Signal für ein anderes Europa

 Nach dem Wahlsieg von Syriza in Griechenland ist das politische Establishment vor allem in Spanien und Großbritannien herausgefordert. Entsteht ein neues Europa?

An der Ostküste der Vereinigten Staaten wird ein extrem starker Schneesturm erwartet – an den Finanzmärkten ist ein der Sturm nach dem gestrigen Wahlsieg des Linksbündnis­ses Syriza in Griechenland hingegen ausgeblieben. Weder der Euro noch Europas Börsen reagierten heftig. Auch bei den Staatsanleihen europäischer Krisenstaaten einschließlich der von Griechenland blieben starke Reaktionen aus. Nur die Börse in Athen verzeichnet deutlichere Verluste. Deswegen bereits jetzt Entwarnung zu geben, wäre jedoch verfrüht.

Der Syriza-Sieg war an den Märkten erwartet worden. Alle Umfragen hatten dies prognostiziert. Gleichwohl hat die Syriza besser abgeschnitten als von den meisten erwartet – aber nicht gut genug, um alleine regieren zu können. Dafür hätte sie 151 der insgesamt 300 Sitze im Parlament erringen müssen. Tatsächlich kann sie jetzt 149 Abgeordnete stellen.

Historischer Einschnitt

Einen Überblick über den Ausgang der Wahl beim gegenwärtigen Auszählungsstand gibt nachfolgende Tabelle:

SLE_Ergebnis der Parlamentswahl in Griechenland Jan 2015rev

SLE_Ergebnis der Parlamentswahl in Griechenland Jan 2015rev

Dass die Börsen über den Sieg einer Linkspartei nicht jubeln würden, war klar gewesen. Für die Regierungen der Euro-Gruppe wie für die Finanzmärkte ist die Syriza allerdings ein immer noch weitgehend unbeschriebenes Blatt. Denn das Linksbündnis gibt in Griechenland sein Regierungsdebüt. Es wird also ein Kabinett von Newcomern sein und wie die praktische Politik konkret aussehen wird, ist noch nicht klar. Dasselbe gilt für den Verlauf der Verhandlungen mit der Euro-Gruppe. Für Griechenland selbst, das über Jahr­zehnte immer nur von der konservativen Nea Dimokratia oder der sozialdemokratischen PaSoK regiert wurde, ist es ein historischer Einschnitt. Was das letztlich für Griechenland bedeutet, ist noch nicht abzusehen.

Was ebenfalls schwer abzuschätzen ist, sind die Folgen des Wahlausgangs für die in diesem Jahr anstehenden Parlamentswahlen in den Euro-Krisenländern Portugal (Oktober 2015) und Spanien (Ende 2015). Das politische Establishment wird vor allem in Spanien von einer weiteren neuen Linkspartei herausgefordert, die aus einer Protestbewegung gegen den austeritätspolitischen Kurs der konservativen Regierung entstanden ist.

Podemos („Wir können“) lag in den Umfragen der letzten Wochen teils knapp hinter, teils aber auch vor der allein regierenden konservativen „Partido Popular“ (PP) des Ministerpräsi­denten Mariano Rajoy. Spaniens Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) überflügelt die neue Protestpartei in den meisten Umfragen sogar bereits deutlich.

Tsipras nicht unterschätzen

Dass die Syriza das politische Establishment Griechenlands entmachtet hat, könnte nicht nur Podemos in Spanien, sondern auch der britischen Unabhängigkeitspartei (Ukip) bei den Wahlen zum britischen Unterhaus in diesem Jahr (Anfang Mai) zusätzlichen Rückenwind geben. Denn die Ukip will erklärtermaßen ebenfalls mit dem verfilzten, abgehobe­nen und korrupten politischen System des Landes aufräumen. In Italien ist es die Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillos, die sich das auf die Fahnen geschrieben hat.

Fazit: Mit dem Schlimmsten für Griechenland (und die Euro-Zone) rechnet zumindest gegenwärtig niemand. Wie die Verhandlungen der neuen griechischen Regierung mit der Euro-Gruppe verlaufen werden, beschäftigt die Marktteilnehmer deswegen vorerst ebenso wenig wie die Konsequenzen für Wahlen in Portugal und Spanien und für die Euro-Zone.

Das kann sich freilich ändern, wenn Wahlgewinner Alexis Tsipras die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen hat, seine Politik konkrete Konturen annimmt und die Verhandlungen mit der Euro-Gruppe beginnen. Erst dann wird sich nämlich zeigen, wie ernst Tsipras es mit seiner Ankündigung, die Austeritätspolitik zu beenden und eine Schuldenerleichterung auszuhandeln, wirklich gemeint hat. Ihn zu unterschätzen, wäre ein Fehler. Der Ehrgeiz, etwas zu erreichen, ist da. Er weiß, dass er in Europa längst kein einsamer Rufer mehr ist. Aber er ist der erste Rufer, der zur Tat schreiten kann.

 

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Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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