Links gibt es keine Perspektive

Eigentlich will die Linke das kapitalistische Ausbeutungssystem überwinden. Aber mit wem? Mit einer vermerkelten SPD und mit saturierten grünen Spießbürgern?

Als Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten in Deutschland vereidigt wurde, war das für viele der bislang schwerste Sündenfall seit der Wiedervereinigung. Sogar Bundespräsident Joachim Gauck äußerten „Bedenken“.

Vier Monate später scheint die Aufsehen erregendste Folge dieses Sündenfalls der von Ramelow verfügte Winterabschiebestopp für Flüchtlinge zu sein.[1] Allerdings ist er gar nicht selbst auf die Idee gekommen, sondern sein Koalitionspartner SPD. Und der wiederum übernahm sie von den Genossen aus Schleswig-Holstein, die es aus klimatischen Gründen unverantwortlich fanden, abgelehnte Asylbewerber in den Wintermonaten aus dem kalten Norden in die zumeist wärmeren Heimatländer der Flüchtlinge abzuschieben.

Gibt es ein Mitte-Links-Projekt?

Nicht jedem erschloss sich die diesem Handeln innewohnende eigenwillige Logik. Aber sie war ein Aufreger. Innenminister Thomas de Maizière warf Linken und SPD  vor, die Geschäftsgrundlage des Asylkompromisses zu verlassen. Die AfD rief gar das Thüringer Landesverfassungsgericht an. Ansonsten jedoch bietet Ramelows Regierung der Opposition kaum Angriffsflächen.

Das wiederum wirft die Frage auf, was praktische linke Politik in Deutschland eigentlich von großen Koalitionen und der merkelschen Christdemokratie im Allgemeinen unterscheidet. Gibt es etwas, was Linke gemeinsam mit SPD und Grünen anders machen würden, wenn sie die Union in die Opposition verbannten?

Rein rechnerisch wäre das schon nach der letzten Bundestagswahl möglich gewesen. Doch SPD-Chef Sigmar Gabriel fürchtete ein rot-rot-grünes Bündnis weit mehr als den zu erwartenden und tatsächlich stattfindenden Bedeutungsverlust der Sozialdemokraten an der Seite der Christdemokratie. Und die Linke?

Diemar Bartsch © GEOLITICO

Diemar Bartsch © GEOLITICO

Linken-Vizefraktionschef Dietmar Bartsch antwortet mit einer Gegenfrage: „Wo gibt es ein substanzielles Mitte-Links-Projekt, das uns sagt, wie die Gesellschaft aussehen könnte, die wir uns vorstellen?“ Damit sagt er zunächst einmal, dass ein Bündnis auf Bundesebene ganz andere Grundlagen erfordert als eine rot-rot-grüne Landesregierung, deren Gestaltungsmacht doch arg auf Innere Sicherheit, Bildung und Wirtschafsförderung beschränkt ist.

„Überwindung des Ausbeutungssystems“

Wer hingegen im Bund miteinander regieren will, braucht zumindest ansatzweise so etwas wie eine aus gemeinsamen Überzeugungen gezimmerte Weltanschauung, die als Leitbild etwa einer sozialen und ökologischen Gesellschaft dem gemeinsamen Handeln Orientierung gibt. In ihrem Parteiprogramm sieht die Linke den Kapitalismus als „eine Etappe der Menschheitsentwicklung, in der sich zwar viele Hoffnungen der Aufklärung erfüllten und eine enorme Steigerung der menschlichen Produktivkräfte stattfand, die aber auch massenhafte Verelendung, Völkermord und unvorstellbare Kriege über die Menschheit brachte“. Längst sei der Kapitalismus zu einem globalen System geworden, das „Raubbau an Mensch und Natur“ treibe und beide in eine „globale, die menschliche Zivilisation bedrohende Krise“ stürze.

„Wir sind davon überzeugt, dass den vielfachen Krisenszenarien nur durch Überwindung des kapitalistischen Ausbeutungssystems, Veränderung der Produktions- und Lebensweise, durch globale Solidarität, die Überwindung des Geschlechtergegensatzes, die Demokratisierung aller Lebensbereiche und eine Veränderung des Verhältnisses von Mensch und Natur entgegengewirkt werden kann“, schreibt Die Linke im Kapitel zum demokratischen Sozialismus. Der Kapitalismus könne überwunden werden, wenn es gelinge, „Mehrheiten zu gewinnen für einen Aufbruch zu einer anderen Art zu arbeiten und zu leben“.

Aber sind solche Mehrheiten tatsächlich im sozialdemokratisch-grünen Lager zu finden? Immerhin hält die SPD zumindest begrifflich am demokratischen Sozialismus fest, obwohl sie ihn schon mehrfach zu Grabe tragen wollte. „Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierung der Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt“, schreibt sie in ihrem „Hamburger Programm“ aus dem Jahr 2007. Dann aber lässt sie den Leser ziemlich ratlos zurück: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie.“ Da bleibt viel Raum für Interpretationen.

„Schröder hätte es getan“

„Ich will in Deutschland einen Politikwechsel mit einem Mitte-Links-Bündnis“, sagt Bartsch. „Dafür trete ich seit 1991 ein. Ob es dazu kommt, liegt nicht zuerst an uns.“[2] Will heißen, die SPD habe sich dagegen entschieden. Nicht nur Gabriel, auch schon Gerhard Schröder 2005. Wäre Oskar Lafontaine damals nicht Spitzenkandidat der Linken gewesen, hätte Schröder versucht, den Pakt zu schließen, da ist sich Bartsch sicher.

So ging die SPD in die große Koalition und degenerierte über die Jahre zu einer Zwanzig-Prozent-Partei. Die Linke hingegen gewann als Anti-Hartz-Partei von 2005 bis 2009 an Boden. Dann jedoch war Schluss. Von der 2010 ausbrechenden Euro-Krise hingegen profitierte sie nicht, obwohl sie als einzige Partei im Bundestag konsequent gegen die sogenannte Rettungspolitik der damaligen schwarz-gelben Koalition stimmte. Und ihre populärste Forderung hat die SPD zusammen mit der Union umgesetzt: den Mindestlohn.

„Der Mindestlohn allein wäre kein Projekt für ein Mitte-Links-Bündnis gewesen“, sagt Bartsch. Wer ein solches Bündnis wirklich wolle, müsse sich über eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung durch eine radikale Steuerreform, über eine „wirkliche Rentenreform“ gegen Altersarmut, für Lebensstandardsicherung und eine verbraucherorientierte Energiepolitik und vieles mehr Gedanken machen. „Wenn man ein Zukunftsprojekt starten will, muss man sich diesen Fragen stellen“, sagt Bartsch. Bei SPD und Grünen sehe er dazu jedoch wenig Bereitschaft.

Ambivalente Grüne

Die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping © GEOLITICO

Die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping © GEOLITICO

Ohne zentrale Vereinbarungen sei so ein Bündnis nicht denkbar, sagt auch Parteichefin Katja Kipping. Zu diesen Vereinbarungen zählt sie eine Mindestrente von 1050 Euro, eine radikale Reform des Gesundheitswesens zur „Abschaffung der Zweiklassenmedizin“, die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen, eine „Steuerpolitik weg vom privaten und hin zu öffentlichem Reichtum“, mit dem etwa ein öffentlicher Personennahverkehr „für alle“ finanziert werden könne. Elementar sind auch ihre Forderungen zur Außenpolitik. „Wir wollen die Kriegseinsätze der Bundeswehr und sämtliche Rüstungsexporte stoppen“, sagt die Linken-Vorsitzende. Und: „Wer Rot-Rot-Grün will, muss sich fragen: Wie können wir mehr für soziale Gerechtigkeit und ökologischen Fortschritt bewirken?“

Mit einer SPD, deren Vorsitzender die Partei auf einen Kurs trimme für Freihandelsabkommen wie TTIP, für Vorratsdatenspeicherung und in der Europapolitik für Sozialkürzungen werde es keine wirkliche Veränderung geben. Bei den Grünen hingegen sei die Lage „viel ambivalenter“. „Das ist ja im Grunde nicht ein, das sind drei grüne Parteien“, sagt sie. Am ehesten traue sie der Gruppe um Grünen-Chefin Simone Peter einen mit der Linken kompatiblen sozial-ökologischen Wandel zu.

So ist Mitte-Links für die Linke vor allem ein Machtprojekt. Inhaltlich ist der dazu erforderliche Spagat zwischen Ideal und der Unterwerfung unter die Zwänge einer Koalition im Bund für nicht wenige eher eine Zumutung. Hinzu kommen ungute Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit. In Berlin halbierte sie ihr Wahlergebnis von 2001, nachdem Gregor Gysi im Schlepptau von Klaus Wowereit eine knallharte Sparpolitik durchsetzte. Und in Brandenburg erging es ihr nicht viel besser.

Wagenknecht warnt

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine © GEOLITICO

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine © GEOLITICO

Zu denen, die zur Vorsicht mahnen, zählt Fraktionsvize Sahra Wagenknecht. „Es gibt in der Partei die Sorge, dass sich die Linke in einer Mitte-Links-Regierung verbiegt“, sagt sie. Außerdem mahnt sie zu mehr Realismus. Aktuell liege die Partei im Bund bei neun Prozent. Wenn es ihr gelinge, Teile des Nichtwähler-Lagers wieder zu reaktivieren, habe die Linke ein Potenzial von vielleicht zwölf Prozent. „Niemand erwartet von uns, dass wir ohne geeignete Partner eine Regierung bilden können“, sagt sie. Will heißen, Gedankenspiele über ein Mitte-Links-Bündnis seien eigentlich überflüssig. „Außerdem räumt Gabriel von der Vermögenssteuer über die Erbschaftssteuer, die Vorratsdatenspeicherung und TTIP alles ab, was die SPD von der CDU unterscheidet und eine Koalition ermöglichen könnte.“ Sie sei nicht dagegen zu regieren, aber sie wolle es nicht um jeden Preis. Der Mann, mit dem sie nach eigener Aussage „vertrauensvoll zusammenarbeitet“, Dietmar Bartsch, hingegen warnt: „Wer nicht grundsätzlich bereit ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen, landet am Ende bei Ergebnissen der DKP.“  Ob die weiß, dass auch sie ein Schreckgespenst der Linken ist?

 

Anmerkungen

[1] Günther Lachmann, „CDU und AfD gegen Abschiebestopp“, GEOLITICO vom 4. März 2015

[2] Günther Lachmann, „Linke Versuchung der SPD“, GEOLITICO vom 23. Juni 2014

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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