Das Scheitern des Bernd Lucke

Er gründete die AfD, war lange Zeit ihr einziger Star, doch dann verlor Bernd Lucke das Gespür für das Machbare und damit für die eigene Partei.

Bernd Lucke wollte in die Offensive gehen. Sein Auftritt in Straßburg, wo er seinen neuen Verein „Weckruf 2015“ vorstellte, sollte ein überzeugender Appell an alle „Vernünftigen“ in der Partei sein. Damit meint er diejenigen, die er nicht im rechts-konservativen Lager von Frauke Petry, Alexander Gauland, Konrad Adam und Marcus Pretzell verortet. Er wollte einen Aufstand in der eigenen Partei anzetteln, der durchaus in einer Spaltung münden könnte.

Über Wochen hatte er all dies vorbereitet. Heimlich trafen sich seine Mitstreiter. Sie holten externen Rat ein, wollten das ganz große Rad drehen. Am Wochenende wurden ihnen nahe stehende Journalisten gezielt mit Informationen versorgt, der Ablauf der Pressekonferenz ein letztes Mal abgestimmt.

Öffentliche Selbstdemontage

Doch dann kam alles ganz anders. Lucke stand in Straßburg von Beginn an in der Defensive. Er musste sich erklären, seine Schritte begründen und sein Handeln rechtfertigen. Immer wieder. Warum er einen Verein gründe, wurde er gefragt. Wann er die Partei verlasse. Warum er sie spalten wolle. Warum es überhaupt so weit gekommen sei.

Der Gründer und amtierende Vorsitzende der AfD stand mit dem Rücken zur Wand. Und das Geschehen lavierte immerzu haarscharf an jener magischen Linie entlang, die schon so manchem Politiker zu einem Ehrenwort verleitete.

In der deutschen Parteiengeschichte gibt es einige Beispiele öffentlicher Selbstdemontage und Selbstzerstörung. Unvergessen sind Aufstieg und Fall von Ronald Barnabas Schill, der vom „Richter Gnadenlos“ und gefeierten Vorsitzenden einer nach ihm benannten Partei in eine Kokainaffäre stürzte und letztlich gar vom Hamburger Landeskriminalamt zur Fahndung ausgeschrieben werden musste, weil die deutschen Behörden keine Adresse mehr von ihm hatten.

Andere mögen an den früheren CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg denken, der durch sein Auftreten in einer Plagiatsaffäre nicht nur sein Ministeramt verlor, sondern sein Ansehen derart beschädigte, dass er in die USA floh.

Kritik und purer Spott

Jetzt stand Lucke in Straßburg und bestritt und dementierte. Pläne, die er und seine Mitstreiter noch tags zuvor gezielt über die FAZ an die Öffentlichkeit lanciert hatten, gab es plötzlich nicht mehr. „Lucke droht mit einem kollektiven Parteiaustritt – und einer Neugründung“, hatte die FAZ geschrieben.

Doch statt dies zu bestätigen, sagte Lucke in die vielen Mikrofone: „Eine Parteineugründung erwägen wir überhaupt nicht!“ Und weiter: „Wir wollen in der AfD bleiben, wir wollen den Erfolg der AfD.“ Zuvor hatte er bereits in einer Mail an die Partei der FAZ „verfälschende Berichterstattung“ vorgeworfen. Prompt meldete dpa: „Im Führungsstreit der Alternative für Deutschland will AfD-Parteigründer Bernd Lucke die Einheit der Partei retten.“

In den sozialen Netzwerken indes glaubt dies kaum jemand. Dort werden Lucke und der neue Verein, der ein Zeichen gegen rechtsideologische Tendenzen in ihrer Partei setzen soll, mit Kritik und sogar purem Spott überschüttet.

#Weckruf: Erwachet, das Ende der Welt ist nahe! Die #AfD ist jetzt ein Fall für den Sektenbeauftragten twitterte Evita von Itzenplitz (@freifrauvonitze).

„Haha da habt ihr euch aber Blamiert. Warum nicht gleich der Stürmer 2015!?“, schreibt Jan Karlson auf Facebook.

Er hebt damit auf den von den Nationalsozialisten ab 1934 für die deutschstämmige Bevölkerung in den USA herausgegebenen „Deutschen Weckruf und Beaobachter“ ab.

So schreibt denn auch Sibylle Behrend: „einen weckruf gab es schon zu nazizeiten. dass sich lucke nicht schämt. daumen hoch für höcke, petry und gauland.“

Und Hans Hausberger kommentiert: „Mit rechtsextremen Sumpf meinen diese Gauner Parteifreunde wie Frau Petry, Herrn Adam und Herrn Gauland – das sind bekanntlich die ,Elemente’, die laut Henkel einer ,Säuberung’ zum Opfer fallen sollen. Nicht weil sie irgendwie besonders rechts wären. Sondern weil sie anscheinend Luckes feuchten Allmachtsphantasien im Weg stehen.“

Petry denkt an Nach-Lucke-Zeit

Lucke ist nicht nur Gründungsmitglied der AfD, er war für lange Zeit ihr einziger Star. Und er gewöhnte sich schnell daran. So jovial wie er in Talkshows den Deutschen die Euro-Krise erklärte, so autoritär nutzte er seine neue Popularität als Machtinstrument in der Partei. Wiederholte Gesprächsangebote etwa von AfD-Vize Alexander Gauland, doch einmal darüber zu reden, wie denn nun Gaulands national-konservative Überzeugungen mit Luckes zum Teil neoliberalen Finanzmarktvorstellungen in eine politische Form gegossen werden könnten, soll er von Beginn an abgelehnt haben. Ko-Sprecherin Frauke Petry wirft ihm inzwischen offen vor, zu keinem strategischen Dialog bereit gewesen zu sein.

Sie könnte ihm auch vorwerfen, dass er viele Entwicklungen duldete, die er heute geißelt. Dazu zählt die Aufnahme von Mitglieder der islamkritischen Partei „Die Freiheit“ ebenso wie Wahlkampf mit Parolen im NPD-Jargon. Aus jenen Tagen wird immer noch ein Satz kolportiert, mit dem das Lucke-Umfeld den Umgang mit dem rechten Rand beschrieben habe: „Die sollen nicht in die Partei eintreten, die sollen uns wählen!“

Zweifellos war dieses Vorgehen erfolgreich und bescherte Lucke in kürzester Zeit einen kometenartigen Aufstieg. Doch nun, nur zwei Jahre nach der AfD-Gründung läuft er Gefahr, seinen politischen Erfolg schon wieder zu verspielen. Sein Versuch, mit dem „Weckruf 2015“ im Streit um Macht und Inhalte in der AfD noch einmal das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen, dürfte als gescheitert angesehen werden, wenn sogar seine Konkurrentin Petry bereits offen über eine Nach-Lucke-Zeit nachdenkt. Notfalls könne die Partei auch ohne ihn bestehen, sagt sie.

Wer braucht Bernd Lucke?

Schon vor Monaten begann sie damit, Mehrheiten in der Partei für sich zu organisieren. Dazu verbündete sie sich mit dem nordrhein-westfälischen Landeschef Pretzell. Gemeinsam tourten sie durch die Landesverbände und warben für ihre Positionen. Sie gab die Konservative, Pretzell den Liberalen. Von Anfang an war die Botschaft klar: Wer braucht da noch einen Bernd Lucke?

Der sah dem Treiben hilflos zu. Statt strategische Initiativen gegen Petry und Pretzell zu entwickeln, neidete er ihnen den Applaus, den sie auf der Bühne bekamen, die er ihnen leichtfertig überließ. Getrieben vom Unmut verzettelte sich Lucke in persönliche Auseinandersetzungen. Dazu zählen der Streit mit dem inzwischen beurlaubten Bundesgeschäftsführer Georg Pazderski ebenso wie der Versuch, Pretzell in der Parteikonto-Affäre vom Landesvorsitz zu stürzen, obwohl dieser von einer innerparteilichen Kommission von allen Vorwürfen entlastet worden war. Zuletzt drängte Lucke auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen den thüringischen Landes- und Fraktionschef Björn Höcke.

Statt zu einen, befeuerte er Konflikte und brach mit Vorstandsmitgliedern. Einigen reit er unter vier Augen, es sei besser, wenn sie die Partei verließen. Nur bei seiner ärgsten Gegnerin, der sächsischen Landeschefin Petry, bleibt Lucke bis heute seltsam wortkarg und zahm.

Warum fürchtet er Petry?

Als Petry am Wochenende die Kritik an seiner Amtsführung dramatisch verschärfte, schwieg er. Auf Interview-Angebote reagierte er nicht, sondern suchte sein Glück in im „Weckruf 2015“. Statt Petry zu stellen und sie zur Gegenkandidatur auf dem Parteitag aufzufordern, lamentierte er über den Zustand der Partei.

„Er fürchtet nichts so sehr wie die direkte Konfrontation mit Petry“, sagen Mitglieder, die Lucke sehr gut kennen. Und: „Er hat Angst, auf dem Parteitag gegen sie zu verlieren.“ Nur darum sei er den Weg über den „Weckruf 2015“ gegangen, mit dem er die Partei zwingen wolle, sich zu ihm und seinem Personal zu bekennen.

Um auch Stimmen aus dem Lager seiner Gegner zu bekommen, würde er Petry sogar weiterhin als Ko-Vorsitzende tolerieren. Schließlich wäre sie in einem aus Lucke-Anhänger gebildeten Vorstand isoliert. Doch sein Plan scheint nicht aufzugehen. Schlimmer noch, Lucke hat es geschafft, sich mehr und mehr selbst zu isolieren.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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