

Das ist doch ein Desaster für eine demokratische Partei.

Trümper: Es stimmt die Kommunikationsstruktur nicht mehr. Man will diejenigen, die kritisch sind, nicht mehr hören.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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