Petry heil?

Die AfD wollte alles besser machen als andere Parteien. Nun droht sie im Chaos zu zu versinken. Am Wochenende soll sie in Essen eine neue Führung wählen. Aber wen?

Bernd Lucke und Frauke Petry können nicht mehr miteinander. Sie wollen die AfD nicht mehr gemeinsam führen. Aber können sie es ohne einander?

Lucke und Petry katapultierten die gerade mal drei Jahre alte Partei in fünf Landtage und in das Europaparlament. Sie erreichten, was ihnen kaum jemand zugetraut hätte. Sie schienen unaufhaltsam – bis sie sich überwarfen und die AfD in einen zerstörerischen Machtkampf und damit in die politische Sackgasse führten. Darin steckt sie nun fest, müde und wundgeschlagen von den vielen Raufereien und vollkommen orientierungslos so gänzlich ohne jedes Programm, das ihr als Kompass dienen könnte. Sie sucht nichts dringender als einen, der ihr einen Ausweg zeigt.

Aber an wen soll sie sich wenden? An Lucke? An Petry? Ihr ist zum Verzweifeln. Und doch muss sie sich am Wochenende auf dem Parteitag in Essen entscheiden.

Von wegen liberal!

Oft heißt es, in Essen stehe mit der Wahl zwischen Lucke und Petry auch eine Richtungsentscheidung an. Das ist ein großes Missverständnis, in die Welt gesetzt von Leuten, die die AfD offenbar immer noch als liberale Partei ausgeben wollen. Hans-Olaf Henkel gehört zu denen, die diese Mär lange verbreiteten. Allerdings tat er es vermutlich mit dem Kalkül, auf diese Weise sein Engagement in der AfD vor sich selbst und seinem Freundeskreis zu rechtfertigen. Schließlich ist er viele Jahre im Windschatten der FDP gesegelt.

Wer jedoch die Partei von Anfang an wachen Auges betrachtete, bei dem fiel das Trugbild einer liberalen AfD bereits am Abend der Bundestagswahl in sich zusammen, als nämlich Bernd Lucke und Frauke Petry mit ihren Kindern vor die Kameras traten. Zwar war die AfD mit dem Euro in den Wahlkampf gezogen, aber am Wahlabend präsentierte sie sich als Empfehlung gegen die demografische Katastrophe.

Mit untrüglichem Gespür für die Erwartungen ihrer Anhänger inszenierten sie das Idyll der Vater-Mutter-Kind-Familie. So etwas kannten deutsche Wähler bislang nur aus dem US-Wahlkampf. Kinder, die Ehe von Mann und Frau als Keimzelle einer intakten Gesellschaft: Ohne ein einziges Wort darüber zu verlieren, versandten Lucke und Petry ihre Botschaft. Es war nur folgerichtig, dass Petry später die Drei-Kind-Familie propagierte. War die CDU je so konservativ?

Nein, die AfD wollte keine Ersatz-FDP sein, auch wenn Teile der Wirtschaft das gern gesehen hätten. Konzernmanager und Unternehmern setzten große Hoffnungen auf Lucke & Co. Es flossen Spenden, doch Lucke bekannte freimütig: „Ich bin kein Liberaler. Ich bejahe den Sozialstaat.“ Die Vorstellung, dass der Liberalismus keine soziale Verantwortung kennt, gehört zu den größten Irrtümern unserer Zeit.

Irrtum des Zeitgeistes

Tatsächlich lebt Lucke eine Religiosität, die der Freiheit enge Grenzen setzt. In der AfD bildeten sich sehr bald christliche Arbeitskreise, denen auch Lucke beitrat. Sie forderten ein Abtreibungs- und Sterbehilfeverbot und lehnten gleichgeschlechtlichen Ehen ab.

In einem Grundsatzpapier traten die „Christen in der Alternative für Deutschland“ für den „Vorrang der Erziehung im Elternhauses gegenüber staatlich organisierter Erziehung“ ein. Lucke selbst verfasste anlässlich des Reformationstages 2013 zehn kritische Thesen zum Islam. Er schrieb, wenn der Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland, „als eine implizite Bejahung des Islams in Deutschland gemeint ist, ist er falsch und töricht“.

Warum nun dieser Bernd Lucke im innerparteilichen Führungsstreit immer noch als Spitze eines liberalen Flügels genannt wird, ist letztlich wohl nur einem Zeitgeist zuzuschreiben, der Liberalismus allenfalls noch in seiner degenerierten neoliberalen FDP-Variante kennt und in völliger geistiger Verarmung alles Ökonomische dazuzählt.

Alexander Gauland und Hans-Olaf Henkel © GEOLITICO

Alexander Gauland und Hans-Olaf Henkel © GEOLITICO

Dieser Zeitgeist ist es auch, der wiederum einen Alexander Gauland am äußersten rechten Rand verortet, weil er als Vertreter des souveränen Nationalstaats vor dessen Überforderung durch eine unkontrollierte Flüchtlingspolitik warnt und weil er dazu rät, zur Sicherung deutscher Interessen die sicherheitspolitischen Bedürfnisse der Russen zu beachten. Bismarck lässt grüßen.

Dabei ist Gauland erstens ein Konservativer von altem Schrot und Korn, der schon 1991 mit seinem Büchlein „Was ist konservativ?“ die CDU dazu bewegen wollte, Tradiertes zu bewahren, und zweitens im Vergleich zu vielen anderen in der AfD und der Union ein liberaler Geist. Schließlich war er es, der die Kopftuch-Erlaubnis des Verfassungsgerichts für muslimische Lehrerinnen begrüßte – im Gegensatz zu vielen Unionsvertretern anderen AfD-Politikern. Und war es nicht auch zunächst einmal eine zutiefst liberale Geste, ohne jedes Vorurteil das Gespräch mit Pegida-Demonstranten zu suchen?

Die Manie des Vorsitzenden

Gauland ist derjenige in der Parteispitze, der in der von Ressentiments und Feindseligkeit aufgeladenen Atmosphäre noch am ehesten zu Kompromissen und damit zur politischen Gestaltung fähig ist. Er kann im Streit heftig austeilen, aber er kann auch einstecken. Dass andere letzteres nicht können, daran krankt die AfD.

Mehr als an allen Krisen dieser Welt leidet sie an sich selbst, oder besser: an den charakterlichen Defiziten ihres Führungspersonals, das nicht einmal im Schriftverkehr untereinander ein Mindestmaß an Anstand und Würde zu wahren in der Lage ist.

Da wünscht der eine dem anderen, er „hoffe, der letzte Akt wird bald aufgeführt und Sie treten von der Bühne“. Ob das nun final gemeint ist, bleibt der Interpretation des Lesers überlassen. Da wird ohne jede Vorwarnung in einem nächtlichen Telefonat ein verdienter Bundesgeschäftsführer gefeuert, immerhin ein ehemals ranghoher und verdienter Soldat. Und ein Landes- und Fraktionsvorsitzender soll aus der Partei ausgeschlossen werden. Vergleichbare Zustände gibt es in keiner anderen Partei.

Ulrike Trebesius, André Yorulmaz und Bernd Lucke © GEOLITICO

Die künftige Parteiführung? Ulrike Trebesius, André Yorulmaz und Bernd Lucke © GEOLITICO

Die AfD leidet an der Manie ihres Vorsitzenden Lucke, der glaubt, alles selbst und vor allem alles besser machen zu können. Sie attestiert ihm die Hybris eines Calvinisten, der sich über jeden Zweifel erhaben sieht, der glaubt, er könne übers Wasser gehen.

Mit seiner Oberlehrer-Attitüde könnte sie vielleicht noch leben. Aber seine Egozentrik, die sich in seiner Sprache Bahn bricht, in der das „Wir“ nicht vorkommt, und seine fast schon pathologisch anmutende Rechthaberei verschließt jeden Raum kreativ-individueller Entwicklung. Politik ist so nicht machbar.

Selbstaufgabe ist keine Alternative

Auch keine Machtpolitik, denn die wird schließlich von Mehrheiten getragen, die nur derjenige gewinnt, der andere einbindet. Lucke hat dies viel zu spät erkannt. In seiner Selbstherrlichkeit entging ihm gänzlich, wie sehr er ihm widersprechende Vorstandsmitglieder ein ums andere mal vor den Kopf stieß und sie damit faktisch in eine Gegnerschaft zu ihm zwang, deren Alternative einzig die Selbstaufgabe gewesen wäre.

Marcus Pretzell und Frauke Petry auf ihrer Tour durch die Landesverbände © GEOLITICO

Marcus Pretzell und Frauke Petry auf ihrer Tour durch die Landesverbände © GEOLITICO

Petry wollte nicht gegen ihn antreten. Jedenfalls noch nicht. Denn als sich die Lage Anfang des Jahres zuspitzte, war sie in der Partei längst noch nicht so verankert wie Lucke, der von Anfang an von den Medien zum AfD-Gesicht aufgebaut worden war. Petry weiß um ihre Stärken, aber auch um ihre Schwächen. Anders als Lucke, kann sie auf Menschen zugehen und ihnen das Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln. So bindet sie Menschen an sich, von denen sie annimmt, dass sie ihr nutzen.

Aber sie polarisiert auch, weil sie mit Pauschalurteilen provoziert. Sie sagt, 70 Prozent der Menschen, die in Deutschland Asyl beantragten, seien dazu nicht berechtigt. Zum Gender-Mainstreaming sagt sie, bei manchem, was „sogenannte Soziologen“ so von sich gäben, könne einem „einfach nur schlecht werden“.

Le Pen ein Schreckgespenst?

Damit bietet sie der AfD nach außen eine Angriffsfläche, und solche Aussagen kommen auch längst bei allen AfD-Mitgliedern gut an. Wird sie dann mit der französischen Front-National-Vorsitzenden Marine Le Pen verglichen, die ihre Partei immerhin vom Antisemitismus zu befreien versucht, zuckt sie zurück. Sie will nicht in die rechte Ecke gestellt werden, Le Pen versucht, sich aus ihr zu befreien.

Aus Furcht davor, auf der rechen Seite verwundbar zu sein, hat Petry sich mit den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden und Europa-Abgeordneten Marcus Pretzell verbündet. Der war früher mal bei der FDP. Gemeinsam haben sie in den Landesverbänden für einen Neuanfang geworben, sie als Konservative, er als Liberaler.

Bei den Mitgliedern sammelte sie damit Sympathien. Anders als Lucke, der auch mit seinem „Weckruf“ immer noch für die Ich-Partei wirbt, lässt Petry auch andere ins Rampenlicht, und sei es, damit sie noch heller strahlt. Sie kann paktieren und beherrscht damit eine der wichtigsten Voraussetzungen in der Politik, die letztlich immer nur das Ergebnis von Kompromissen und Zweckbündnissen sein kann. Wird die AfD es mit ihr wagen?

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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