Griechenlands politischer Bankrott

Das politische System Griechenlands ist längst zerrüttet. Die Syriza-Regierung war die letzte Hoffnung. Nun ist auch sie gescheitert. Die Folgen sind unabsehbar.

Wer das Abschlussdokument der Euro-Staats- und Regierungschefs zur Einigung mit Griechenland im Schuldenstreit liest, der wird feststellen, dass die Bedingungen für die finanzielle Unterstützung härter sind als jene, die in diesem Land in einem Referendum von der Bevölkerung abgelehnt worden waren[1].

Athen muss jetzt in kürzester Zeit harte, austeritätspolitische Reformschritte durchs Parlament bringen, unter anderem eine Mehrwertsteuerreform sowie die Verbreiterung der Basis für Steuereinnahmen zur Erhöhung der Steuereinnahmen, aber auch Maßnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Rentensystems (vergl. GEOLITICO, „Die deutsche Gefahr für Europa“). Ferner ist jetzt auch die Einführung quasi-automatischer Ausgabenkürzungen obligatorisch. Zu den Vereinbarungen gehören des Weiteren ein signifikant erweitertes und effizientes Privatisierungsprogramm und die Einrichtung eines Fonds, in den die Erlöse aus den Privatisierungen fließen und aus dem u.a. die ESM-Kredite zurückbezahlt werden sollen. Und bis zum 20. Juli soll auch ein Vorschlag zur Modernisierung und Verbesserung der griechischen Verwaltung vorliegen, der zuvor mit den Institutionen abzustimmen ist. Dabei geht es darum, die Verwaltungskosten zu senken.

Der Preis für den Euro

Generell hat sich Griechenland gemäß des Abschlussdokuments zu einer Verschärfung seiner ursprünglichen Reformvorschläge in einer ganzen Reihe von Punkten verpflichtet und daneben zu einer reibungslosen Zusammenarbeit mit den Institutionen, also mit der bisherigen Troika (EU-Kommission, EZB und Internationaler Währungsfonds (IWF)). Athen, so sieht es der Kompromiss vor, wird sanierungspolitisch praktisch keinen Schritt mehr tun können, ohne die Zustimmung der Institutionen.

ESM-Hilfen, auch das ist im Abschlussdokument fixiert, wird Griechenland nur dann erhalten, wenn der Internationale Währungsfonds mit an Bord bleibt. Es ist der Regierung von Alexis Tsipras folglich nicht gelungen, den in Griechenland verhassten Internationalen Währungsfonds loszuwerden.

Unter dem Strich hat sich Griechenland dazu verpflichtet, den austeritätspolitischen Kurs, den die Tsipras-Regierung wegen der bisherigen verheerenden Wirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft immer strikt abgelehnt hatte, noch rigoroser als bisher zu verfolgen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die am Ende des Abschlussdokuments von der Euro-Gruppe in Aussicht gestellten Förder-Milliarden für Investitionen in Wachstum und Beschäftigung beinahe wie Hohn.

Das Ende der Politik ist Gewalt. Bilder aus Athen © GEOLITICO

Das Ende der Politik ist Gewalt. Bilder aus Athen © GEOLITICO

Erst jetzt dämmert der Bevölkerung und den Politikern in Griechenland, auf was sie sich einlassen sollen, um die Chance auf eine weitere, wiederum lediglich auf ein paar Jahre angelegte finanzielle Absicherung seitens der Gläubigergruppe erhalten zu können. Die Euro-Partner und die Medien sagen, dass das der Preis für den Verbleib im Euro ist. Andere werden sagen, dass es eine Garantie für die Fortsetzung der Abwärtsspirale ist, in der sich Griechenland – wirtschaftlich und sozial – befindet.

Kollaps des politischen Systems

Das politische System Griechenlands ist infolge der jahrelangen Sanierungspolitik längst zerrüttet. Die Syriza-Regierung war so etwas wie die letzte Hoffnung für einen politischen Neuanfang. Diese Hoffnung ist mit der nun in Brüssel gefundenen Einigung dahin. Alexis Tsipras hat sich an den Gläubigern die Zähne ausgebissen.

Und während diese Form der Einigung von der Euro-Gruppe, dem IWF sowie vor allem auch von der Bundesregierung auf den ersten Blick wie ein Sieg und eine gute Lösung für Europa aussehen mag, so könnte sich doch sehr bald herausstellen, dass es in Wahrheit ein Pyrrhussieg war, weil der Bogen überspannt worden ist und die Einigung den Griechen und der griechischen Politik mehr abverlangt als sie aushalten können.

Was nun angesichts der ultimativ geforderten Verabschiedung von Reformschritten im griechischen Parlament geschehen könnte, ist nicht weniger als ein Kollaps des ohnehin schon schwer angeschlagenen politischen Systems Griechenlands.

In die Ecke Gedrängte neigen, wie jeder weiß, zu Verzweiflungstaten. Schon vor Tsipras Amtsantritt war es der Regierung in Griechenland kaum mehr möglich, harte Reformen durchs Parlament zu bringen. Die Zustimmung musste von den Politikern des Regierungslagers mithin quasi erzwungen werden. Wer nicht zustimmte, der wurde aus der Partei ausgeschlossen. Jeder Regierungspolitiker auf Reformkurs der Troika bekam den Druck der Straße zu spüren.

Randalierer in den Straßen von Athen © GEOLITICO

Randalierer in den Straßen von Athen © GEOLITICO

Warum sollte das alles jetzt anders sein? Und welche Partei, welcher Politiker ist nun noch bereit, all das auf sich zu nehmen. Und wofür? Schließlich erwartet niemand ernsthaft, dass eine Sanierungspolitik, die Griechenland schon bisher nur in die Abwärtsspirale führte, nun auf einmal doch funktioniert und alles besser werden lässt.

Und wer glaubt, dass die griechische Bevölkerung ihr Los jetzt still und klaglos hinnehmen wird, bloß weil die Gläubiger das so wollen? Zu viele Menschen haben bereits alles, inklusive ihrer Hoffnung auf bessere Zeiten, verloren. Jetzt will man sie de facto auch noch gänzlich unter europäische Verwaltung stellen.

Mit dem Rücken zur Wand

Bereits heute ist klar, dass Alexis Tsipras keine eigene Mehrheit mehr hat, um die geforderten Reformschritte im Parlament zu verabschieden. Der linke Flügel seiner Syriza-Partei verweigert sich ebenso wie sein kleiner Koalitionspartner[2]. Es heißt, dass es im Herbst Neuwahlen geben könnte. Wen sollen die Griechen dann noch wählen? Die gescheiterte Syriza? Die korrupten Altparteien Nea Dimokratia und Pasok? Die Rechtsradikalen oder gar die Kommunisten? Keine Partei, so scheint es, ist der Gläubigergruppe gewachsen. Keine kann den Griechen Aussicht auf Besserung oder wenigstens einen anderen Lösungsweg anbieten.

Griechenland ist nicht nur in einer verzweifelten finanziellen Lage. Es ist auch ein Land in einer politisch und gesellschaftlich verzweifelten Lage. Und genau das könnte letztlich den Sieg der Euro-Partner über die Regierung Tsipras ins Gegenteil verkehren.

Griechenland steht definitiv in mehrfacher Hinsicht mit dem Rücken zur Wand und es scheint, als habe die Euro-Gruppe bei der durchgesetzten Einigung nur die finanziellen Risiken sowie jene für die Währungsunion im Auge gehabt, nicht hingegen die politischen und gesellschaftlichen Risiken derselben. Denn auch ein politisch und gesellschaftlich morsches und möglicherweise bald kollabierendes Griechenland stellt eine Gefahr für die Stabilität des Euro-Raums dar.

Die Einigung ist kein Grund zum Jubeln. Die insbesondere auch von der Bundesregierung forcierten Bedingungen für die neuerliche finanzielle „Rettung“ Griechenlands haben durchaus das Potenzial, sich in den nächsten Tagen und Wochen zum europapolitischen Rohrkrepierer zu entwickeln. Ein überzeugendes Konzept zur wirtschaftlichen und finanziellen Gesundung Griechenlands existiert unabhängig davon nach wie vor ohnehin nicht. Die Euro-Gruppe hat keine Probleme gelöst. Mit der neuen Einigung hat sie lediglich das Aufbrechen weiterer ernster Schwierigkeiten auf einer anderen Ebene vorbereitet.

Anmerkungen

[1] Abschlussdokument des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015

[2] „Wachsender Widerstand in Athen“, tagesschau.de

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Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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