Sabotage mit Wissen des AfD-Chefs

Die Anfechtung der Delegiertenwahlen in der AfD durch das Lage von Parteichef Lucke ist kommt einer Sabotage gleich. Der Schaden für die Partei ist immens.

Vorbei. Fürs erste hat die AfD die Chance auf einen Neubeginn vertan. Wegen formaler Unstimmigkeiten bei der Wahl von Parteitagsdelegierten musste der Vorstand den für den 13. Und 14. Juni in Kassel geplanten Partei absagen.

Selbst bei einem Routineparteitag wäre eine so kurzfristige Absage aus formalen Gründen eine Blamage. Vor dem Hintergrund des unerbittlichen Machtkampfes zwischen den Bundessprechern Bernd Lucke und Frauke Petry ist die Absage ein Desaster. Sie muss von außen als vollständiges Versagen im Einmaleins der Parteiendemokratie wahrgenommen werden und ist für nicht wenige AfD-Kritiker ein willkommener Anlass zu unverhohlener Schadenfreude. Die dürften nun mit Fug und Recht sagen: „Die können es nicht.“

Luckes Machtverlust

Tatsächlich aber ist die Absage das Ergebnis destruktiver Kräfte und ein Schlag ins Gesicht all jener Parteimitlieder, die nun endlich eine personelle Lösung herbeiführen und zur Sachpolitik zurückkehren wollten. Und nicht nur aus ihrer Sicht dieser Schritt so etwas wie ein Sabotageakt. Ausgeführt wurde er von Mitgliedern, die mit Luckes Machtverlust hadern und den Wechsel zu Petry mit aller Macht verhindern wollen.

Der Parteichef selbst machte explizit Petry für die Missstände mitverantwortlich, da sie die Wahl der nordrhein-westfälischen Delegierten geleitet hatte. Sie habe ihm versichert, dass alles satzungsgemäß abgelaufen sei. „Alle anderen Berichte, die ich gehört habe, sprechen eine deutlich andere Sprache“, sagte er.

So wurden in Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland die Delegierten-Wahlen angefochten. Allerdings ließ das Landesschiedsgericht Hessen angeblich bereits am Sonntag wissen, dass die Delegierten korrekt gewählt worden seien. Zwar wurden bei allen Anfechtungen formale Gründe vorgeschoben, aber der wahre Hintergrund lässt sich unverblümt aus einer Lucke-Mail an AfD-Mitglieder herauslesen, in der er seinen Gegnern im Mai vorwarf, „unterirdisch“ Mehrheiten zu organisieren. Er befürchtete schlicht, unter den Delegierten des Kasseler Parteitags keine Mehrheit für seine Bewerbung als alleiniger Parteichef zu haben.

Brücke des Bundesschiedsgerichts

Mit den angefochtenen Delegiertenwahlen beschäftigten sich bislang völlig zu Recht die Landesschiedsgerichte. Angesichts des immer näher rückenden Parteitagstermins erscheint allerdings unverständlich, warum die Streitfragen nicht wie in Hessen in Eilverfahren entschieden wurden. Genauso rätselhaft erscheint es, warum diese Landesfragen anderthalb Wochen vor dem Parteitag plötzlich Angelegenheiten des Bundesschiedsgerichts geworden sind.

Bislang nämlich hatte das Bundesschiedsgericht ausschließlich die Satzungsfrage zum Gegenstand des geplanten Parteitages gemacht. Es teilte die Bedenken einiger Kläger gegen die auf dem Bremer Parteitag gefällten Beschlüsse, die ab Juni eine Doppelspitze plus Generalsekretär vorsehen, und schlug der Parteispitze vor:

„Die in Bremen beschlossene Bundessatzung bleibt bis zum kommenden Bundesparteitag in Kassel in Kraft. Dort wird die Bundessatzung zu Beginn des Parteitages vom Bundesvorstand erneut zur Abstimmung gestellt. Soweit die Satzung in Kassel mit 2/3- Mehrheit bestätigt wird, gilt sie unverändert fort. Soweit die Satzung abgelehnt wird, gilt wieder die Vorgängersatzung vom 14.04.2013.“

Damit hatte das Gericht der AfD-Spitze eine Brücke zum Parteitag gebaut. Es drang also nicht darauf, diesen abzusagen, sondern darauf, dort Fehler der Vergangenheit zu heilen. Das wiederum mag so gar nicht zu der Mitteilung der AfD-Pressestelle passen, in der es heißt: „Der Bundesvorstand hat in seiner Sitzung vom 2. Juni 2015 die Absage des Kassler Parteitages aufgrund der juristischen Bedenken des Bundesschiedsgerichtes beschlossen.“ Welche Bedenken genau, teilte die Bundesgeschäftsstelle nicht mit.

Partei in der Partei

Frauke Petry rückte die Sache hinterher denn auch in ein ganz anders Licht:

„Es entspricht nicht der Wahrheit, dass das Bundesschiedsgericht das tatsächliche Anfechtungsrisiko des Parteitags sachlich dargelegt hat. Es gibt zwar Anfechtungen der Delegiertenwahlen im Saarland, in Hessen und in NRW, das tatsächliche Risiko jedoch, dass diese Anfechtungen den Parteitag gefährden könnten, wurde gar nicht dargelegt, weil sich das Schiedsgericht dazu gar nicht ohne Anlass äußern darf“, sagte sie.

Warum also wurde dann der Parteitag verschoben? Weil die Lucke-Mehrheit im amtierenden Vorstand es gegen das Petry-Lager so entschied.

Erreicht haben diese Vorstandsmitglieder, dass die Partei nun weiter in der Auseinandersetzung zwischen Lucke und Petry verkämpft. Die beiden haben kaum eine andere Wahl. Lucke, der nun Zeit gewonnen hat, wird diese nutzen, um verlorene Unterstützung unter den Mitgliedern zurückzugewinnen. Petry wird alle Kraft aufwenden, um ihre Popularität zu halten oder noch zu steigern.

Lucke ist dabei, mit seinem „Weckruf“-Verein eine Partei in der Partei aufzubauen. In allen Landesverbänden gründen sich Satelliten, er selbst reist durch die Kreisverbände und sammelt Mitstreiter.

„Auf dem Bundesparteitag in Kassel werden entscheidende Weichen für die Zukunft unserer Partei gestellt. Bis dahin soll ein Netzwerk von Landesbeauftragten entstehen und in jedem Bundesland soll mindestens ein Treffen der Weckruf2015-Unterstützer erfolgen. Einige derartige Veranstaltungen hat es bereits gegeben, andere organisieren wir derzeit unter Hochdruck“, schrieb der „Weckruf“-Vorstand vor kurzem an die Mitglieder.

Und weiter: „Bitte besuchen Sie nach Möglichkeit diese Veranstaltungen und sprechen Sie mit den Delegierten, die Sie in Kassel vertreten und den neuen Bundesvorstand wählen sollen. Nach dem Bundesparteitag wollen wir dann Bilanz ziehen und mit Ihnen gemeinsam entscheiden, wie wir weiter vorgehen.“

Es geht allein um Macht

Spätestens mit dieser Mail dürften auch die letzten Zweifel ausgeräumt sein, dass es im AfD-Streit allein um Macht geht. Inhaltlich liegen die Streitenden nämlich gar nicht so weit auseinander. Wer etwa Petry oder die EU-Abgeordnete Beatrix von Storch wegen ihrer Thesen zur Familienpolitik im rechten Lager verortet, muss dies wohl auch mit den „Weckrufern“ tun. Die posteten nämlich gerade erst in den sozialen Medien:

„Deutschland hat inzwischen die niedrigste Geburtenrate der Welt. Alle Politik der vielen Fördergelder und Kitas hat nichts genutzt. Wir müssen dringend zu einer Wertediskussion zurückkehren. Familie ist das Wichtigste und Schönste im Leben.“

Und in Anspielung zur politischen Debatte etwa in der CDU über die Home-Ehe heißt es dort weiter:

„Die Familie darf nicht weiter für beliebig neben allerlei „bunten“ Lebensformen erklärt werden, während das seit Jahrhunderten bewährte Modell aus Vater, Mutter und Kindern als „rückständig“ verpönt wird. Was denkt ihr, könnte die Politik tun, um Familien auch moralisch den Rücken zu stärken?“

Die Mär von den Inhalten

Trotzdem unterstellt Lucke dem Petry-Lager rechtes Gedankengut und sagt, er sehe für sich nur noch eine Zukunft in der Partei, wenn diese sich klar von rechts-nationalen Strömungen abgrenze. Er werde sein Gesicht und seinen Namen für die AfD nur solange hergeben, wie die AfD eine Politik betreibe, die er inhaltlich vertreten könne.

Dabei bekennt sich auch ein Alexander Gauland, der als Spiritus rector der konservativen Grundhaltung des Petry-Lagers gilt, trotz seines Verständnisses für russische Interessen wie Lucke zur Westbindung. Unisono sind sie gegen den Euro in seiner heutigen Form und für eine „geordnete Auflösung des Euro-Währungsraumes“. Und den Spruch „Wir sind nicht das Weltsozialamt“ haben sie auch alle gemeinsam abgesegnet. Nein, dass sie inhaltlich nicht auf einen Nenner kämen, ist eine Mär, der viele nur allzu gern auf den Leim gehen. Bei Inhalten streiten sie bestenfalls um die Formulierung – wenn sie denn inmitten dieses selbstzerstörerischen Machtkampfes überhaupt dazu kämen.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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