Troika-Politik vor dem Aus

Ein grundlegender Wandel kündigt sich an: In der EU bröckelt der Rückhalt für die Troika. Vielleicht kommt ja auch mal einer  auf die Idee, den Schaden zu berechnen, den sie angerichtet hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sowie andere führende Vertreter der Euro-Gruppe und der Europäischen Kommission haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder gesagt, der mit den europäischen Krisenstaaten im Gegenzug zu finanziellen Hilfen vereinbarte „Spar- und Reformkurs“ sei „alternativlos“.

Der dieser Politik aufgedrückte Stempel „alternativlos“, war das Totschlagargument. Die Begründung dafür ist nebulös geblieben. Diese Politik auf den Prüfstand zu stellen, war für die Euro-Gruppe nie ein Thema. Sie an den realen Folgen umfassend zu messen und darauf aufbauend zu bewerten, ist nicht geschehen. Stattdessen erhielt das Konzept einen weiteren Stempel: „erfolgreich“.

„Basta“-Politik

Negative Entwicklungen wurden entweder mit dem Hinweis darauf abgetan, dass noch nicht genug getan worden sei oder die Maßnahmen einfach mehr Zeit bräuchten, um zu wirken. So wie es jetzt etwa auch wieder der CDU-Politiker und EU-Kommissar Günther Oettinger bei einer Talkshow im deutschen Fernsehen zum Fall Griechenland tat:

„Das Land könnte in den nächsten Jahren wirtschaftlich gesund werden. Aber es dauert halt zehn Jahre. Deswegen ist Angela Merkel nicht gescheitert.“

Wirklich? Die Entwicklung der Wirtschaftsleistung und der Staatsverschuldung deuten eher nicht darauf hin – und die der anderen Krisenstaaten eher auch nicht.[1] Über Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde stets gesagt, „Basta“-Politik zu betreiben, so wie es ihr Amtsvorgänger Gerhard Schröder (SPD) tat, das sei nicht ihr Stil[2]. Sicher, Frau Merkel ist nicht allein verantwortlich für die europäische Krisenpolitik.

Doch spätestens seit die neue griechische Regierung die Troika aus dem Land warf und den Reaktionen in Deutschland ist klar, dass es eine „Basta“-Politik ist. Der Bruch der neuen griechischen Regierung mit der krisenpolitischen Konzeption, die das Land unbestreitbar in eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe führte, wird nicht akzeptiert. Der sture Hinweis darauf, dass die Tsipras-Regierung zu den vertraglich vereinbarten Verpflichtungen stehen und somit den „Spar- und Reformkurs“ fortsetzen müsse, zeigt in aller Deutlichkeit, dass der Euro-Gruppe die Argumente für ihre „Medizin“ ausgegangen sind.

Russen statt Troika

Es dürfte inzwischen kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die griechische Regierung entschlossen ist, das nicht mehr hinzunehmen und mit harten Bandagen für eine andere Krisenpolitik kämpfen wird. Dafür ist sie auch gewählt worden. Notfalls, so wurde schon berichtet, werde sie deswegen vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Denn viele Entscheidungen der vergangenen Jahre, die das harte Sparprogramm betreffen, so heißt es angeblich aus Kreisen des griechischen Finanzministeriums, seien „illegal“.

Spekuliert wird auch darüber, ob sich Athen für finanzielle Unterstützung an Russland oder China wenden könnte. Russlands Finanzminister hat sich bereits dahingehend geäußert, dass er sich das vorstellen könnte.[3] Ganz so einfach wird es für die Euro-Gruppe also nicht werden, die Anliegen Griechenlands vom Tisch zu wischen.

Im Gespräch zwischen der Euro-Gruppe und der griechischen Regierung prallten die unterschiedlichen Auffassungen hart aufeinander. Vereinfacht ausgedrückt forderte der Euro-Gruppechef Jeroen Dijsselbloem von Athen, die Alternativlosigkeit der Krisenpolitik anzuerkennen, während Finanzminister Yanis Varoufakis darauf beharrte, Alternativen zu diskutieren. Um seine Forderung zu unterstreichen, schaltete auch Varoufakis auf stur und erklärte zum Abschluss der Gespräche, dass die griechische Regierung weiter mit den Gläubigern zusammenarbeiten werde, aber nicht mehr mit der von der Euro-Gruppe beauftragten Troika, also den Experten der Europäischen Kommission, der EZB und des Internationalen Währungsfonds.

„Durch den Orkus gegangen“

Die Troika ist nicht nur in Griechenland zum Symbol für die Austeritätspolitik geworden, für die wirtschaftliche Talfahrt, den Ausverkauf des nationalen Tafelsilbers und die ungerechte Verteilung der Lasten der notwendig gewordenen Sanierung der Staatsfinanzen. Tatsache ist: Diese Sanierungspolitik hat die Wirtschaft massiv einbrechen lassen – im Falle Griechenlands um rund 20 Prozent seit 2010, rund 25 Prozent seit 2008[4] – und in der Folge auch die Staatseinnahmen. Resultat: Die Staatsschulden sind weiter gestiegen. Von einem Sanierungserfolg kann also nicht die Rede sein.

Der neue griechische Finanzminister Varoufakis ist überzeugt, dass diese Politik der „internen Abwertung“ (bzw. Austeritätspolitik) die Euro-Krisenstaaten in eine Schuldenfalle führt, aus der sie so nicht herauskommen. In der deutschen Presse wird der Wirtschaftsprofessor dazu sinngemäß wie folgt wiedergegeben:

„Du kannst keine Währungsunion haben, die vorgibt, sie könne eine große Finanzkrise schlicht dadurch überstehen, dass sie den Defizitländern unter der Bedingung mehr Geld leiht, dass sie ihre Einkommen schrumpfen sollen.“[5]

Sein Fazit zu dieser Krisenpolitik ist denn auch unmissverständlich: Schulden könne nur bezahlen, wer wachse und Überschüsse erwirtschafte. Beides werde in Griechenland systematisch verhindert:

„Meine Botschaft an den deutschen Durchschnittswähler lautet. Es ist nicht so, dass Deutschland diesem Land nicht genug Geld gezahlt hätte. Das Problem war, dass es eine riesige Summe war, die durch den Orkus gegangen ist.“

Mit dieser Auffassung steht er in Europa keineswegs allein. Sehr ähnlich hat sich jetzt etwa auch der Chef der britischen Notenbank, der Bank of England, Mark Carney, geäußert.[6]

Syriza will reformieren

Man braucht inzwischen wahrlich kein Experte mehr zu sein, um erkennen zu können, dass es in der Tat gute Argumente gibt, die bisherige Krisenpolitik der Euro-Gruppe auf den Prüfstand zu stellen. Sie weiterhin als einzige und vor allem richtige Lösung verkaufen zu wollen, das wird nicht durchzuhalten sein. Es könnte zudem bedeuten das Risiko in Kauf zu nehmen, die Währungsunion an die Wand zu fahren. Denn auf einen Euro-Austritt jener Länder, die die Austeritätspolitik nicht mehr akzeptieren wollen, läuft die in diesem Punkt harte Haltung der Euro-Gruppe letztlich hinaus.

Für diese Art von Krisenpolitik weiterhin Alternativlosigkeit zu reklamieren, ist angesichts der realen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen, die sich im Zuge der Anwendung derselben in den Krisenstaaten ergeben haben, inzwischen kaum mehr als ein Feigenblatt, hinter dem sich – so könnte man annehmen – ideologisch bedingte Verbohrtheit verbirgt.

Im jetzt ausgebrochenen Streit zwischen der Euro-Gruppe und der neuen griechischen Regierung geht es nicht so sehr ums Geld. Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission und auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, haben längst deutlich gemacht, dass es bei den Zahlungsbedingungen und –fristen durchaus noch Spielraum gibt.[7] Es geht, wie Yanis Varoufakis sagte, Griechenland darum, nicht noch mehr Steuerzahlergeld durch eine falsche Krisenpolitik zu verbrennen.

Es geht auch nicht darum, dass Griechenland Reformen generell ablehnt. Im Gegenteil hat Athen bereits klar gemacht, dass es die Verwaltung reformieren und die Korruption gezielt und konsequent verfolgen will. Das spiegelt sich auch im neuen Zuschnitt der Ministerien und in der personellen Besetzung der Ressorts wider.[8] Tatsächlich deutet sogar einiges darauf hin, dass die Tsipras-Regierung das viel konsequenter tun wird als die Samaras-Regierung.

Stimmung kippt

Im Kern geht es einzig und allein darum, ob die bisherige austeritätspolitische Krisenpolitik auf den Prüfstand gestellt wird oder nicht. Und wenn sich Euro-Gruppen-Politiker genau dagegen sperren, dann setzen sie sich dem Verdacht aus, es nur deswegen zu tun, weil sie fürchten, dass das Resultat sie schlecht aussehen lassen könnte.

So oder so führt der Streit mit der Regierung Griechenlands schon jetzt dazu, dass auch in anderen Euro-Ländern der Widerstand gegen die europäische Krisenpolitik stark wächst. Dieses Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen, es sei denn, die Regierung Tsipras würde kleinbeigeben. Wer allerdings glaubt, das werde sie tun, täuscht sich. Alles deutet darauf hin, dass sie mit harten Bandagen für eine andere Krisenpolitik kämpfen wird. Und gar so schlecht sind ihre Karten nicht.

Die Stimmung in Europa scheint zugunsten einer Neuverhandlung des krisenpolitischen Konzepts zu kippen. Denn auch in anderen Krisenländern zeichnen sich regierungsfähige Mehrheiten in der Bevölkerung dafür ab. Die Parlamentswahlen in Portugal und Spanien in diesem Jahr werden den letzten Ausschlag geben.

Wer also darauf wetten will, dass Europas bisherige Krisenpolitik oder genauer gesagt die Troika-Politik vor dem Aus steht, hat keine schlechten Chancen diese Wette zu gewinnen. Bleibt nur die Frage, wie sich die bisherigen Verfechter der Austeritätspolitik dann aus der Affäre zu ziehen versuchen werden. Möglicherweise kommt dann ja auch noch jemand auf die Idee einmal nachzurechnen, wie groß der wirtschaftliche und finanzielle Schaden ist, der dadurch angerichtet wurde.

Anmerkungen

[1] Stefan L. Eichner, „Warum der Euro immer tiefer sinkt“, GEOLITICO vom 9.01.2015

[2] siehe auch: Günther Lachmann, „Wer wissen will, wer Merkel ist, sollte ihre Förderer kennen“, GEOLITICO vom 19.05.2013

[3] „Russland: Finanzminister hält Hilfe für Griechenland möglich“, SPON vom 29.01.2015

[4] siehe Anm. 1

[5] Reinhard Baumgarten, „Das große Spiel des Yanis Varoufakis“, tagesschau.de vom 30.01.2015

[6] Larry Elliot, „Bank of England governor attacks eurozone austerity“, The Guardian vom 28.01.2015

[7] „Längere Tilgungsfristen: Schulz kommt Griechenland entgegen“, SPON vom 30.01.2015

[8] Pavlos Zafiropoulos, „New SYRIZA – Independent Greeks Cabinet Announced“, The TOC vom 27.01.2015

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Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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