AfD-Politiker über die Nazi-Keule

AfD-Landeschef Marcus Pretzell gilt als Gegenspieler von AfD-Chef Lucke. Wer unangenehme Warheiten ausspreche, werde mit der Nazi-Keule niedergemacht, sagt er.

Als Chef des mitgliederstärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen übt Marcus Pretzell enormen Einfluss auf die inhaltliche und organisatorische Entwicklung der AfD aus. Seinen Posten im Parteivorstand gab Pretzell freiwillig auf, um sich besser auf seine beiden andern Aufgaben konzentrieren zu können, wie er sagt. Er gilt als Antipode zu Parteichef Bernd Lucke. Inhaltlich zeigte sich dies etwa bei der Abstimmung über die Vorbereitung von Sanktionen gegen Russland im Europaparlament. Pretzell und die Berliner Abgeordnete Beatrix von Storch votierten als einzige AfD-Abgeordnete dagegen. Sie beriefen sich zu Recht auf einen Beschluss des Erfurter Parteitages. Gegenüber GEOLITICO äußerte sich Pretzell erstmals ausführlich dazu, wie die AfD mit den zahlreichen Protestbewegungen in Deutschland umgehen soll.

 Herr Pretzell, braucht die AfD wirklich eine neue Führungsstruktur?

Marcus Pretzell: Nicht unbedingt. Was die AfD braucht, ist eine Führungsstruktur, die von einer breiten Mehrheit der Partei getragen wird

Die haben Sie doch jetzt, oder?

Pretzell: Es gibt das Bedürfnis der Parteispitze, etwas zu ändern. Diesem Wunsch versucht die Satzungskommission mit ihrem Vorschlag zu entsprechen. Die Parteispitze wird dem Parteitag einen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten. Und alle Entwürfe werden wir auf dem Parteitag diskutieren. Wir sind also noch mitten drin in diesem Prozess. Außerdem geht es ja nicht nur um die Ausgestaltung der Parteispitze, sondern um die Struktur der Partei insgesamt. So wird die Frage diskutiert, wie die gesamte Basis in die Programmarbeit mit einbezogen werden kann.

Sie meinen die Einrichtung eines Konvents?

Pretzell: Genau, es gibt Überlegungen einen solchen Kleinen Parteitag einzuführen. Es wird darüber gesprochen, welche Kompetenzen der haben und wie er zusammengesetzt sein soll. Es wäre eine große Veränderung, wenn wir den Konvent einführen, weil wir damit ein in der Zeit zwischen den großen Parteitagen tagendes Gremium schaffen, was die Landesverbände und damit – zwar stark verengt – die Parteibasis repräsentiert. Damit lässt der Konvent eine relativ breite Diskussion in der Partei zu.

Welche Aufgaben könnte denn der Konvent haben?

Pretzell: Das ist noch nicht ganz klar. Grundsätzlich kann er alle Fragen diskutieren. Von Programmatik bis hin zur Satzung. Auf jeden Fall wäre seine Festschreibung in der Satzung eine grundsätzliche Veränderung der Parteistruktur.

Der Jahreswechsel war von heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen geprägt, die auch die Pegida-Frage berührten…

Pretzell: Ein Thema, über das es sich zu streiten lohnt, denn Pegida ist ein Symptom für ein weitaus größeres Problem.

Für welches?

Pretzell: Die Leute gehen mal mit Occupy gegen die Bankenrettung auf die Barrikaden. Dann gehen Leute gegen die Frühsexualisierung ihrer Kinder durch den Bildungsplan der Landesregierung in Baden-Württemberg auf die Straße. In Dresden gehen sie für eine geordnete Zuwanderung und gegen Islamisierung auf die Straße. Es gibt aber einen Punkt, der all diesen Bewegungen gemein ist: Das ist die Tatsache, dass sich breiteste Bevölkerungsschichten in der gesamten politischen Willensbildung überhaupt nicht mehr repräsentiert sehen. Schlimmer noch: In weiten Teilen haben sie das Gefühl, dass ihnen überhaupt niemand mehr zuhört, dass sich die Politik einfach nicht mehr für sie interessiert.

Und das sehen Sie auch in der Pegida-Bewegung?

Pretzell: Aber sicher. In den Medien hieß es, dort seien zu 90 Prozent verkappte Nazis unterwegs. Eine Studie der TU Dresden belegt: “ …Der typische Pegida-Demonstrant entstammt der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig und weist keine Parteiverbundenheit auf …“ Ein Drittel der Bundesbürger äußerte in Umfragen ihr Verständnis für Pegida. Bei denen kommt angesichts der Berichterstattung das Gefühl auf: „Hier stimmt etwas nicht, hier will man uns kaputtschreiben und eine offene Debatte unterdrücken.“ Die Leute haben recht, denn statt offen zu diskutieren kommt man ihnen mit der dicksten Keule, die es in Deutschland gibt: der Nazi-Keule.

Es gab auch Differenzierungsversuche…

Pretzell: …Aber Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich hat in ihrer Neujahrsbotschaft 20.000 Demonstranten pauschal stigmatisiert. Man kann der Meinung sein, dass die Ängste der Demonstranten unbegründet sind. Man kann der Meinung sein, dass die Menschen aus falschen Motiven demonstrieren. Aber wenn über 20.000 Menschen in Dresden auf die Straße gehen, dann ist das für deutsche Verhältnisse unfassbar, denn wir befinden uns nämlich nicht in Frankreich, wo man schnell mal 100.000 Menschen auf die Straße bringt.

Was bringt denn Ihrer Ansicht nach so viele Menschen in Dresden auf die Straße?

Pretzell: Wenn das bürgerliche Milieu in Deutschland in dieser Zahl auf die Straße geht, muss es sehr verzweifelt sein. Das sind keine dumpfen Rassisten, die da auf der Straße stehen. Das muss man mal akzeptieren.

Verzweifelt? Worüber verzweifelt? Können Sie das konkretisieren?

Pretzell: Schauen Sie, die Politik hat Occupy im Grunde genommen ignoriert. Dasselbe geschah mit dem Protest gegen Stuttgart 21. Da hat zwar in der Presse eine Debatte stattgefunden, aber die Schlichtung war doch eine Farce. Das Ergebnis stand im Prinzip schon vorher fest. Und auch die Proteste in Baden-Württemberg gegen die Frühsexualisierung werden von den etablierten Parteien ignoriert oder diffamiert.

Wenn die Menschen so verzweifelt sind, wie Sie sagen: Warum ist von all diesen Protestbewegungen kaum etwas übriggeblieben?

Pretzell: Weil die Menschen für berechtigte und nachvollziehbare Partikularinteressen auf die Straße gegangen sind. Hier wegen des Euros, dort wegen Stuttgart 21 und dort wegen der Bildungspolitik. Tatsächlich aber haben sie alle gemeinsam ein großes Problem, was alle Menschen auf die Straße bringen müsste: nämlich die mangelnde Beteiligung weiter Teile der Bürger dieses Landes an der Politik. Hinzu kommt, dass die Politik diese Partikularinteressen auch noch ganz gezielt gegeneinander ausspielt. Es wird Zeit, dass die Menschen endlich merken, dass sie alle ein gemeinsames Problem haben.

Viele Tausende sind zu Gegendemonstrationen gegen Pegida aufgestanden. Nennen Sie das keine faire öffentliche Debatte? Dürfen die ihre Meinung nicht sagen?

Pretzell: Schauen Sie, gerade erst haben wir eine wahnwitzige Debatte darüber erlebt, wer um die Opfer des Terrors in Frankreich trauern durfte und wer nicht. Pegida durfte es nach übereinstimmender Auffassung der Medien und der Altparteien nicht. Nach dieser Weltsicht sind die einen gute, die anderen schlechte Trauernde. Und das werfen sich die Gruppen dann gegenseitig vor. Die einen sagen: Wer Angst vor der Islamisierung hat, der darf nicht trauern. Die anderen sagen: Wer keine Angst vor der Islamisierung hat, der ist selbst mit dran schuld und darf nicht trauern.

Sie meinen, beide Seiten instrumentalisieren die Trauer um die Opfer von Paris für ihre Zwecke?

Prezell: Genau. Jeder schlachtet die Trauer für seine Zwecke aus. Im Ergebnis demonstrieren dann Bürger gegen Bürger und das politische Establishment kann sich entspannt zurücklehnen und weitermachen wie bisher.

Nämlich wie?

Prezell: Politik gegen die Interessen der Bürger machen. Wenn 88 Prozent der Deutschen sagen, dass sie ein Problem mit genveränderten Lebensmitteln haben. Und Frau Merkel sagt: „Das ist mir egal. Ich diskutiere darüber nicht.“ Was ist das für ein Zustand? Sie kann ja anderer Meinung sein, aber sie muss doch zur Kenntnis nehmen, dass 88 Prozent der Bürger mit genveränderten Lebensmitteln ein Problem haben.

Wer Politik gegen die Interessen der Bürger macht wird abgewählt. Angela Merkel aber ist zweimal wiedergewählt worden. Wie passt das mit Ihrer Kritik zusammen?

Pretzell: Die vielen Wähler, die von der CDU zu uns kommen, sprechen für sich. Sie wollen, dass Probleme aufgenommen und ehrlich diskutiert werden. Nehmen Sie die Flüchtlings- und Asylproblematik. Da haben die Pegida-Demonstranten, aber auch die AfD dafür gesorgt, dass nun etwas diskutiert wird, was zuvor in den Medien kaum eine Rolle spielte. Ich meine die Integrationsfähigkeit der Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen zu uns kommen. Das ist das Kernproblem der Zuwanderungsdebatte.

Sehen Sie die AfD als politischen Arm von Pegida?

Pretzell: Ich glaube nicht, dass wir aufgerufen sind, die Bewegung zu übernehmen. Sie möchte auch gar nicht von der Politik vereinnahmt werden. Wir müssen grundsätzlich mit den enttäuschten Bürgern ins Gespräch kommen.

Wie wollen Sie das anstellen?

Pretzell: Wir müssen auch Gesprächsangebote abseits von Demonstrationen machen. Denn auch diejenigen, die nicht mit Pegida auf die Straße gehen, werden ja nicht alle leugnen, dass wir ein grundsätzliches Problem mit der Integration von Ausländern haben. Außerdem gibt es ja nicht mehr so viele Parteien, mit denen die Bürger glaubhaft über das Thema Zuwanderung sprechen können. Es war die AfD, die das Thema bereits zur Bundestagswahl von einer Seite beleuchtete, die, vorsichtig gesagt, in der politischen Landschaft sonst wenig Sympathien genoss.

Haben Sie damit nicht Bewegungen wie Pegida Vorschub geleistet?

Pretzell: Wir haben erreicht, dass überhaupt über das Thema Zuwanderung in dieser Art und Weise gesprochen wird. Das betrachte ich als Erfolg – auch wenn wir dafür in die rechte Ecke gestellt werden.

Das stört Sie nicht?

Pretzell: Wenn ich Angst vor einer Diskussion habe, verhindere ich die Debatte ganz schnell, in dem ich den Gesprächspartner als Rechtspopulisten bezeichne. Und wenn die Angst sogar völlig aus den Fugen gerät, sage ich: Er ist ein Nazi. Wenn ich den Grünen oder der SPD sage, sie seien Linkspopulisten, dann schauen die mich kalt lächelnd an und sagen: „Ja, und?“

Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen?

Pretzell: Damit will ich sagen, dass fast alles, was irgendwie links erscheint, erlaubt ist. Obwohl der schwarze Block der Antifa in den vergangen Jahrzehnten immer wieder massiv gewalttätig aufgetreten ist, sagt Familienministerin Schwesig, das Problem des Linksextremismus werde überschätzt. Mit dem Vorwurf des Rechtspopulismus aber, wie er gegen die AfD und gegen Pegida erhoben wir, kann man in Deutschland einen Gesprächspartner moralisch und politisch vernichten. Dabei vertreten wir heute die Positionen, die die CDU vor zehn Jahren vertreten hat.

Nennen Sie mal welche.

Pretzell: Vor zehn Jahren hat die CDU eine Begrenzung der Zuwanderung gefordert. So weit gehen wir nicht mal. Wir fordern eine qualifizierte Zuwanderung. So gesehen sind wir sogar links von der früheren CDU. Oder stellen sie sich mal vor, wie die CDU früher auf den Bildungsplan in Baden-Württemberg reagiert hätte. Es wäre zu einem Aufstand in der CDU gekommen!

Wir haben über Pegida gesprochen, über Occupy und Stuttgart 21. Es gibt aber noch die Mahnwachenbewegung. Auf diesen Mahnwachen sprachen der umstrittene Journalist Jürgen Elsässer und der Hamburger Andreas Popp. Nun soll in ihrem Bundesland eine AfD-Veranstaltung mit den beiden stattfinden. Wird es dazu kommen?

Pretzell: Es gibt keine AfD-Veranstaltung dieser Art; ob sie anders organisiert stattfindet, kann ich nicht sagen. Außerdem habe ich überhaupt gar kein Problem mit den genannten Personen. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was die so sagen, aber wenn wir die Diskussion verweigern, schließen wir auch alle aus, die Elsässers Magazin lesen und auf die Vorträge von Herrn Popp gehen.

Was sind denn das für Menschen?

Pretzell: Ich war ein einziges Mal auf einem Vortrag von Herrn Popp. Da finden Sie Sparkassenvorstände, Vertreter von Unternehmerverbänden, aus dem Mittelstand. Das ist durchweg gutbürgerliches Publikum. Den Vortrag hatte übrigens der CDU-Ortsverband Hüllhorst veranstaltet.

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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