Athens Kalkül mit der Nazi-Schuld

Im Schuldenstreit will Athen die Beschlagnahme deutschen Eigentums ermöglichen, weil Deutschland seinen Reparationspflichten nicht nachkomme. Politik mit gefährlichen Emotionen.

Zwischen Deutschland und Griechenland nehmen die politischen Spannungen erheblich zu. Vor dem Hintergrund des Streits um die Aufrechterhaltung der griechischen Zahlungsfähigkeit will Griechenland einen Parlamentsausschuss einsetzen, der deutsche Reparationen erstreiten soll. „Wir versprechen, unsere Verpflichtungen einzuhalten. Aber wir erwarten dies auch von allen anderen Seiten“, sagte er an die deutsche Adresse gerichtet. „In der moralistischen Argumentation, welche die öffentliche Debatte in Europa beherrscht hat, werden wir nicht der Schüler sein, der Kopf und Blick senkt. Wir erteilen keine ethischen Lektionen, aber wir akzeptieren sie auch nicht.“

Kommt es mit Deutschland zu keiner Einigung über die ausstehenden Reparationen, soll die griechische Justiz deutsches Eigentum in Griechenland beschlagnahmen können.

Deutsche Tricks

Die Deutschen hätten ihre Schuld gegenüber den Griechen nie beglichen, sagte Tsipras. Dabei hätten sich die Verbrechen der Nazis tief in das Gedächtnis des griechischen Volkes eingegraben. „Mit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurden die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dieses Problem zu lösen“, so Tsipras. Doch die deutsche Regierung habe sich immer wieder mit rechtlichen Tricks und einer Verzögerungstaktik den Zahlungen entzogen.

Das sieht die deutsche Seite freilich anders. Ihrer Ansicht nach haben die griechischen Ansprüche mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag keine Berechtigung mehr. Angeblich sollen der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher bewusst Formulierungen vermieden bzw. gestrichen haben, aus denen sich Ansprüche von Ländern wie Griechenland hätten ableiten lassen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Griechenland zwar an den globalen deutschen Entschädigungszahlungen beteiligt, zu einer individuellen Entschädigung von Opfern kam es jedoch nicht. Vor der aktuellen Debatte um deutsche Reparationszahlungen im griechischen Parlament hatte das griechische Verfassungsgericht eine Entscheidung von 1997 bestätigt. Danach stehen den Familien der 218 Opfer von Distomo 28 Millionen Euro zu.

In der Debatte um die deutsche Wiedergutmachung hatte Griechenland bereits im Jahr 2000 Schritte eingeleitet, die denen gleichen, die Tsipras nun erwägt. Damals wurden die Deutsche Schule in Athen, das Goehte-Institut und das Deutsche Archäologische Institut Ziel von Beschlagnahmeaktionen. Damals soll das Justizministerium seine Entscheidung zurückgezogen haben, weil Deutschland dem griechischen Eurobeitritt zugestimmte.

Politik mit dem Volk

Mit dem Rückgriff auf die Reparationsfrage schürt die Tsirpas-Regierung bewusst Ressentiments gegen Deutschland. Er benutzt sie als Argument im Streit um die von der Troika angeordnete Austeritätspolitik.[1] Hinter diesem Verhalten verbirgt sich das Kalkül, die Griechen auf seine Seite ziehen zu können, auch wenn dies am Ende einen Austritt aus der Eurozone bedeuten könnte.

Tsipras will diesen Austritt nicht, aber er zieht ihn als letzte Konsequenz in Erwägung. Gleichzeitig braucht er das griechische Volk zur Durchsetzung seiner Forderungen gegenüber „den Institutionen“, wie die Troika jetzt genannt wird. Wut und Enttäuschung auf den Straßen Griechenlands bleiben auch in Brüssel nicht ohne Wirkung – und schon gar nicht in Washington und an der Wall Street, wo einen „Grexit“ zu Recht als Scheitern der Eurozone interpretiert würde.

Anders als seine Amtsvorgänger regiert Tsipras mit dem Volk gegen die Bevormundung aus Berlin und Brüssel. Er mobilisiert die Straße und provoziert geradezu das Auftauchen deutscher Wehrmachtsuniformen und Hakenkreuzflaggen bei Protesten in Athen.[2] Aber er riskiert damit auch ein Erstarke der extremen Rechten, also der Goldenen Morgenröte – und könnte deren erstes Opfer w

[1] Stefan L. Eichner, „Griechenland versinkt in Armut“, GEOLITICO vom 22. Oktober 2014

[2] Grinario, „Nazi-Vergleiche bringen Europa weder Recht noch Ordnung“, GEOLITICO vom 27. April 2013

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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