AfD bindet ihr Schicksal an Lucke

Wer ist diese AfD? Sie weiß es selbst noch nicht und hofft, das Bernd Lucke es ihr sagt, dass er ihr eine Identität gibt. Vertraut sie dem Richtigen?

Eine Partei sucht sich selbst. Die AfD ist jung, erfolgreich, aber wer sie eigentlich ist und vor allem, welche Partei sie letztlich sein will, darüber ist sie mit sich immer noch im Unreinen. Solche Prozesse der Selbstvergewisserung gibt es zwar nicht nur bei der AfD. Seit Jahren etwa leiden die Sozialdemokraten unter einen irritierenden Identitätsverlust, und auch CDU-Mitglieder wissen zuweilen nicht mehr, in welcher Partei sie eigentlich sind. Doch der AfD fehlt als junger Partei jenes ideologische und weltanschauliche Fundament, auf das sich die anderen – und mag es auch noch so brüchig sein – letztlich immer wieder stützen können.

Ziel des Bremer AfD-Parteitages war es, dem Selbstbild mit Hilfe einer anderen Führungsstruktur zumindest einen neuen Rahmen zu geben. Nach leidenschaftlicher Debatte entschieden die Mitglieder, dem Wunsch ihres Vorsitzenden Bernd Lucke zu folgen. Ab Dezember, wenn das Programm verabschiedet sein soll, wird die AfD also nur noch einen Sprecher haben.

Leitwolf Lucke

Nach Luckes Ansicht hatte sich der alte Rahmen, also die Dreier-Spitze, als nicht tauglich erwiesen. Indem er ihn verwarf und eine neue Satzung vorlegte, stellte er, gewollt oder ungewollt, auch die an das Selbstverständnis rührenden Fragen. Und wie immer, wenn existenzielle Fragen beantwortet werden müssen, wurden große Unterschiede in der Selbstwahrnehmung und in der Erwartung offenbar, die Mitglieder und Führungspersonal an die AfD stellen.

Von außen wird die AfD zumeist als heillos zerstrittene politische Kraft wahrgenommen. So war es auch zu Beginn des Parteitages am Freitagabend wieder, als die Diskussion um einige Hundert Anträge unter anderem zur Änderung der Tagesordnung öffentlich als Beleg für eine Chaos-Partei herangezogen wurden.

Tatsächlich aber war es eine Minderheit, die hier sehr zum Unmut der überwältigenden Parteitagsmehrheit für Diskussionen sorgte, die wiederum ihren Vorsitzenden Lucke mit stehenden Ovationen huldigte, noch bevor dieser auch nur ein Wort gesagt hatte. Mit diesem Empfang sandte die Basis gleich zu Beginn die unmissverständliche Botschaft aus, dass diese Partei endlich den Frieden mit sich selbst finden möge und dass sie ohne zu zögern bereit, sich dazu hinter einem Leitwolf Lucke zu versammeln.

Differenzen in der Wahrnehmung

Zum besseren Verständnis und der Einordnung dieser Geste ist es wichtig zu wissen, dass es sich um einen Mitgliederparteitag handelte. Anders als die großen Parteien, die Delegierte aus den Landesverbänden zu Bundesparteitagen schicken, deren Abstimmungsverhalten also zuvor bereits durch die Auswahl der Delegierten mehr oder weniger „sichergestellt“ wird, konnte sich jedes AfD-Mitglied zu diesem wichtigen Parteitag anmelden, auf dem über die neue Führungsstruktur beschlossen werden sollte. Wie die AfD auf die neuen Führungspläne reagieren würde, war folglich bis zu dem umjubelten Empfang für Lucke ungewiss. Danach aber war jeder, der auf einen anderen Ausgang gehofft haben mochte, jeder Illusionen beraubt.

Genau genommen, war der Empfang für Lucke ein Hilferuf der Basis, die in den Wochen des Jahreswechsels einen öffentlich ausgetragenen und zermürbenden Machtkampf an der Spitze Partei erlebt hatte. Sie wollten, dass endlich wieder Ruhe einkehrt. In dem Streit war es einerseits um Posten, andererseits aber auch um Inhalte wie das Verhältnis der AfD zu Pegida gegangen.

Äußerungen von AfD-Vize Alexander Gauland und Ko-Sprecherin Frauke Petry hatten der Partei den Vorwurf eingebracht, sich am rechten Rand anzubiedern. Und so demonstrierten in der Bremer Innenstadt denn auch Tausende gegen die AfD, der sie Islamfeindlichkeit unterstellten.

„Aus Sicht der Wählerinnen und Wähler in Deutschland gehört die AfD klar zum rechten Teil des Parteienspektrums“, schrieben die Demoskopen von Infratest dimap in einer wenige Tage vor dem Parteitag erstellten Analyse. Dieses Bild steht in diametralem Gegensatz zum dem, das die AfD-Mitglieder von ihrer Partei haben. Sie sehen sich vielmehr als Partei der gesellschaftlichen Mitte, die zwar konservativ, aber zutiefst bürgerlich ist und keinesfalls zu Extremen neigt. „Damit sei die Differenz zwischen der Außen- und der Innenwahrnehmung so groß wie bei keiner anderen Partei“, resümiert Infratest dimap.

„Ich bin das Gesicht der Partei“

Aber auch innerhalb der Partei ist die Selbstwahrnehmung sehr unterschiedlich. So wird etwa Lucke in der Bundesgeschäftsstelle und von Teilen des Vorstandes ganz und gar anders eingeschätzt als von der Parteibasis, die ihm zujubelt. In der Parteispitze heißt es, Lucke äußere sich oftmals widersprüchlich. Pegida etwa habe er zunächst äußerst kritisch betrachtet, dann Gespräche toleriert.

Einerseits bekämpfe er rechtsextreme Bestrebungen von Mitgliedern, ermutige aber andererseits mit umstrittenen Wahlkampfparolen wie „Wir sind nicht das Weltsozialamt“ den rechten Rand zum Engagement für die AfD. Es sei eine Schwäche von ihm, sich nicht festlegen zu wollen.Gleichzeitig bezeichnet Gauland ihn als „Kontrollfreak“, Petry warnte ihn vor Weihnachten vor einer „One-Man-Show“. Eine gedeihliche Zusammenarbeit mit ihm sei kaum möglich, heißt es immer wieder.

An der Basis hingegen gilt er als Integrationsfigur. Von ihm erhoffen sich die Mitglieder, dass er die Richtung vorgibt, die dann wohl irgendwie in die Mitte weisen soll. Mit welchen Inhalten, weiß keiner so genau. Denn da gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen sind für, die anderen gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Die einen sind für, die anderen gegen Russland-Sanktionen.

Es ist eines der größten Rätsel dieser Partei, in der kaum etwas vertraulich bleibt und durch Indiskretionen an großes Maß an Transparenz hergestellt wird, wie zwei so differierende Auffassungen über den Vorsitzenden parallel zueinander entstehen konnten.

Vor diesem Hintergrund ist Luckes Selbsteinschätzung umso bemerkenswerter, der in seiner ebenfalls mit stehenden Ovationen belohnten „persönlichen Erklärung“ zur Satzungsänderung frank und frei den Mitglieder zurief: „Ich war der Motor, der im Bundesvorstand die Dinge vorangetrieben hat. (…) Wie kein anderer bin ich das Gesicht dieser Partei gewesen. Und die in mich gesetzten Hoffnungen will nicht zerstören.“ Nach diesem Satz dürfte sich die Frage erübrigen, wer seiner Ansicht nach künftig der alleinige Vorsitzende der AfD sein könnte. Den Mitgliedern jedenfalls scheint es Recht zu sein.

„Luckes Machtanspruch“

Als Grund für die neue Satzung mit einem einzigen Vorsitzenden zog er ein Resümee, das ebenfalls aufhorchen ließ. Der bisherige Bundesvorstand habe „stümperhaft“ gearbeitet. Darum müsse ein hauptberuflicher Generalsekretär her, der den künftigen Bundesvorsitzenden entlasten könne. „Ein Generalsekretär muss 100 Prozent loyal sein Und das geht nur gegenüber einer Person“, sagte er.

Ausgerechnet der Vorsitzende der Satzungskommission, Albrecht Glaser, widersprach ihm heftig. Es sei unredlich, bisherigen Vorstand schlechtzureden, nur um eine neue Satzung durchzusetzen. „Die bisherige Regelung hatte für eine große Faszination: Das gab es in Deutschland bisher nicht. Die politische Welt war erstaunt, dass eine Bürgerbewegung sich nicht so aufbaut wie die Altparteien“, sagte er.

Im Übrigen gehe es nicht nur darum, ob die Partei einen oder drei Sprecher habe. Denn es solle ein Präsidium mit Vorstand eingeführt werden. „Ein 13-köpfiger Vorstand soll noch einmal geteilt werden in ein Präsidium und den Gesamtvorstand. Das heißt, der eine Sprecher und das Präsidium sind im Ergebnis sechs Personen. Die werden die Partei steuern“, sagte Glaser.

Außerdem gebe es „neben der Verengung des Parteivorstands auf ein Präsidium noch den Generalsekretär“. Zwar sei in der Satzungskommission mit Zweidrittelmehrheit beschlossen worden, dass der Generalsekretär vom Parteitag gewählt wird. „Das war jedoch nicht einfach, diese Entscheidung hinzubekommen. Gewollt war einer, der vom Vorstand alleine zu bestimmen ist. Das war nicht mehrheitsfähig, aber gewollt. So dass man sehr wohl die angestrebte Machtkonzentration sehen kann“, sagte er und legte so Luckes ursprünglichen Pläne offen.

Von der CDU abgekupfert

Wenn nun in der Satzung stehe, der Generalsekretär sei dem Vorsitzenden unterstellt und nicht dem Gesamtvorstand, dann könne in Zukunft ein zweiter Sprecher oder ein stellvertretender Sprecher dem Generalsekretär was auch immer sagen. „Er wird antworten: Tut mir leid, Herr Vorstand, ich habe nur einen Chef“, so Glaser und kritiserte: „Das kann nicht richtig sein für eine hochbezahlte Führungspersönlichkeit.“

Auch er erhielt donnernden Applaus, der Lucke unübersehbar erblassen ließ. Sodann schob Glaser noch schnell nach: „Übrigens ist das, was nun in der Satzung steht, eins zu eins aus der Satzung der CDU abgeschrieben. Man könnte den Eindruck haben, dass wir als neue Partei etwas schnell altern.“

Am Ende bestritt niemand, dass dieser Parteitag nur einen Sieger hatte: Bernd Lucke. Frauke Petry hatte es wohl kommen sehen, denn sie hatte am Freitagabend bereits für sich und andere um Nachsicht geworben: Gewinner im Satzungsstreit hätten auch die Verpflichtung, die Unterlegenen weiterhin einzubinden, sagte sie. Lucke ist darauf nicht weiter eingegangen.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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