AfD fürchtet Bedeutungslosigkeit

Der neue AfD-Vorstand sorgt sich um die Wahrnehmung der Partei. In der politischen Debatte kommt sie kaum mehr vor. Kann eine „Herbstoffensive“ zu den Themen Asyl und Euro das ändern?

Ein bisschen ist es so, als beginne die AfD noch einmal ganz von vorn. Personell tat sie dies schon auf dem Parteitag im Juli Essen, als sie radikal mit ihrem Gründer Bernd Lucke brach. Aber nun spürt sie selbst, wie dringlich es ist, diesen Bruch programmatisch und inhaltlich zu erklären. Was folgt daraus? Was heißt das alles für die Mitglieder, was für die Wähler?

Inzwischen hat der neue Vorstand seine Arbeit aufgenommen, und es ist vieles in Bewegung. Als sich der Vorstand jüngst zu einer seiner ersten Sitzungen traf, war auch einer dabei, der dem Vorstand gar nicht angehört. Marcus Pretzell, der gerade erst als Vorsitzender des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im Amt bestätigt wurde, trug grundsätzliche Gedanken zur Zukunft der AfD vor. Hinterher hieß es, Pretzells Ausführungen seien vom Vorstand durchaus wohlwollend aufgenommen worden. Wer könnte auch schon etwas dagegen haben, wenn sich der Vorsitzende des größten Landesverbandes angesichts der im Frühjahr anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt Gedanken darüber macht, wie seine Partei dort erfolgreich abschneiden kann?

„Ein kraftvolles Lebenszeichen“

Nicht ganz so wohlwollend registrierte dann jedoch das eine oder andere Vorstandsmitglied, das wohl erwartet hatte, Pretzell würde im Anschluss an seinen Vortrag gehen und den Vorstand sein Arbeit machen lassen, wie dieser sich ganz selbstverständlich setzte, um zu bleiben. Mit dieser von verschiedenen Seiten kolportierten Geschichte macht auch das Gerücht die Runde, die neue Vorsitzende Frauke Petry wolle Pretzell als kooptiertes Mitglied nachträglich in den Vorstand aufnehmen, was wiederum sogleich Ansprüche aus anderen Bundesländern hervorrief, dann müssten alle Landesvorsitzenden aufgenommen werden.

Was immer auch daraus werden mag, so erhellt die Geschichte doch anschaulich was die Partei seit dem Sturz von Bernd Lucke Anfang Juli auf dem Essener Parteitag heute im Innersten bewegt. Zum einen stecken die Funktionäre der Nach-Lucke-Ära ihren Macht- und Einflussbereich ab, zum anderen sucht die Partei händeringend nach Konzepten, die verhindern, dass sie in den Wirren der Flüchtlingspolitik unterhalb der medialen Wahrnehmungsschwelle bleibt.

Nicht nur Pretzell hat sich darüber Gedanken gemacht, auch aus den anderen Bundesländern kommen Vorschläge. Entstanden ist daraus ein Vorstands-Papier mit der sinnigen Überschrift „Herbstoffensive 2015“, das der „Welt“ vorliegt und in dem die AfD-Spitze von der „Notwendigkeit eines kräftigen Führungsimpulses von oben“ schreibt, „der die Partei zu einer großen Gemeinschaftsaufgabe ruft, und zwar zu einer sehr basisnahen Kraftanstrengung, an der sich jeder beteiligen kann“. Wörtlich: „Dazu braucht es bundesweit und in allen größeren Orten Deutschlands ein kraftvolles und glaubhaftes Lebenszeichen der AfD.“

Raus auf die Straße

Nach den Plänen des Vorstands soll dieses „Lebenszeichen“ eine „großangelegte bundesweite 8-wöchige Infostandkampagne“ sein. Inhaltlich wird es vor allem um AfD-Kernthemen wie den Euro und die Asylpolitik gehen. Aufgreifen wird die Kampagne aber auch die Themen Energie, soziale Marktwirtschaft und Familie.

Erst im Juni hatte die thüringische AfD-Landtagsfraktion unter der Leitung ihres Vorsitzenden Björn Höcke ein Asylpapier vorgelegt, das allerdings andere Akzente setzt als das Vorstands-Konzept. Unter anderen habe die AfD-Spitze Kriterien für eine Klassifizierung sicherer Drittstaaten festgelegt. Am Montag will die Parteiführung das Konzept in Berlin vorstellen.

Höcke hatte in seinem Papier mit dem Titel „Den Herausforderungen konstruktiv begegnen: Positionspapier der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag zur Flüchtlings-, Asyl- und Einwanderungspolitik“ radikale Ansätze formuliert. Dazu gehört etwas die Kernforderung, Asylverfahren künftig bereits vor der Einreise nach Deutschland im Ausland durchzuführen. Es gehe darum, den „anarchischen Zustrom von Migranten nach Europa“ zu regulieren, schrieb die Thüringer AfD.

Eine deutliche Entlastung der Bundesrepublik sei nur dann zu erzielen, wenn die Asylverfahren „weitestgehend auf einen Zeitpunkt vor der Einreise ,verlagert‘ würden“. Wörtlich heißt es bei Höcke: „Dies wäre durch die Einrichtung von Aufnahme- und Asylverfahrenszentren zum Beispiel in stabilen südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers und des Nahen Ostens möglich.“

Nur Gauland dringt durch

Im Übrigen handele es sich bei einer solchen Vorgehensweise um eine „humanitäre Maßnahme“, da den Flüchtlingen schließlich die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer erspart bleibe. Außerdem würden nach Ansicht der thüringischen AfD-Fraktion „dem inhumanen Menschenhandel der Schleppernetzwerke wirksam der Boden entzogen“. Es sei dann Aufgabe der EU, vor Ort „eine menschenwürdige Unterbringung sowie rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze“ sicherzuerstellen.

Wörtlich schreiben die Thüringer: „Ähnlich der australischen Praxis sollten auf dem Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge nicht nach Europa gebracht werden. Vielmehr sollten sie direkt in Aufnahme- und Asylverfahrenszentren in EU-Anrainerstaaten zurückgeführt werden. Auf diese Weise würde die EU die Praxis beenden, den Schleppern einen Teil ihrer Arbeit abzunehmen. Zudem würde es ein deutliches Signal geben, dass illegale Einwanderung nach Europa nicht zum gewünschten Ergebnis – den dauerhaften Verbleib in Europa – führt.“

Vieles von dem, was die Thüringer vorschlagen, ist in der AfD inzwischen Konsens. So forderte das AfD-Vorstandsmitglied Paul Hampel dieser Tage die Einrichtung von Aufnahmelagern für Asylbewerber in ihren Heimatländern. „Dass die Bundesregierung nun klammheimlich und geradezu verschämt das EU-Projekt eines solchen Lagers in Niger unterstützen will, ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Allerdings ist es scheinheilig, das Lager ‚Transitzentrum‘ zu nennen, denn es verschleiert den eigentlichen Zweck dieser Einrichtung. Die Asylbewerber sollen nämlich dort von der Weiterreise abgebracht werden“, sagte Hampel.

Breitere öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr indes nur der Vorschlag des stellvertretenden Parteivorsitzenden Alexander Gauland. Er forderte, das Asylrecht komplett auszusetzen, wenn die Zahl von einer Million Flüchtlingen in Deutschland überschritten werde. „Das deutsche Asylrecht funktioniert in der bestehenden Form nicht mehr. Es wurde für einen derartigen Flüchtlingsstrom, wie wir ihn derzeit erleben, nicht geschaffen“, sagte er.

Motivation für AfD-Mitglieder

Indem sie ihre Vorstellungen zur Flüchtlingspolitik und zum Euro auf die Straße trägt, erhofft sich die AfD aber nicht nur mehr öffentliche Aufmerksamkeit, sie will damit auch in die Partei hineinwirken. Denn nach dem selbstzerstörerischen Führungsstreit zwischen Petry und Lucke fühlen viele Orts- und Kreisverbände seit langem sich selbst überlassen. Ihrer Motivation für die politische Arbeit ist das nicht eben zuträglich.

„Sobald der Einzelne nicht mehr das demotivierende Gefühl hat, irgendwo auf einsamem Posten für die AfD einen einsamen Kampf zu führen, sondern sich als Teil einer starken, großangelegten und kraftvollen Kampagne fühlen kann, vervielfacht sich die Motivation und damit auch die Mobilisierbarkeit“, schreibt der Vorstand dazu in seinem Papier zur „Herbstoffensive“.

„Selbstorganisierte kleine vierköpfige Infoteams“ sollen im Rahmen dieser Offensive entweder jeden oder jeden zweiten Samstag in frequentierten Fußgängerzonen Infostände aufbauen. Nach ersten Schätzungen könnte die Aktion bis zu 150.000 Euro kosten. Widerstände gegen das Vorhaben gibt es offenbar nicht. Denn alle wissen: Wie bei der FDP hängt das Schicksal der AfD an ihrem Abschneiden bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden Frühjahr. Will heißen: In nur einem halben Jahr muss die AfD ihr Image neu polieren. Ob es ihr gelingt?

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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