Riss zwischen Lucke und Petry

In diesem Jahr will sich die AfD programmatisch festlegen: Soll sie national-konservativ oder marktliberal sein? Parteichef Lucke geht auf Distanz zu Petry.

Selten liegt die Seele einer Partei so offen wie jetzt die der AfD. Auf allen Ebenen diskutieren Mitglieder über die künftige Ausrichtung der einstigen Protestpartei; sie formulieren ihre Grundsätze, sprich sie gießen das ideologische Fundament, in denen die AfD bis zum Jahresende ihre programmatischen Leuchttürme verankern kann, die ihrer Politik künftig eine feste Orientierung geben sollen. Und wie immer in der Politik ist dieses Herantasten an den Kern dessen, was die Partei in Zukunft ausmachen soll, mit dem Bemühen derer um Macht und Einfluss verbunden, die seit der Gründung der AfD als Repräsentanten ihrer beiden wichtigsten Strömungen gesehen werden, dem eher rechten und dem wirtschaftsliberalen Flügel.

Seit Parteichef Bernd Lucke auf dem Bremer Parteitag in der Abstimmung über die Satzung und damit über die künftige Führungsstruktur der AfD über seine Widersacher siegte, steht er unangefochten an der Spitze.[1] Wie bei kaum einem anderen sehen die Mitglieder in dem tiefgläubigen Christen, Familienvater und Ökonom Lucke die Grundzüge der Partei vereint. Daher dürfte es kaum jemand wagen, ihm seine künftige Rolle als alleiniger Vorsitzender streitig zu machen. Aber um alle anderen Posten wird gerungen.

Es gärt in der Gerüchteküche

Zunächst einmal steht im Sommer die Reduzierung auf eine Doppelspitze an. Bisher sprechen neben Lucke gleichberechtigt Frauke Petry und Konrad Adam für die Partei. Als die Parteispitze zum Jahreswechsel nach langem und heftigen Streit endlich zu einem Kompromiss im Streit um die künftige Führungsstruktur fand, galt Frauke Petry als Kandidatin für die Doppelspitze gesetzt.[2] Inzwischen aber scheint das gar nicht mehr so sicher. Seit dem Parteitag gärt es in der Gerüchteküche. Von dort wir kolportiert, Lucke sähe statt Petry viel lieber die schleswig-holsteinische Landeschefin und EU-Abgeordnete Ulrike Trebesius an seiner Seite.

Abwägig wäre das nicht. Immerhin hatte Petry den Parteichef wiederholt heftig kritisiert. Vor Weihnachten sprach sie abfällig von einer „One-Man-Show“, die eine selbstbewusste Mitgliederpartei nicht tolerieren dürfe. Sie mit AfD-Vize Alexander Gauland, dem nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden und EU-Abgeordneten Markus Pretzell sowie der Berliner EU-Abgeordneten Beatrix von Storch zu jenem Kreis der Lucke-Widersacher im Satzungs-Streit. Und Petry war es, die noch am Abend der Hamburg-Wahl die maßgeblich von Lucke gutgeheißene Wahlkampfstrategie in der Hansestadt mit deutlichen Worte infrage stellte.[3]

Trebesius hingegen stand bisher immer loyal an der Seite des Parteichefs. In Bremen feierte sie zusammen mit Lucke dessen Abstimmungserfolg demonstrativ auf der Parteitagsbühne. Ihr vielleicht größtes Handicap ist ihre fehlende Bekanntheit. Daran werde jedoch bereits gearbeitet, heißt es in Parteikreisen. Eine erste Bewährungsprobe habe sie jüngst in der N24-Talkshow von Michel Friedman jedenfalls glänzend überstanden, sagen auch jene, die ihr nicht in jeder Hinsicht wohlgesonnen sind.

Greve als Generalsekretär?

Unabhängig davon, ob Trebesius für das höchste Parteiamt neben Lucke kandidieren sollte, werden ihr beste Voraussetzungen für die anstehende Wahl der neuen Führungsstruktur, die dann erstmals auch den Generalsekretär vorsieht, im Dezember prophezeit.

Aber wer wird Generalsekretär? Diese Frage zählt zu den am heißesten diskutierten in der AfD. Vor dem Bremer Parteitag wurde Petry schon mal mit diesem Amt in Verbindung gebracht. Inzwischen jedoch hat sich auch hier das innerparteiliche Meinungsbild gewandelt. Da der Vorsitzende das Vorschlagsrecht hat und alle davon ausgehen, dass Lucke Vorsitzender sein wird, sei der Generalsekretär im Umfeld seiner engsten Vertrauten zu suchen, heißt es.

Gustav Greve. Quelle: AfD

Gustav Greve. Quelle: AfD

Genannt wird etwa der Name des langjährigen CDU-Mannes Gustav Greve. Lucke und ihn verbindet eine Tätigkeit im Büro des früheren CDU-Wirtschaftssenators Elmar Pieroth, für den sie allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten arbeiteten. Heute ist Greve im AfD-Bundesvorstand für den Arbeitskreis Europapolitik zuständig, Lucke sein Chef. An dem Verhältnis der beiden hat das nichts geändert. Auf Greve kann sich Lucke zu 100 Prozent verlassen.

Mit Lucke, Trebesius und Greve bekäme die AfD eine Führung, deren Kurs etwa dem der CDU vor 15 Jahren gleichen dürfte, die jedoch wirtschaftspolitisch auf dem von Lucke mitunterzeichneten neoliberalen Hamburger Appell des Jahres 2005 aufbauen könnte. Ein solches Team würde gut zu den wirtschaftsliberalen Positionen von Parteivize Hans-Olaf Henkel und dem Europaabgeordneten Joachim Starbatty passen.

Beatrix von Storch auf einer AfD-Veranstaltung in Schleswig-Holstein © GEOLITICO

Beatrix von Storch auf einer AfD-Veranstaltung in Schleswig-Holstein © GEOLITICO

Eine solche Entwicklung wollen Petry, Gauland, Pretzell[4] und von Storch nach Kräften verhindern. Unlängst hätten sie sich zum „Strategiegespräch“ bei von Storch in Berlin getroffen, heißt es. Dabei seien Möglichkeiten ausgelotet worden, wie sie für sich Mehrheiten in den Landesverbänden und damit Einfluss in der Partei organisieren könnten. Den Gerüchten zufolge wollen zumindest Gauland, Petry und von Storch als stellvertretende Vorsitzende kandidieren. Pretzell soll noch unentschlossen sein, obwohl er nach Ansicht der anderen als „liberales Gesicht“ in ihrem Kreise unverzichtbar sei.

Euro-Politik genießt Priorität

Auf jeden Fall habe er schon einen Teil seines nordrhein-westfälischen Landesverbandes für Petry begeistern können, der an diesem Wochenende zu einem Programmparteitag in Kamen zusammenkommt. Nicht ohne Grund wird Petry in Kamen erwartet, am Sonntag will auch Lucke anreisen. Denn in Kamen wird sich erstmals auch zeigen, wohin sich die AfD inhaltlich orientieren dürfte. All die in den zehn Landesfachausschüssen des mitgliederstärksten Landesverbandes geführten leidenschaftlichen Debatten flossen in ein über 300 Seiten dickes Buch mit programmatischen Anträgen. Da ist vom Kindeswohl bis hin zur Sterbehilfe alles dabei. Und damit der Parteitag nicht im Chaos versinkt, hat die AfD über ein Online-Voting vorab schon mal die Zustimmungsraten zu den über 80 Anträgen ermittelt.

Ganz weit vorn in der Prioritätenlisten landeten finanzpolitische Themen rund um den Euro. Die „Begrenzung der Haftung Deutschlands für EFSF und ESM“ erhielt 97 Prozent Zustimmung, der Antrag „Vorrag der deutschen Finanzaufsicht vor europäischen Regelungen“ kam auf 96 Prozent. Den gleichen Wert erzielte auch der Antrag mit der Überschrift „Der Euro kostet die deutschen Bürger Jahr für Jahr einen dreistelligen Milliardenbetrag“. Und die Forderung nach einer „Reduzierung der Funktionen der EZB“ wurde von 96 Prozent der Mitglieder unterstützt. Wundern mag einen das Ergebnis nicht, schließlich ist die AfD mit genau diesen Themen im April 2013 ins Leben gerufen worden.

Allerdings waren durch die Landtagswahlkämpfe 2014 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg andere Themen wie Zuwanderung, mehr direkte Demokratie sowie bildungs- und familienpolitische Fragen in den Vordergrund gerückt. Auch diese Themen erzielten beim Online-Voting in Nordrhein-Westfalen nahezu gleich hohe Zustimmungsraten wie die Europolitik. Mit 96 Prozent lagen die Angräge „Direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild auch in NRW“ und „Kontrollierte Zuwanderung nach kanadischem Vorbild“ gleichauf.

National-konservativer Grundton

Ein „12-Punkte Forderungskatalog, um die Belastung der Kommunen durch den nahezu ungeregelten Zustrom von Asylbewerbern und Flüchtlingen abzumildern“ erreichte 94 Prozent Zustimmung, ein Antrag zur „schulischen Bildung und Inklusion“ ebenfalls. Darin spricht sich die AfD für das bestehende Förderschulsystem aus und fordert: „Ein inklusives Schulkonzept muss, wenn es einen Sinn haben soll, den Menschen mit Behinderungen mindestens so viel Unterstützung bieten, wie das jetzige System der Förderschulen.“ Im Vergleich zu diesen Themen schnitten die Anträge „Förderung der traditionellem Familie“ und „Leistungausgleich für Familien“ mit je 81 Prozent Zustimmung zwar schlechter ab, der Antrag „Wirtschaftspolitisches Leitbild Soziale Marktwirtschaft“, lag mit 90 Prozent Zustimmung noch davor.

Unschwer zu erkennen ist in dem Voting einerseits das in der Finanzpolitik und der Zuwanderungspolitik zum Ausdruck kommende nationale Interesse, andererseits die konservative Einfärbung in der Bildungs- und Familienpolitik. Insofern kann durchaus von einem national-konservativen Grundton der nordrhein-westfälischen Programmdebatte gesprochen werden, wie er im vergangenen Jahr bereits in den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen zum Ausdruck kam.

Im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf war die AfD anders als im Osten aufgetreten. Zwar bediente sie mit ihren Plakaten konservative Themen, trat in ihren Veranstaltungen jedoch vor allem wirtschaftsliberal auf. Letztlich ging das damit verbundene Kalkül nicht auf, die FDP kleinhalten und in den wohlhabenderen Stadtteilen deren Stimmen für sich gewinnen zu können. Im noblen Blankenese holte die AfD 6 Prozent und musste zusehen, wie die FDP mit 12,3 Prozent vorbeizog. An der Alster in Rotherbaum-Uhlenhorst kam sie gar nur auf 3,4 Prozent, die hingegen auf 9,8 Prozent. Vor allem die Arbeiter hätten AfD gewählt, resümierten die Demoskopen.[5] Eine nicht unwichtige Erkenntnis, die in der Debatte um Inhalte und Personen ganz sicher von Bedeutung sein wird.

Anmerkungen

[1] Günther Lachmann, „AfD bindet ihr Schicksal an Lucke“, GEOLITICO vom 1. Februar 2015

[2] Günther Lachmann, „Doppelspitze soll AfD retten“, GEOLITICO vom 16. Januar 2015

[3] Günther Lachmann, „Petry atteckiert die Wahlkämpfer in Hamburg“, Die Welt vom 15. Februar 2015

[4] Günther Lachmann, „AfD-Politiker über die Nazi-Keule“, GEOLITICO vom 26. Januar 2015

[5] Wolfgang Prabel, „Die afD ist die Hoffnung der Armen“, GEOLITICO vom 17. Februar 2015

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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