Wer stoppt Angela Merkel?

SPD-Mann Thorsten Albig schlägt Angela Merkel als ewige Kanzlerin vor. Widerspruch gab es kaum. Doch in der CDU und im Unternehmerlager brodelt es. Grund ist die Euro-Politik.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Thorsten Albig (SPD) ist halt eine ehrliche Haut, und jetzt schauen alle etwas betreten drein. Dabei hat er doch nur gesagt, was offensichtlich ist: Angela Merkel als Kanzlerin macht die beste sozialdemokratische Politik, die Deutschland je hatte, warum sollte man das durch einen eigenen Kanzlerkandidaten ändern wollen.

In einem Interview mit dem NDR[1] sagte Albig zwar, er habe keinen Zweifel, dass Sigmar Gabriel es exzellent machen werde. Aber er glaube, dass es schwer sei, gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu gewinnen. „Ich glaube, sie macht das ganz ausgezeichnet – sie ist eine gute Kanzlerin.“ Das müsse man zur Kenntnis nehmen und es mache auch keinen Sinn, „sich da jetzt jeden Tag ein Beißholz zu nehmen und da weinend reinzubeißen.“

Bruchlinie in der CDU?

Dass sich die SPD-Genossenschaft in ihrer großen Mehrheit darüber nicht freut, ist verständlich. Aber auffällig ist doch der eher lahme Widerspruch. Albig wird von den Genossen nicht unbedingt verbal zerfetzt und als Verräter bezeichnet. Vielmehr weist ihn sogar der Parteilinke Ralf Stegner, der sonst durchaus zubeißen kann und nicht nur, wenn es um den politischen Gegner geht, nur milde darauf hin, dass es immer der Ehrgeiz der SPD sein müsse, das Kanzleramt zu führen[2]. Ein wirklicher Streit unter Genossen, das weiß man, sieht anders aus und hört sich auch anders an.

Aber eigentlich müssten in Teilen der CDU jetzt die Alarmglocken schrillen, vor allem in dem Teil der CDU, den man als wirtschaftsnahen, liberal-konservativen Flügel bezeichnen könnte. Wenn ein SPD-Ministerpräsident die Regierungsarbeit Merkels derart lobt und ihr Weiterregieren als Kanzlerin fast schon herbeisehnt, ist das ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Sozialdemokratisierung der CDU in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat.

Mit der Politik Angela Merkels, denkt man an Sachverhalte wie die Energiewende oder die Flüchtlingsfrage, kann der Koalitionspartner SPD durchaus gut leben. Gerade hat sich das CSU-Thema „Betreuungsgeld“, das weder in der CDU noch in der SPD sehr populär war, über das Bundesverfassungsgericht erledigt. Und selbstverständlich ist die Euro-Rettungspolitik der Kanzlerin kein Konflikt-Thema, auch wenn die SPD lieber heute als morgen die Geldschleusen für Griechenland noch viel weiter öffnen würde. Doch alles in allem ist man in der SPD zufrieden, denn auch die Genossen sind der Meinung: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.

Aber genau in Bezug auf diese ungeheuerliche Politik der immer dauerhafter werdenden Rettungspakete, die jedes Budgetrecht in jedem der Euro-Rettungsstaaten schlicht unterläuft, scheint es eine deutliche Bruchlinie in der CDU zu geben, die, sollte sie endgültig aufreißen, zu einem grundsätzlichen Konflikt innerhalb der CDU führen könnte.

Vaatz will Klagen

Gegen die Aufnahme neuer Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland, das es laut Aussage der Regierung noch vor wenigen Wochen eigentlich niemals geben sollte, haben überraschend viele Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion gestimmt: 60 Nein-Stimmen, 5 Enthaltungen. Natürlich hätte die Kanzlerin auch bei einem größeren Widerstand in ihrer Partei immer die Möglichkeit, sich die Mehrheiten im Bundestag zu holen, eine Opposition findet in Deutschland zur Zeit nicht statt.

Trotzdem wird jeder Kanzler, der in einer so zentralen europapolitischen etwas mehr als ein Fünftel der Abgeordneten seiner eigenen Partei nicht mehr hinter sich hat, aufhorchen müssen. Schließlich ging es nicht um die endgültige Verabschiedung eines „Pakets“, sondern nur erst einmal um die Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen darüber.

Schlicht untergegangen in den hektischen Nachrichten der letzten Wochen ist z. B. die Meldung vom 21.7.2015, in der berichtet wird, dass der Unions-Fraktionsvorsitzende Arnold Vaatz das Bundesverfassungsgericht einschalten will. Bis jetzt haben auch andere Klagen vor dem BVerfG nicht viel genutzt, doch zeigt es den Grad der Verbitterung innerhalb der CDU-Fraktion deutlich an[3]:

„Der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, Arnold Vaatz (CDU), erwägt im Falle neuer Milliarden-Hilfen für Griechenland eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. ,Ich sehe nicht, dass die Systemstabilität der Euro-Zone durch ein Ausscheiden Griechenlands gefährdet würde’, sagte Vaatz der Zeitschrift ,Super Illu’.

Nach den Regeln des Euro-Rettungsfonds ESM muss für ein Kreditprogramm ,ein Risiko für die finanzielle Stabilität der Euro-Zone als Ganzes oder für ihre Mitgliedstaaten’ bestehen. Ohne weitere Hilfen droht Griechenland das Ausscheiden aus der Euro-Zone.

Hilfen aus dem ESM dürften nur nach den festgeschriebenen Kriterien gewährt werden, mahnte Vaatz. Werde im Fall Griechenland dagegen verstoßen, müsse dagegen vorgegangen werden, sagte Vaatz. ,Das dürfen wir zum Wohle Europas nicht hinnehmen, weil es die Währung, aber auch die EU insgesamt destabilisieren würde.’“

Wann informiert man die Bürger?

Mit seiner Kritik am Missbrauch des ESM für weitere Transferzahlungen an Griechenland steht er nicht allein. Auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann denkt an eine Verfassungsklage gegen ein eventuelles drittes Hilfspaket. Der CDU-Abgeordnete Christian von Stetten, der Vorsitzende des Parlamentskreis Mittelstand der Unions-Bundesfraktion (PKM), weist auch neben der fehlenden Systemrelevanz auf die geringe Schuldentragfähigkeit Griechenlands hin, die eine Unterstützung durch den ESM verbietet[4]:

„Weder die Systemrelevanz Griechenlands noch die Schuldentragfähigkeit ist nachgewiesen“, sagte der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion im Bundestag. Wenn sich die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten jedoch ,über diese klare Regel hinwegsetzt, weiß ich auch keinen Rat mehr’. Von Stetten unterstrich daher auch, dass der von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgeschlagene Grexit auf Zeit weiter eine Option sein müsse.“

Für den ESM sind feste Regeln vorgegeben worden, offenbar ist das für die EU-Eliten inzwischen nicht mehr groß von Belang. So offen wird es noch kein CDU-Abgeordneter sagen, aber die Frage steht im Raum: Wann informiert man die Bürger darüber, dass bei einem „erfolgreichen“ Ende der Verhandlungen mit Griechenland der nächste Rechtsbruch im Verlauf der Euro-Rettung ansteht?

Schon Anfang Juni hatte von Stetten die permanenten Versuche der Regierung Merkel, die wahre Lage in Griechenland zu vertuschen, angesprochen und scharf kritisiert[5]:

„Von Stetten kritisierte, dass den Bürgern in Deutschland zu lange ,das wahre Ausmaß des griechischen Desasters’ vorenthalten worden sei. ,Nichts, aber auch gar nichts ist in Griechenland auf einem guten Weg’, betonte der CDU-Politiker. Die neue griechische Regierung führe das Land vielmehr ,noch tiefer in die Rezession und die politische Unglaubwürdigkeit’. Die griechische Bevölkerung solle aber von den EU-Partnern nicht im Stich gelassen werden. ,Wir werden über Jahre hinweg mit europäischen Förderprogrammen viele Milliarden zur Existenzsicherung nach Griechenland überweisen müssen, und dazu sind wir auch bereit’, sagte von Stetten.

Aber diese Hilfe könne nicht durch die ständige Verlängerung von nicht vertragskonformen Euro-Rettungsprogrammen zu Lasten der Glaubwürdigkeit und Stabilität der Gemeinschaftswährung erfolgen, sagte von Stetten weiter. Wer einen internationalen Vertrag schließt, müsse sich auch an die strengen Regeln halten. ,Wer diese permanent ignoriert, muss mit den Konsequenzen leben – unter Umständen führt dies zum Ausschluss des vertragsbrüchigen Partners.’ Nur so sei der Euro zu rechtfertigen und behalte die Akzeptanz bei seinen Bürgern und an den Kapitalmärkten.“

Mehr Ehrlichkeit

Vor allem aus den der Wirtschaft nahe stehenden CDU-Kreisen kommt ein immer deutlicherer Widerstand gegen die aktuelle Politik der Kanzlerin. Auch schon vor dem Regierungswechsel in Griechenland meldete sich der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU Kurt Lauk zu Wort. Während von Stetten von „Vorenthaltungen“ der Regierung Merkel sprach, spricht Lauk davon, mehr Ehrlichkeit in die Debatte zu bringen, im Endeffekt ist aber beiden Politikern langsam wohl unheimlich, dass die Bürger der Eurozone von den EU-Eliten permanent hinters Licht geführt werden[6]:

„Um die überfällige politische Debatte über die Zukunft des europäischen Projekts zu eröffnen, brauchen wir endlich mehr Ehrlichkeit und Offenheit. Der Wirtschaftsrat hatte bereits nach dem ersten Schuldenschnitt 2012 in aller Klarheit darauf hingewiesen, dass eine tragfähige Lösung noch in weiter Ferne liegt.

Fakt ist: Es wird Jahre dauern bis Griechenland seine Strukturreformen in Gang bekommt und wieder auf einen positiven Wachstumspfad einschwenkt. Solange helfen keine Schuldenschnitte und solange verpuffen auch alle Finanzhilfen der Länder der Eurozone. Wir müssen es beim Namen nennen: Griechenland wird auf absehbare Zeit nicht im Stande sein, seine Schulden zu bedienen.

Auch die Eliten in Griechenland sind hier mehr gefordert, als sie sich bislang eingesetzt haben. In allen EU-Ländern berücksichtigt das Steuersystem die Leistungskraft, in Athen trägt die Oberschicht keinen angemessenen Anteil an den Kosten des Staates.“

Das wurde im Januar 2015 geschrieben, es handelt sich also nicht nur Äußerungen, die sich erst im aufgeregten Dauerkonflikt mit der sozial-nationalistischen Tsipras-Regierung ergeben haben. Im April 2015 kam schließlich die klare Ansage von ihm, dass Griechenland die Eurozone verlassen sollte:

„Griechenland ist de facto längst insolvent. Politik und Kreditgeber müssen entscheiden, ob sie das Land zu einem dauerhaften Subventionsfall werden lassen oder den politischen Realitäten ins Auge schauen. Deshalb muss endlich ein Plan B für Griechenland ausgearbeitet werden.

Nachdem dessen Regierung immer wieder in Brüssel geleistete Zusagen am nächsten Tag in Athen wieder einkassiert und auch außerhalb der EU immer größere Irritationen verursacht, muss sich die Gemeinschaft schützen.

Inzwischen ist nicht mehr das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro die größte Gefahr, sondern sein Negativbeispiel innerhalb der Gemeinschaft.“

Argumente der Unternehmer

Ob aus diesen Positionen und Äußerungen tatsächlich eine Gefahr für Merkel innerhalb der CDU erwächst, wird auch davon abhängen, wie sich die Griechenland-Krise weiter entwickelt und wie lang die Geduld der deutschen Steuerzahler und Wähler noch sein wird. Bis jetzt hat Merkel noch jeden Widersacher innerhalb ihrer Partei kalt stellen können.

Allerdings wird sie die Abgeordneten, die Argumente und Positionen aus dem Unternehmertum, vor allem aus dem Mittelstand, vertreten, nicht einfach nur als Ewiggestrige hinstellen können, die den Zug in das vereinte Europa der allseits offenen Grenzen und in ein Zeitalter der globalen Freizügigkeit und des toleranten Miteinanders verpasst haben. Hinter diesen Rettungsverweigerern stehen relevante gesellschaftliche Kräfte. In weiten Teilen der deutschen Wirtschaft ist ein Weiter-so in der Rettungspolitik der letzten Jahre nicht mehr akzeptabel. Selbst der Präsident des Außenhandels-Verbandes BGA, in dem die Interessen der deutschen Exporteure vertreten werden, Anton Börner ging schon auf Distanz[7]:

„[Vor dem Euro-Austritt Griechenlands] habe ich überhaupt keine Angst, ganz im Gegenteil: Ich fürchte mich eher davor, dass die europäische Politik so weitermachen will wie bisher. Nur der Grexit, Griechenlands Austritt aus dem Euro, kann Europa und den Euro retten. Im Euro wird das Land niemals in der Lage sein, zu erwirtschaften, was es verbraucht; dazu ist die griechische Wirtschaft einfach nicht wettbewerbsfähig genug. Wenn das Land weiter im Euro bleibt, wird es ein ewiger Patient bleiben. Den Austritt kann man vertagen, aber nicht auf alle Ewigkeit. Irgendwann muss Griechenland raus aus dem Euro“.

Immerhin handelt es sich hier um den Vertreter des Teils der deutschen Wirtschaft, der ohne jede Frage vom Euro profitiert hat. Es wird sich also in Zukunft zeigen, ob Merkel weiter den von ihr bevorzugten Kurs einer Euro-Rettung und Transferunion in Europa fahren kann, ohne wichtige Unterstützungen innerhalb der deutschen Gesellschaft zu verlieren. In ihrer Partei könnte sie vor einer Zerreißprobe stehen.

 Anmerkungen

[1] Albig: „Es ist schwer, gegen Merkel zu gewinnen“, ndr.de

[2] Martina Fietz, „Der Ehrgeiz der SPD muss es immer sein, das Kanzleramt zu führen“, Focus Online

[3] „Arnold Vaatz denkt über Griechenland-Klage nach“, Die Welt

[4] Dietmar Neuerer, „CDU-Abgeordnete erwägen Klagen wegen Griechenlandhilfe“, Handelsbaltt

[5] Dietmar Neuerer, „Das Griechenland-Experiment muss beendet werden“, Handelsblatt

[6] vergl. Anm. 3

[7] Tobias Kaiser, „Tsipras will einen Flächenbrand in ganz Europa“, Die Welt

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