Wie die AfD ihr Wahl-Volk findet

Die AfD braucht den Mainstream nicht. Sie hat ihren eigenen politischen Raum, in dem sie gegen eine linke Deutungshoheit mobilisiert. Die stille Wiederkehr einer Partei.

Wochenlang schien die AfD wie von einem schwarzen Loch verschluckt. Überall wurde über die Flüchtlingsfrage rauf- und runter debattiert. Nur die AfD tauchte nicht auf, ausgerechnet jene Partei, die in ostdeutschen Wahlkämpfen erfolgreich „Wir sind nicht das Weltsozialamt“ plakatiert hatte. Einzig AfD-Vize Alexander Gauland zog kurzzeitig die Aufmerksamkeit auf sich, als er vorschlug, das Asylrecht auszusetzen.

Hatte die AfD etwa die Lust an der politischen Auseinandersetzung verloren? War sie nach dem über ein Jahr dauernden Machtkampf zwischen Petry und Bernd Lucke und der folgenden Spaltung auf dem Essener Parteitag im Juli noch nicht wieder zu Kräften gekommen?

Nein, sie war nur sehr mit sich selbst beschäftigt, musste die Reihen schließen, ihre innere Balance und den Weg zum Wähler wiederfinden. Und das scheint ihr gelungen zu sein, denn die Partei rückt wieder ins politische Bewusstsein der Republik zurück. In einer aktuellen Umfrage kommt die AfD in Sachsen heute auf 13 Prozent der Stimmen und zieht mit der SPD gleich. In Erfurt folgen 5000 Menschen dem Aufruf von AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzen Björn Höcke  zur Demonstration gegen die  Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.

„Zur Lage der Nation“

Kein Wunder, dass ihr früherer Chef Bernd Lucke, der mit seiner Alfa-Partei einen Landesverband nach dem anderen gründet, sich zum Angriff genötigt sieht. „Die AfD ist der Schmutzfänger auf der rechten Seite“, sagt er. Außerdem mutiere sie von einer aus dem westdeutschen Bildungsbürgertum heraus gegründeten Partei mit zugespitzten rechten Thesen zu einer reinen Ost-Partei.

Lucke verweist zu Recht darauf, dass die AfD nicht nur in Sachsen gut dasteht. In Thüringen kommt sie auf immerhin neun Prozent, in Brandenburg auf sieben Prozent, und in Sachsen-Anhalt kämpft sie um die Fünf-Prozent-Marke. Nur in Mecklenburg-Vorpommerin blieb sie bisher darunter.

Im Westen sieht es hingegen ganz anders aus. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg, wo sie bei fünf Prozent taxiert wird, kann die AfD in derzeit in keinem westdeutschen Bundesland auf den Einzug in einen Landtag hoffen. Aktuelle Umfragen sehen sie in Niedersachsen und im wichtigsten, weil einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen bei drei Prozent. In Berlin und Bayern kommt die AfD gar nur auf zwei Prozent.

Wer sich diese Ergebnisse vor Augen hält, dem wird schnell klar, woher der zweimalige Anstieg um einen Punkt auf heute fünf Prozent im Politbarometer kommt. Angesichts der Zahlen im Westen können, wie Lucke sagt, für diesen Zuwachs wohl nur die hohen Zustimmungswerte in Ostdeutschland verantwortlich sein. Aber ist auch sein Schluss richtig, der AfD deshalb im Westen praktisch alle Chancen abzusprechen?

Lucke weiß besser als jeder andere, dass die AfD anders funktioniert als die etablierten Parteien. Ihre tatsächliche Mobilisierungsfähigkeit ist nur schwer in Umfragen zu messen oder daran, wie häufig sie in den Medien erwähnt wird. Ähnlich wie die radikale Linke funkt die AfD ihre wichtigen Signale unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle. Offene und geschlossene parteiinterne Diskussionsforen im Internet und in den sozialen Medien spielen dabei eine ebenso große Rolle wie Veranstaltungen an der Basis. Wer da genau hinschaut, erfährt einiges über die Gefühlslage der Partei und darüber, wie sie intern Politik vermittelt.

Beispielhaft hierfür ist der Blick in den Vortrag „Zur Lage der Nation“, den der stellvertretende Vorsitzende Albrecht Glaser jüngst im beim AfD-Sommerfest in Gießen hielt und der derzeit im Netz kursiert. Darin spannt Glaser einen Bogen vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation als „große mitteleuropäische Ordnungsmacht, welche die eigenständige Entwicklung des Kontinents gesichert hatte“ bis hin zur heutigen Flüchtlingskrise, die Deutschland im Kern bedrohe. Es ist ein Vortrag wider den „linken Geist“, der die Deutungshoheit über den Lauf der deutschen Geschichte beanspruche und dieser Tage katastrophale Entwicklungen einleite: „Aus Berlin kann man leicht Bagdad machen, nicht aber aus Bagdad Berlin“, so Glaser.

„Verzagte und Realitätsverweigerer“

Diesen Geist hörte Glaser bereits auf dem Hambacher Jubiläum 1982 im Postulat des „Großhistorikers Hans Mommsen“:

„Die Nation ist tot. Es lebe die Region.“

Mommsen sei bereits damals durch „valide Meinungsforschungsstudien der Allensbach-Forscherin Noelle-Neumann“ widerlegt worden. Und er hörte diesen Geist nun etwa in den Nachrufen auf den „dieser Tage zum Staatsmann erhobenen Egon Bahr, der als Journalist in Geheimgesprächen 1972 in Moskau mit sowjetischen Experten den seinerzeit hoch umstrittenen völkerrechtlichen ,Ostvertrag’ ausgehandelt hatte“.

Überhaupt, die SPD. Zielsicher legt Glaser den Finger in eine noch immer klaffende Wunde der Sozialdemokraten:

„Diese SPD traf sich im Sommer 1989 zu einer Vorstandssitzung in Berlin um darüber zu beraten, ob die Wiedervereinigung als Ziel sozialdemokratischer Politik aus der Satzung gestrichen werden sollte. Man war in dieser Richtung übereingekommen, als sich die Signale verstärkten, dass der Zusammenbruch des imperialen Sowjetsystems auch Auswirkungen auf den SED-Staat haben könnte.“

Und weiter:

„Hans Eichel setzte noch einen drauf. Als sich die Grenze öffnete und die Mauer fiel, ließ der damalige Oberbürgermeister von Kassel, spätere Ministerpräsident und Bundesfinanzminister, Flugblätter drucken mit der Aussage: ,Wer jetzt von Wiedervereinigung redet, gefährdet den Weltfrieden.’“

Die Botschaft seiner Worte ist unmissverständlich: Wer mag solchen Leuten vertrauen?

So subsumiert Glaser die Altparteien und deren Anhänger in die „Gemeinschaft der Ahistorischen, der Verzagten und der Realitätsverweigerer“ und wehrt sich mit Nachdruck dagegen, die Flüchtlinge der beiden Weltkriege mit denen zu vergleichen, die heute  ins Land strömen.

„Nahezu alle waren ,Deutsche’ i. S. des Art. 116 GG. Das heißt, sie hatten die deutsche Staatsangehörigkeit oder waren ,deutscher Volkszugehörigkeit’, wie die Verfassung der Bundesrepublik formuliert.“

Und er lässt keinen Zweifel daran, dass das deutsche Wirtschaftswunder seiner Ansicht nach „auf dem Gewerbefleiß, dem Ausbildungsniveau und der kulturellen Identität dieser Landsleute“ beruhte. Glaser:

„Hinweise oder gar Vergleiche der sich in diesen Monaten dramatisch zuspitzenden Situation völlig chaotischer Immigration mit dem angedeuteten Geschehen der Nachkriegszeit entbehren daher jeder Grundlage.“

Mit der Polit-Oligarchie in die Katastrophe

Über die heute vielbeschworene Willkommenskultur sagt er: „Im Gegensatz zur öffentlich gezeigten Euphorie, zu deren Erzeugung alle Register medialer Manipulation eingesetzt werden, sagt der gesunde Menschenverstand allen, die über einen solchen verfügen, dass dieses Land von der herrschenden politischen Oligarchie in eine Katastrophe geführt wird.“ Andere Sichtweisen würden „stigmatisiert und tabuisiert und die Menschen, die sie äußern, werden diskriminiert“.

Ihm jedenfalls sei nicht klar, wie die Kanzlerin sagen könne: „Wir schaffen das schon.“ Glaser:

„Sie redet von ,Integration’. Was immer das meint bei kulturellen Differenzen, bei Analphabetismus, bei Krankheit, bei Kriminalität, bei Terrorismus.“

Schon die Lage der bereits seit langem in Deutschland lebenden Migranten, solche mit deutscher Staatsangehörigkeit eingeschlossen, sei deprimierend. 42 Prozent hätten keinen beruflichen Abschluss, über 13 Prozent hätten nicht einmal einen Schulabschluss. Von den ausländischen Erwerbslosen hätte ca. 60 Prozent keine abgeschlossene Ausbildung. Glaser fragt sich, wie das möglich sein könne „bei dem hiesigen Bildungsangebot neben Schule wie Alphabetisierungskurse, Jugendintegrationskurse für solche, die einen besonderen sprachpädagogischen Förderbedarf haben, Eltern- und Frauenintegrationskurse usw.“

Der Merkel-Satz „Wir schaffen das!“ sei eine Absurdität, „die ihresgleichen nicht findet, es sei denn, man denkt an ähnliche Aussprüche der Kanzlerin zum Euro als Wohlstandsbringer, zum Ausschluss der Schuldenhaftung für fremde Staaten, zum vorübergehenden Charakter des ESFS, zum Erfolg des Stabilitäts- und Wachstumspakts, zur Energiewende, zum Friedens- und Freundschaftscharakter aller EU-Staaten, zur Stärke der EU in der Welt, zur Beherrschung der Klimakatastrophe und zum Mann im Mond.“

In Glasers Vortrag steckt das gesamte Weltbild jener westdeutscher Bildungsbürger, die lange in der CDU eine Heimat fanden, und diese erst mit der als neoliberal, prinzipienlos und vor allem ohne Bezug zu christlichen Werten und „dem deutschen Volk“ empfundene Politik von Angela Merkel freiwillig aufgaben. Der Begriff des „deutschen Volkes“, um den sich mehr oder weniger deutlich ausgesprochen auch Glasers Vortrag dreht, ist die vielleicht wichtigste Klammer in der AfD. Vor allem, was die Bindung zwischen Ost und West angeht, also zwischen den national sozialisierten Ex-DDR-Bürgern und jenen im Westen, für die „Made in Germany“ immer mehr als nur ein Qualitätssiegel für den Export war.

„Die Bundeswehr an die deutsche Grenze!“

Mit dem Volks-Begriff geht die AfD zugleich auf größtmögliche Distanz zu allen anderen politischen Angeboten. „Wir haben als Volk ein Recht auf eine Zukunft. Und wir werden uns dieses Recht nicht von einer durchgeknallten Pseudoelite nehmen lassen“, sagt etwa Thüringens AfD-Landeschef Höcke auf eine Frage der rechtskonservativen Zeitschrift „Sezession“ zu seiner Demonstrationen gegen den „Asylwahnsinn“. Der „geistige Nährboden der Pseudoelite“ sei ein „zur Selbstauflösung strebender Humanitarismus und Hypermoralismus“, so Höcke. Darin ist er sich mit dem von seiner Partei geächteten Sozialdemokraten Thilo Sarrazin einig, der in der AfD übrigens hoch angesehen ist. Sarrazin formulierte es freilich etwas handfester: „Deutschland schafft sich ab.“ Damit hat er, lange bevor es die AfD gab, deren eigentliches Gründungsmotiv zwischen zwei Buchdeckel gepresst, nämlich die Angst vor dem Verlust von Wohlstand, sozialer Sicherheit und nationaler Identität.

Im sarrazinschen Sinne beschreibt Höcke den Flüchtlingsstrom nach Deutschland den auch als „Invasion, also ungefragtes Eindringen“ und fordert den Staat auf, „seine Souveränität, also auch sein Staatsgebiet“ zu verteidigen. Dazu müsse die Bundeswehr ran. „Ich möchte sie an der deutschen Grenze sehen“, sagt der AfD-Landesvorsitzende und reicht nun ganz offiziell Pegida-Chef Lutz Bachmann die Hand, weil der jetzt nämlich auch eine Partei gründen will.

„Bevor er wirklich zur Tat schreitet, sollte Herr Bachmann vielleicht nochmal mit mir reden. Ich würde mich über ein Gespräch freuen“, Höcke. Auch Sachsens AfD-Generalsekretär Uwe Wurlitzer lobt Pegida als „wichtige und richtige Bürgerbewegung“ und bedauert, dass daraus nun eine Partei werden soll. „Dies ist schade und birgt das Risiko, wichtige Dresdner Wählerstimmen nicht für die AfD einbringen zu können.“

Nein, die AfD war nie weg. Sie hat sich ihren eigenen Raum geschaffen in den Foren und Versammlungen der Enttäuschten, Besorgten und Wütenden. Dort kämpft sie gegen „flächendeckende Willkommenstrunkenheit“ (Höcke). Man könnte auch sagen, um Volk und Vaterland.

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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