Wenn Börsianer Hass-Mails schicken

Die Börse boomt. Das heißt, die Blase wird immer gefährlicher. Doch viele Börsianer ertragen die kognitive Dissonanz zwischen Kursen und Realität immer weniger.

die Hass-Mail-Reaktionen auf meine Markt-Kommentare haben in den letzten Wochen deutlich zugenommen. Das ist nicht ungewöhnlich, denn wer als Analyst immer wieder gegen den Strom schwimmt, der vertritt geradezu per Definition eine unpopuläre Position und zieht dadurch den Unmut einiger Menschen auf sich. Und wenn er darüber hinaus auch noch für radikal-liberale Prinzipien und Marktwirtschaft eintritt, dann macht er sich in unserer staatsgläubigen Gutmensch-Gesellschaft ganz schnell unbeliebt.[1] Soweit, so normal…

Interessanterweise gibt es aber auch bei den Hass-Mail-Schreibern ein gewisses Muster, das für Börsianer interessant ist: Gewöhnlich wagen sich die Hass-Mail-Schreiber erst dann aus der Deckung, wenn ein Trend schon sehr alt geworden ist. Dann erst werden sie so selbstsicher und mutig, dass sie einem Autor, der eine andere Meinung als sie selbst vertritt, ihren Hass entgegenschleudern.

Der Tag der Wahrheit

Deshalb können Hass-Mails auch als Sentimentindikator interpretiert werden. Insofern ist die aktuelle Hass-Mail-Häufung in meinem Posteingang lediglich ein weiteres Zeichen, dass wir uns in der Endphase einer riesigen Spekulationsblase befinden. Normalerweise besteht eine Hass-Mail übrigens aus zwei Teilen: Der Beschimpfung des Andersdenkenden und dem Eigenlob des Hass-Mail-Schreibers, der seine Ausführungen gewöhnlich mit einem stolzen Hinweis auf seine eigenen Börsenerfolge beendet.

Spekulationsblasen sind tückisch. Solange sie anhalten, scheinen alle, die daran teilhaben, Finanzgenies zu sein, während die wenigen warnenden Stimmen verspottet werden. Ich aber finde, der Tag der Wahrheit kommt immer erst nach dem Platzen der Blase.

Aber warum genießt der Hass-Mail-Schreiber nicht einfach stillschweigend seinen Börsenerfolg? Aus Sicht der Börsenpsychologie gibt es eine einfache Antwort auf diese Frage: Weil er die kognitive Dissonanz nicht erträgt, die sich beim Lesen einer gut begründeten Analyse ergibt, die im Widerspruch zu seiner eigenen Überzeugung steht.

Die meisten Anleger ärgern sich nicht nur über Verluste, die ihnen im Nachhinein als vermeidbar erscheinen, sondern noch mehr über entgangene Gewinne, die scheinbar leicht zu erzielen gewesen wären. Man mag es kaum glauben, aber entgangene Gewinne führen sogar zu größerer Unzufriedenheit als reale Verluste.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Wall Street immer bullish ist, also stets zum Kauf von Aktien rät – auch wenn die fundamentale Bewertung absurde Niveaus erreicht. Nicht umsonst heißt das bewusst doppeldeutig formulierte Wall Street-Credo „Bull sells“.

Die Kunst des Aussteigens

In den vergangenen beiden Jahren habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass ich konservativen Anlegern ausdrücklich nicht dazu raten kann, bei einer Spekulationsblase wie der aktuellen mitzuzocken, weil das Risiko massiver Verluste einfach viel zu groß ist.

Die US-Börsen und der DAX sind weiter gestiegen. Hier ist die Blase also immer größer und damit auch gefährlicher geworden.[2] Wer hier trotz des extrem hohen Risikos mitgezockt hat, kann sich jetzt also über (Buch)-Gewinne freuen.

Doch aufgepasst: Sie erinnern sich vielleicht noch an die Zeiten des Neuen Marktes. Wie viele Buchgewinn-Millionäre kannten Sie damals persönlich? Wahrscheinlich einige. Und jetzt überlegen Sie bitte, wie viele davon es wirklich geschafft haben, Ihre Buchgewinne in realisierte, also bleibende Gewinne umzuwandeln. Wahrscheinlich nur sehr, sehr wenige. Die Kunst besteht also nicht nur darin, richtig einzusteigen, sondern vor allem auch rechtzeitig auszusteigen.

Wer aber stark von Gier getrieben ist und nicht die Kraft hat, sich dem Herdendruck einer Spekulationsblase entgegenzustellen, wird früher oder später von dem massenpsychologischen Sog erfasst, den jede Spekulationsblase entfaltet. Ein zentrales Ergebnis der experimentellen Psychologie lässt daran keinen Zweifel: Die meisten Menschen folgen der Mehrheitsmeinung – auch wenn sie offensichtlich falsch ist!

Zurzeit lautet die Mehrheitsmeinung rund um die Börse, dass kein Weg an der Aktie vorbeiführe. Da die Zentralbanker den konservativen Sparer langsam, aber sicher enteignen, müsse dieser das Sparen aufgeben und stattdessen Aktionär werden.

Warren Buffetts Indikator

Achtung: Wer ein Anhänger der Mehrheitsmeinung ist, dann sollten Sie sich den folgenden Chart nur anschauen, wenn Sie kognitive Dissonanzen ertragen können. Dieser Chart zeigt Ihnen eine Kennzahl der fundamentalen Aktienbewertung, die Warren Buffett einst als den einzigen makroökonomischen Indikator bezeichnet hat, den ein Anleger unbedingt kennen sollte: Die Aktienmarktkapitalisierung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Grafik: Claus Vogt

Grafik: Claus Vogt

Wie wir sehen, hat diese Kennzahl längst ihr Hoch des Jahres 2007 überschritten. Inzwischen hat sie sich sogar ihrem Spitzenwert des Jahres 2000 genähert. Nur während weniger Monate Anfang 2000 stand diese Kennzahl höher als heute. Das Risiko an den Aktienmärkten ist also vergleichbar hoch wie damals, als der DAX um mehr als 70% gefallen ist und der Neue Markt sogar um 95%.

 

Anmerkungen

[1] Siehe Konrad Kustos, „Der neue Umgang mit der Wahrheit“, GEOLITICO vom 28. Dezember 2014

[2] Claus Vogt, „Countdown zum Börsencrash“, GEOLITICO vom 1. Oktober 2014

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Über Claus Vogt

Claus Vogt ist Chefredakteur des Börsenbriefs „Krisensicher Investieren“. Zusammen mit Roland Leuschel schrieb er die Bücher „Das Greenspan-Dossier“, „Die Inflationsfalle“, „Bitcoin & Co. - Finte“ oder „Neugestaltung des Geldsystems?“. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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