Das Problem der Linken mit Putin

Wie Südeuropa wird auch die Ukraine wird einer neoliberalen Schocktherapie unterzogen, sagt Linken-Chefin Katja Kipping. Sie lobt Syriza und tut sich schwer mit Putin. 

Ihre Zustimmung für die Griechenland-Hilfe war für die Linkspartei folgenschwer: Mit Sahra Wagenknecht zieht sich eine ihrer populärsten Politikerinnen deswegen aus der Fraktionsspitze zurück, sie wird im Herbst nicht mehr für den Vorsitz kandidieren. Parteichefin Katja Kipping erläutert im Interview das Verhältnis der Linken zu Syriza und Russland.

Frau Kipping, an den Türen Ihrer Fraktion hängen seit neuestem Plakate des griechischen Linksbündnisses Syriza und Porträts des neuen griechischen Finanzministers Yannis Varoufakis. Sind sie die neuen Leuchttürme linker Politik?

Katja Kipping: Wir sind zusammen mit Syriza in der Europäischen Linkspartei. Wir haben zusammen mit der Vorgängerpartei von Syriza die europäische Linke gegründet. Uns verbinden viele Gemeinsamkeiten.

 Die griechischen Kommunisten werfen Syriza vor, sie „verherrliche die Politik des US-Präsidenten Barack Obama“…

Kipping: …Wollen Sie uns unterstellen, dass wir wie die KKE sind?

Na, wie Syriza oder die aus den Indignados-Protesten in Spanien hervorgegangene Partei Podemos sind Sie ganz offensichtlich nicht. Denn das sind neue Gruppierungen, die sich ganz bewusst von den alten sozialistischen Parteien abgewandt haben.

Kipping: Beide sind aus den sehr besonderen Situationen in Spanien und Griechenland hervorgegangen. Es ist ihnen gelungen, die Herzen auf den Plätzen anzusprechen und zugleich die jungen Köpfe an den Hochschulen. Natürlich sind das Bewegungen gegen die herrschenden Eliten. Und es ist die Frage, inwieweit eine Partei in solchen Situationen als Teil dieser Eliten wahrgenommen wird. Ich meine, dass wir als Linke in den vergangenen Jahren in Deutschland die Grundlage dafür gelegt haben, dass wenn eine neue Dynamik in diesem Land entsteht, wir gut dastehen.

Woher nehmen Sie diesen Optimismus?

Kipping: Weil wir die Zusammenarbeit und den im Dialog mit kritischen Köpfen in Kunst und Wissenschaft sowie die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen deutlich stabilisiert haben. Wir agieren quasi als Teil der „Mosaik-Linken“.

Warum verlieren Sie dann so viele Wähler etwa an die AfD?

Kipping: Wir haben einen Teil verloren. Andererseits haben wir etwa bei der Hamburger Landtagswahl aus dem rot-grünen Lager und aus dem Lager der Nichtwähler ganz gut hinzugewinnen können.

Wo sehen Sie politische Gemeinsamkeiten mit Syriza?

Kipping: Uns verbinden zentrale Inhalte: Bisher haben zwei Dogmen die europäische Politik dominiert. Das ein war das eine war das Dogma, wenn ein Land Einnahmeprobleme hat, gibt’s Sozialkürzungen. Aber Millionäre und Konzerne werden nicht angetastet. Das andere war das Austeritätsdogma. Das heißt Kürzungsauflagen statt im Sinne des Keynesiansimus in einer Krise zu investieren. Diese beiden Dogmen findet die Linke in Deutschland genau wie Syriza falsch. Der bisherige Kurs, für den die Bundesregierung zentral mit verantwortlich ist, hat nicht nur die betroffenen Länder in soziale Katastrophen getrieben, sondern war auch volkswirtschaftlich unvernünftig. Wenn ein Land schon in der Krise ist und dann weiter kürzen muss, führt das zu einer Negativspirale. Syriza und die Linke wollen beide einen Kurswechsel in Europa, eine Abkehr von der sozial verheerenden Austeritätspolitik und der Erpressung der Menschen und demokratisch gewählter Regierungen durch die Finanzmärkte.

 So argumentieren nicht nur Linke, sondern auch die Front National. Marine Le Pen hat die Austeritärspolitik vehement kritisiert und Kanzlerin Merkel vorgeworfen: „Wenn sie die Leiden nicht sieht, denen die übrigen europäischen Völker unterworfen sind, wird Deutschland sich verhasst machen.“

Kipping: Sie wollen uns doch nicht im Ernst mit der Front National vergleichen?

 Der Vergleich bezog sich allein auf die Argumentation.

Kipping: Das ist doch absurd! Im Gegensatz zu Frau Le Pen wollen wir Fluchtursachen bekämpfen, aber nicht Flüchtlinge. Syriza und wir setzen uns für die Rechte von Migranten ein, stehen für ein soziales Europa, für die Verbindung von Umverteilung mit Fragen der Ökologie und Feminismus.

 Offenbar sind nicht alle in Ihrer Fraktion Syriza so zugetan wie Sie: Bei der Abstimmung über die Griechenland-Hilfe stimmten drei Ihrer Abgeordneten dagegen, zehn enthielten sich, darunter auch Sahra Wagenknecht.

Kipping: Wir hatten eine gute Debatte in der Fraktion, die gezeigt hat, dass es sowohl gute Gründe für eine Enthaltung und gute Gründe für ein Ja. Einig waren wir uns alle darin, dass Syriza großartig verhandelt und den Kürzungsauflagen der EU die Stirn geboten hat. Insofern sagen wir Ja zu dieser Öffnung, die Syriza erkämpft hat. Und wir sagen Nein zu dem alten Kürzungskurs, für den natürlich vor allem die Bundesregierung steht.

Was waren denn dann die „guten Gründe“ für die Enthaltungen?

Kipping: Es ist halt die Frage, was man in der Abwägung in den Mittelpunkt stelle: Dass sich Syriza nicht zu 100 Prozent durchsetzen konnte oder dass endlich ein Finanzminister der Troika die Stirn geboten hat. Klar ist: Eine Linksregierung allein wird die bisherige Europapolitik nicht vom Kopf auf die Füße stellen. Als Linke müssen wir darum auch weiterhin deutlich machen, dass hier nicht die Menschen in Griechenland gegen die Menschen in Deutschland kämpfen, sondern dass in Europa ein Kampf zwischen den sozialen Interessen und einer neoliberalen Elite stattfindet.

Markus Lanz und Sahra Wagenknecht / Foto: GEOLITICO

Markus Lanz und Sahra Wagenknecht / Foto: GEOLITICO

Die Gräben in der Fraktion sind aber wohl doch tiefer. Frau Wagenknecht sagt, mit der Zustimmung werde das „Kürzungsdiktat“ gegenüber Griechenland fortgesetzt. Sie zieht sich deshalb gar aus der Fraktionsspitze zurück.

Kipping: Bei der Frage der Abstimmung war klar: Unsere Absage an die Kürzungspolitik gilt uneingeschränkt, egal wie sich die einzelnen Abgeordneten entschieden haben.

Könnte der Rückzug Wagenknechts also auch andere Gründe haben? Gab es am Ende doch keine Chance auf die von ihr geforderte Doppelspitze?

Kipping: Das sehe ich nicht so. Und ich habe nicht vor, mich an solchen Medien-Spekulationen zu beteiligen.

Wie bewerten Sie denn das Verhandlungsergebnis der Griechen?

Kipping: Wenn man sich die Originaldokumente anschaut, stellt man fest, dass sie in einer großen Unverbindlichkeit gehalten sind. Das heißt, sie können austeritätspolitisch als auch keynesianistisch interpretiert werden. Was mich besonders freut, ist Syrizas Gesetzesvorhaben zur Abwendung der humanitären Katastrophe. Dieses Gesetz zeigt auch, welche verheerenden Folgen die bisherige Troika-Politik in Griechenland hatte. Nun gilt es sicherzustellen, dass alle Menschen Zugang zu Nahrung haben, dass massenhafte Wohnungslosigkeit bekämpft wird und dass es Zugang zu einer Grundstromversorgung gibt.

Was ist, wenn Griechenland demnächst noch ein Hilfspaket braucht. Wird die Linke dann wieder dafür sein?

Kipping: Wir haben unsere jetzige Entscheidung auf der Grundlage der Dokumente sehr wohl abgewogen. Sollte eine weitere Anfrage kommen, müssen wir uns ebenso genau anschauen, was bis dahin erreicht worden ist. Es ist Konsens in der Partei, dass wir nicht der sozial verheerenden und volkswirtschaftlich unvernünftigen Kürzungspolitik der Bundesregierung zustimmen. Der fundamentale Unterschied zu dem, was vorher war, ist, dass die neue griechische Regierung jetzt ein paar Monate Zeit bekommen hat, um ihre Vorhaben umzusetzen. Dazu gehört, dass sie den Kampf um Steuergerechtigkeit und gegen Korruption ganz oben auf ihrer Liste haben.

 Braucht Griechenland langfristig einen Schuldenschnitt?

Kipping: Letztlich hat die Politik der Bundesregierung dazu geführt, dass Griechenland seine Schulden nicht wird zurückzahlen können. Dennoch ist ein Schuldenschnitt nicht die prioritäre Frage. Was wir brauchen, ist eine gesamteuropäische Schuldenkonferenz, auf der man sich auch für die anderen Länder darüber verständigt, was die richtigen Wege aus der Krise sein können. Man könnte etwa die Schulden gekoppelt an eine Wachstumsklausel und gestreckt auf einen sehr langen Zeitraum zurückzahlen.

War nicht jeder Krisen-Gipfel der vergangenen Jahre eine Schuldenkonferenz?

Kipping: Wenn Sie das so nennen wollen. Aber die betroffenen Länder hatten da nichts zu sagen. Und darum geht es, dass sie in diesem Kreis gleichberechtigt mitreden können. Unsere Hoffnung, die wir mit Griechenland verbinden, ist, dass man überall in Europa von diesen Kürzungsauflagen und einer erpresserischen Politik Abstand nimmt. Im Grunde braucht Europa eine Art Marshallplan, und wenn die Bundesregierung schon europaweit hegemonial ist, dann soll sie von mir aus einen Merkel-Plan auflegen und in sozial-ökologische Projekte investieren, wir könnten z.B. den öffentlichen Nahverkehr überall ausbauen und auf diese Weise die Wirtschaft ankurbeln.

Inzwischen greift Europa nicht nur EU-Mitgliedern, sondern auch der Ukraine mit viel Geld unter die Arme.

Kipping: Die Ukraine wird einer neoliberalen Schocktherapie unterzogen. Alle scheinbar großzügigen Finanzierungsversprechen die bislang gemacht wurden, sind an krasse Haushaltskürzungen und so genannte Strukturreformen gebunden. In der Ukraine haben beide Seiten einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie haben das Land gezwungen, sich zu entscheiden, ob es zum Westen oder zum Osten gehören will. Wer so handelt, befeuert geradezu die Spaltung des Landes. Das betrifft Putin ebenso wie die Westen.

Wie würden Sie denn vorgehen?

Kipping: Wir würden das Herangehen an dieses Land ändern. Wer den Ukraine-Konflikt lösen will, muss sich ihm unparteiisch annähern. Angela Merkel hingegen hat von Anfang an gegen Putin Partei ergriffen. Darum hat es auch viel zu lange gedauert, bis sie erste Verhandlungserfolge erzielt konnte. Inzwischen hat sie sich zusammen mit Frankreichs Präsident Francois Hollande ein bisschen emanzipiert und betreibt nicht mehr eins zu eins das Geschäft der USA.

Täuscht der Eindruck, dass es in Teilen ihrer Partei noch die alte Moskau-Treue gibt?

Kipping: Unsere Parteitags- und Vorstandsbeschlüsse bezeugen keineswegs Einseitigkeit. Im Gegenteil, im Ukraine-Konflikt nehmen wir nicht einseitig Partei und setzen auf Besonnenheit. Leider stehen wir damit übrigens ziemlich allein. Denn ich stelle fest, dass es bei uns ein Klima der gesellschaftlichen Mobilmachung gibt, all diejenigen, die sich dem trivialen Deutungsmuster verweigern, wonach Putin allein am Bürgerkrieg in der Ukraine schuld ist, zu Putinfreunden abzustempeln. Und man muss nicht Slawistik studiert haben, um sich dadurch intellektuell beleidigt zu fühlen.

Was meinen Sie mit Mobilmachung?

Kipping: Im Zuge der Ukraine-Krise ist – auch medial – wieder ein Klima geschaffen worden, das dem des Kalten Krieges ähnelt. Es wid für einen Konflikt ein Schuldiger gesucht. Und Stimmen der Besonnenheit weder schnell der Gegenseite zugeordnet.

Warum sollten Medien das tun?

Kipping: Vielleicht, weil sich ein Freund-Feind-Schema leichter kommunizieren lässt, als über die ökonomischen Zusammenhänge aufzuklären. Wenn man darüber aufklären würde, müsste man darüber berichten, dass dieses Land von wenigen Oligarchen-Cliquen beherrscht wird, von denen ein Teil großes Interesse an einem Handel mit der EU hat, der andere Teil hingegen mit Russland Geschäfte machen will. Und so reißen sie dieses Land immer hin und her.

Unterhält die Linke Kontakte nach Moskau?

Kipping: Wir haben keine Schwesterpartei in Moskau. Im Übrigen gehört Wladimir Putins Partei nicht zum linken Parteienspektrum.

Mit wem spricht die Linke in Moskau?

Kipping: Wir haben einige lose Verbindungen und Gesprächskontakte zu Organisationen der Zivilgesellschaft, eher linkeren Parteien, Kunstschaffenden und kritischen Köpfen.

Wie haben Sie den Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow wahrgenommen?

Kipping: Der Mord an Nemzow ist ein PR-Gau für Putin, weil er das im Westen weit verbreitete Bild des undemokratischen Bösewichts bestätigt.

Und wie wirkt der Mord auf die russische Gesellschaft?

Kipping: Welche Langzeitwirkung das auf die russische Zivilgesellschaft hat, lässt sich schwer vorhersagen. Die Tat kann zu einer totalen Einschüchterung führen, sie kann aber auch der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und es jetzt eine stärkere Organisierung von Opposition gibt. Nach allem, was ich von der russichen Gesellschaft weiß, ist da alles möglich.

Auch der Widerstand gegen eine zunehmende Autokratie?

Kipping: Vor einigen Jahren gab es mal breitere soziale Proteste. Die wurden bei uns gar nicht richtig wahrgenommen. Aber bei so etwas droht natürlich immer gleich Gefängnis. Oder Straflager, wie bei Pussy Riot, für die ich mich eingesetzt habe. Russland ist weit davon entfernt, ein Land gelebter Demokratie und Partizipation zu sein. Das merkt man auch daran, dass die einzig wirklich breit verankerte und Kreml unabhängige Oppositionspartei die alte, recht orthodoxe kommunistische Partei ist.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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