Die deutsche Gefahr für Europa

Die Mittel, mit denen Wolfgang Schäuble seine Forderungen gege Griechenland durchsetzt, sind grenzwertig. Dabei besitzt er nicht einmal ein funktionierendes Wirtschaftskonzept.

Kompromissloser geht es nicht. Spätestens als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Wochenende in den Griechenland-Verhandlungen sein kurzes Positionspapier vorlegte, war das Klima unter den Europäern vergiftet. In seinem Papier forderte Schäuble rasche und umfassende Nachbesserungen der Reformvorschläge sowie die Einrichtung eines Treuhandfonds, in den Erlöse aus der Privatisierung von Staatsvermögen im Volumen von 50 Milliarden Euro für den Schuldenabbau fließen sollten. Oder Griechenland sollte für mindestens fünf Jahre den Euro verlassen – ein Grexit auf Zeit also. In dieser Zeit könnte dann über eine Restrukturierung der Schulden verhandelt werden. Zudem sollte das finanzielle Risiko einer Überbrückungsfinanzierung im Falle des Scheiterns der Verhandlungen bei Griechenland, nicht aber bei den Gläubigerländern der Eurogruppe liegen.[1]

Europas Zuchtmeister?

Schon lange gibt es in Europa einige Regierungen, die Bauchschmerzen nicht nur mit dem von der Bundesregierung in den Schuldenstaaten forcierten einseitigen und drastischen austeritätspolitischen Sanierungskurs haben, sondern auch mit der Art, in der sie dies durchzusetzen bemüht ist. Deutschland wird als Europas Zuchtmeister gesehen. Und wenn es auch der Bundesfinanzminister ist, dem dies als finanzpolitischer Hauptakteur angelastet wird, so ist es die Bundeskanzlerin, die dies geschehen lässt und letztlich zu verantworten hat.

Die deutsche Wiedervereinigung beschwor seinerzeit in den europäischen Nachbarstaaten die Sorge vor einer Wiedererstarkung Deutschlands herauf, die zu einer Dominanz Europas führen könnte, die niemand wollte. Die Zustimmung zur gemeinsamen europäischen Währung oder anders ausgedrückt, der Verzicht auf die starke D-Mark war deswegen auch ein Zeichen Deutschlands dafür, dass es keine dominierende Rolle anzustreben gedachte, sondern sich dem Gedanken der europäischen Einheit verpflichtet fühlte.

Wolfgang Schäuble bezeichnet sich selbst als Befürworter Europas. Was für ein Europa aber soll das sein? In jedem Fall ist er wie kein anderer bestrebt, der Europäischen Union und vornehmlich der Eurozone einen deutschen Stempel aufzudrücken. Kompromisslos. Es geht so, wie wir das wollen oder es geht eben gar nicht. Das ist die Botschaft seines Positionspapiers zur Schuldenproblematik Griechenlands, dass er letztlich mit aller Macht durchsetzte.

Was ist mit den europäischen Verträgen?

Damit hat er der Bundeskanzlerin, die bisher die Entscheidungen zum Kurs der Krisenpolitik den anderen überließ und selbst immer nur die Rolle des Moderators übernahm, einen Bärendienst erwiesen. Denn indem sich Angela Merkel auf die Seite ihres Finanzministers schlug, erhebt sie damit unausgesprochen, aber unmissverständlich den Anspruch auf ein von der Bundesregierung dominiertes Europa und konterkariert den europäischen Grundgedanken eines Europas, das eben von keinem Nationalstaat dominiert werden soll.

Sind Frankreich und Italien noch bereit, das zu schlucken? Doch unabhängig davon: Die europäischen Gründungsverträge haben genau aus diesem Grund die Einrichtung einer Europäischen Kommission vorgesehen und sie mit dem alleinigen Initiativrecht ausgestattet. Die Europäische Kommission sollte den europäischen Integrationsprozess unabhängig von nationalen Interessen und ganz im Sinne eines übergeordneten gemeinsamen, europäischen Interesses vorantreiben.

All das scheint mit der auf Schäubles Positionspapier basierenden Einigung vom Wochenende vergessen oder zu Makulatur geworden sein. Zumindest aber hat er es mit seiner kompromisslosen Haltung im Streit mit Griechenland jetzt definitiv in Frage gestellt.

Erhebliche Ungleichgewichte

Da sich die Bundeskanzlerin auf der Linie von Wolfgang Schäuble begab, forciert sie damit innerhalb der Europäischen Union unweigerlich eine fatale Frontbildung, die Europa – politisch und gesellschaftlich – immer mehr entzweit und bei der Deutschlands Dominanz zunehmend als Bedrohung für den Einheitsgedanken wahrgenommen wird.

Andererseits hätten ihr die Wähler bei all der Stimmungsmache in den deutschen Medien gegen Griechenland einen milden Kompromiss zugunsten Athens übel genommen.

Es ist, wenn man den Gedanken eines gemeinschaftlichen Europas ernst nimmt, keineswegs allein Griechenlands Schuld, dass es kein überzeugendes und vielversprechendes Lösungskonzept für eine ernste Krise gibt, die in dieser Form eben nicht allein in Griechenland herrscht, sondern ebenso etwa in Portugal und Spanien.

Von Beginn an wurde auf europäischer Ebene aber immer so getan, als sei die Krise in Griechenland ein rein griechisches Problem, das eben auch nur von Griechenland allein gelöst werden könne. Das war und ist nicht zutreffend.

Die Probleme sind nicht nur, aber in erster Linie eine Folge der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise und der Maßnahmen gewesen, die zu deren „Bewältigung“ gewählt wurden. Die wirtschaftlich schwächeren Staaten haben all das viel schlechter verkraftet als die wirtschaftlich starken Staaten innerhalb der Europäischen Union. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte haben sich dadurch und durch den von Europa gewählten austeritätspolitischen „Sanierungskurs“ massiv verstärkt. Der europäische Wirtschaftsraum ist deswegen heute von erheblich stärkeren wirtschaftlichen Ungleichgewichten geprägt als vor der Finanzmarktkrise.

Kein Wachstums- und Entwicklungskonzept?

Wachstum und Beschäftigung sowie eine ausgewogene Entwicklung des europäischen Wirtschaftsraums zu erreichen, das ist keine exklusive griechische Aufgabe. Es ist eine europäische Aufgabe. Es ist – denkt man an die europäischen Verträge – ganz besonders auch eine Aufgabe der Europäischen Kommission. Es ist höchste Zeit, dass diese Aufgabe auf europäischer Ebene endlich auch als europäische Aufgabe wahrgenommen und konstruktiv angepackt wird.

Ohne ein neues Wachstums- und Entwicklungskonzept für ganz Europa wird es keine Lösung für Griechenland geben und auch nicht für Portugal und Spanien. Wer die Lösung dieser Aufgabe auf ihre finanzielle Dimension reduziert, hat das Grundprinzip einer auf Wachstum und Entwicklung angelegten europäischen Gemeinschaft nicht verstanden. Ohne ein neues, tragfähiges Wachstums- und Entwicklungskonzept für Europa werden sich die bestehenden Staatsschuldenprobleme nicht lösen lassen.

In der Griechenlandkrise zeigt sich insofern auch das Versagen Europas. Herr Schäuble will das jedoch nicht wahrhaben. Denn letztlich wäre es vor allem auch sein eigenes Versagen.

 

Anmerkung

[1] „Ein Papier mit Folgen“, tagesschau.de

Unser Newsletter – Ihr Beitrag zur politischen Kultur!

Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

// require user tracking consent before processing data _paq.push(['requireConsent']); // OR require user cookie consent before storing and using any cookies _paq.push(['requireCookieConsent']); _paq.push(['trackPageView']); [...]
×